Christian Schuetz

CYTO-X


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schüttelte sich, als er die Gänsehaut spürte. Das Hauptproblem hier war weniger ein mangelndes Vertrauen in die Ärztin oder das Verfahren, sondern der Kontrollverlust.

      Er wäre fixiert und hilflos. Er müsste sich dafür völlig in die Hände anderer geben, und das war ein Gedanke, bei dem sich in ihm einfach alles wehrte. Aber eine Alternative gab es für ihn hier nicht. Er musste versuchen, eine Vertrauensbasis zu dieser Ärztin aufzubauen, um überhaupt in der Lage sein zu können, sich solch einer Prozedur zu unterziehen.

      Emma riss ihn wieder aus seinen Gedanken. „Verzeihen Sie, ich habe mich vielleicht etwas technisch ausgedrückt. Sie werden nicht viel spüren, da wir die Eintrittsstellen lokal betäuben.“

      Erik spürte die Gänsehaut sofort zurückkommen. „Ich bin dabei nicht in Vollnarkose?“ Panik kam auf.

      „Wir müssen Ihnen während der OP immer wieder kleine Kontrollfragen stellen, um zu sehen, dass alles in Ordnung ist. Bei solchen Verfahren ist eine Vollnarkose nicht möglich. Sie verstehen?“

      Erik nickte. Eigentlich hatte er das schon mal gehört, aber wenn es einen dann selbst traf, klang alles wieder ganz neu und beängstigend.

      „Lassen Sie uns lieber über die Termine reden! Ich habe von heute an drei Monate Zeit.“ Dass das mit ihren zeitlichen Vorstellungen nicht übereinstimmte, konnte er daran erkennen, wie sie kurz nach Luft schnappte. „Hören Sie! Ich zahle Ihnen die fünffachen Behandlungstarife, und falls wir Erfolg haben, verdopple ich die Summe und spende es der Uniklinik oder wie Sie das am liebsten abrechnen wollen. Ich zahle die gleiche Summe nochmals persönlich an Sie.“

      Ihre Hand schoss förmlich in die Höhe. „Herr Zsolt, ich lasse mich nicht bestechen. Ich nehme meinen Beruf ernst und ich werde keine Patienten hinten anstellen, um Sie vorzuziehen.“

      Ihr Blick sprach für ihn Bände. Er hatte sicher die falschen Worte gewählt, aber für Erik war das keine Bestechung. Er kannte das einfach nicht anders. Wenn man gute Arbeit wollte, musste man Anreize schaffen, und wenn ihn diese Frau von seinen Kopfschmerzen befreien konnte, dann würde er ihr eine Belohnung zukommen lassen, egal wie sehr sie sich dagegen auch wehrte. Er musste nun trotzdem etwas zurückrudern.

      „Frau Doktor Brugger! Ich will Sie nicht bestechen. Ich habe mich über Sie erkundigt und weiß, dass Sie nicht verheiratet sind. Sie haben keine Kinder. Ich möchte Sie hiermit bitten, vielleicht in den nächsten drei Monaten etwas von Ihrer Freizeit zu opfern. Dass Sie an meinem Fall interessiert sind, dessen bin ich mir sicher. Ich muss mittlerweile mit sehr heftigen Medikamenten arbeiten, um die Schmerzen zu dämpfen. Ich brauche Hilfe. Nicht in ein paar Wochen, sondern am besten gestern. Und was dazu nötig sein sollte, soll Ihnen und Ihrer Klinik anständig vergütet werden. Nicht mehr! Nicht weniger!“

      „Darf ich Ihren Fall veröffentlichen?“

      Erik musste lachen. Da war sie wieder, ihre Geradlinigkeit! Gut, so konnte er arbeiten! „Nein! Jedenfalls nicht sofort. Das muss ich mir gut überlegen. Wir sprechen hier schließlich von einem möglichen Evolutionsschritt und ich möchte sicher nicht zum Versuchsobjekt werden und vielleicht in irgendeinem Labor landen. Ich habe Erfahrung damit, wie Geheimdienste arbeiten. Mein Leben wäre nicht mehr viel wert, selbst wenn man den Fall anonymisiert. Man könnte dann Wetten annehmen, wer mich als Erster erwischt. Ich würde auf die Chinesen tippen, gefolgt vom Mossad. Die Amis bremsen sich selbst mit zu viel Bürokratie und seit Obama ein wenig mehr Skrupel. Na ja, manchmal! Falls ich dabei aber draufgehe, können Sie gern machen, was sie wollen.“

      Er blickte sie eine Weile an. Sie war sichtlich überrascht, dass er den Menschen gegenüber so misstrauisch war. Für Erik waren das aber keine Verschwörungstheorien, sondern Teil seines Berufes, ja sogar seines Lebens.

      „Bevor wir diese Sache angehen, sollte ich Ihnen vielleicht erzählen oder gestehen, was ich beruflich mache. Sie haben sich sicher schon gewundert, dass ich eine große Vorauszahlung hinterlegt habe. Und wenn ich hier von Geheimdiensten rede, dann halten Sie mich vielleicht für einen wirren Geist, aber das hängt alles irgendwie zusammen. Sicher könnten Sie mich auch einfach so behandeln, ohne irgendetwas über mich zu wissen, aber ich glaube, wir sollten ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis aufbauen.

      Ich möchte verhindern, dass Sie sich selbst gefährden, durch vielleicht zu offenen Umgang mit meinem speziellen Fall. Und deshalb werde ich hier ein wenig die Hosen runterlassen müssen. Ich vertraue Ihnen Informationen an, die mich rechtlich in arge Schwierigkeiten bringen könnten, aber ich glaube, das wird notwendig sein, um Sie für die möglichen Gefahren zu sensibilisieren. Wenn Sie anschließend sagen, dass Sie mich nicht behandeln wollen, muss ich das akzeptieren. Wann haben Sie Zeit?“

      5 - Golf

      Erik hatte bei dem Treffen mit Dr. Emma Brugger gegen seine eigenen Grundsätze verstoßen. Fremden Personen auf Anhieb wichtige Details aus seinem leicht obskuren Leben mitzuteilen, war für ihn immer ein Tabu gewesen. Aber als sie die Theorie mit der neuen Verbindung im Gehirn offenbarte, da klingelten bei Erik schon die Alarmglocken.

      Und als sie dann so frei heraus und vielleicht leicht naiv fragte, ob sie seinen Fall veröffentlichen dürfe, da wusste er, dass er nur zwei Optionen hatte. Entweder unter einem Vorwand das Weite suchen und sich seinem medizinischen Schicksal ergeben oder eben den harten, vielleicht riskanten Weg gehen und seine Ärztin einweihen, um ihr zu verdeutlichen, was passieren könnte.

      Sie hatte ihm in Aussicht gestellt, dass sie sich zwei Stunden später wieder für ihn Zeit nehmen könnte, da sie sich um andere Patienten kümmern musste. Sie schlug ihm ein Treffen in ihrem Golfclub vor, unweit der Uniklinik. Sie hatte etwas von „ein paar Löcher schlagen“ gesagt und Erik musste die aktive Teilnahme am Golfspiel entschieden ablehnen. Löcher würde er schon schlagen, aber nur neue und auch nur dort, wo man keine brauchen konnte.

      Ja, so schlimm war es um seine Motorik bestellt. Er schob sich beim Essen die Gabel nicht unbedingt ins Ohr, aber ein doch recht anspruchsvoller Ablauf wie ein Golfschwung, das war nichts für ihn.

      Trotzdem war eine Runde auf dem Golfplatz natürlich ideal für das, was es zu besprechen galt, also bot er seine Dienste als Caddy an. Bevor er sich aber auf den Weg zum nahegelegenen Golfclub machte, vollzog er ein Ritual, das für ihn eine Selbstverständlichkeit war.

      Zunächst holte er seinen Laptop aus dem Rucksack und setzte sich gemütlich auf eine Bank auf dem Gelände der Uniklinik. Von weitem sah er aus, wie einer der vielen modernen, jungen Menschen, die ihre Pausen dazu nutzten, um ihre E-Mails zu checken oder mit bunten Comic-Vögeln Gebäude zum Einsturz zu bringen. Die Programme auf seinem Power-Book waren aber etwas anderer Natur.

      Der USB-Stick, den er als erstes anschloss, war ein experimentelles Unikat. Er sorgte für eine absolut sichere Satellitenverbindung zu verschiedenen Datenservern weltweit. Sicher hätte er damit auch im Internet surfen können, aber er brauchte andere Informationen.

      Als Erstes prüfte er, ob irgendein spionagefähiger Satellit in Reichweite des Großraums Frankfurt seine Bahnen zog. Als dies verneint wurde, prüfte er die Aktivitäten der „Feinde“, wie er und seine Kollegen sie nannten. Die meisten Mitarbeiter von staatlichen Geheim- oder Intelligence-Diensten hatten eine digitale Signatur für ihre Aktivitäten, um ihren jeweiligen Organisationen zu ermöglichen, die Einsatzgebiete zu optimieren. Dass Leute wie Erik diese Funktion zu ihrem eigenen Vorteil nutzen konnten, schien diesen Diensten noch nicht bekannt zu sein.

      Falls eine Organisation, wie beispielsweise die CIA, irgendwo auf der Welt eine Person beschattete, dann gab es dort nicht einen einzelnen Superagenten, der den Job erledigte, sondern drei, vier oder noch mehr Kontakte, die sich bei dieser Überwachung ablösten. Sobald also mindestens zwei Agenten an ein und denselben Ort transferiert wurden, erkannte der Algorithmus, den ein Kollege von Erik erfunden hatte, dass an diesem Ort wohl ein Einsatz stattfand und meldete eine verschlüsselte Nachricht, die mit dem Programm auf Eriks Laptop dechiffriert werden konnte.

      Solche Meldungen lagen aber für ganz Europa derzeit nicht vor. Eine ungewöhnlich ruhige Lage, aber die Nachwehen der Finanzkrise hatten wohl auch Auswirkungen auf den Umfang