Christian Schuetz

CYTO-X


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Papa, jetzt setz dich schön in den Flieger mit diesem international gesuchten Verbrecher und dann fliegst du brav nach Norwegen und belügst die Witwe von deinem verstorbenen Kollegen. Wenn ihr sie auch noch bestehlen müsst, dann macht das sicher gern der Erik für dich, weil das hat er ja gelernt! Und benimm dich gut gegenüber der Dame!

      Das klang doch gar nicht so schwer! Nur ein paar Prinzipien seines Lebens über Bord werfen, um bei einem Forschungsprojekt weiterzukommen, das streng genommen noch nicht mal sein eigenes war. Inwiefern war er damit etwas anderes als dieser Erik Zsolt? Fremde Forschungsergebnisse weiterentwickeln und dann daraus Gewinn erwirtschaften. Zsolt würde daraus Geld machen und du, mein lieber Brugger, vielleicht einen Nobelpreis.

      Also gut, er hatte sich wohl dazu entschlossen, mit den Wölfen zu heulen. Da gab es jetzt kein Leugnen mehr. Aber wichtiger als der Nobelpreis war es ihm immer noch, zu verhindern, dass diese Forschung irgendwann von religiösen Gruppierungen missbraucht werden könnte. Und wenigstens war dieser Zsolt kein „Mann Gottes“!

       Das ganz sicher nicht!

      Auch wusste Brugger nicht wirklich, was seine Tochter an ihm anziehend fand. Die blonden Haare wirkten viel zu hell im Zusammenspiel mit den dunkelbraunen Augen. Er war kein großer Experte für Schönheitsmerkmale bei Männern, aber irgendwie fand er das Gesicht leicht schief und wenn er auch nicht dick war, so hatte er sicher keinen Waschbrettbauch. Einen Meter achtzig war Brugger selbst, also fand er ihn nicht sonderlich groß, auch wenn Zsolt vielleicht drei oder vier Zentimeter größer war. Emma mussten also seine inneren Werte oder sein Intellekt reizen. Und an diesen inneren Werten zweifelte Brugger besonders, also musste er sie mit Charme und klugen Sprüchen beeindruckt haben.

      Brugger hörte die Tür, als Emma zurückkam und verdrängte seine Überlegungen. Es würde sowieso zu nichts führen. Falls sich Emma getäuscht hatte, würden sie beide es wohl relativ zügig erfahren. Außerdem roch der Knoblauch auf den Pizzen, die sie mitgebracht hatte, einfach zu gut, um jetzt vielleicht das Abendessen mit einer Diskussion zu ruinieren.

      Zsolt war nun auch dabei, die Durchsicht der Unterlagen zu vollenden und die Papiere, die er ausgebreitet hatte, wieder ordentlich zu sortieren. Na ja, wenigstens schien er Sinn für Ordnung zu haben!

      Emma deckte den Tisch und versuchte sofort die gute Gesellschafterin zu spielen. „Und? Habt ihr schon Eure Erkenntnisse ausgetauscht? Ich habe Paprika, Knoblauchwurst und extra Mozzarella drauf machen lassen. Was hältst Du von Papas Theorie, Erik? Und was meinst du, Dad? Taugt er als Assistent, wenn ihr morgen nach Oslo fliegt?“

      Da sie nicht umgehend Antworten auf ihre Fragen erhielt, deckte sie den Tisch und öffnete den Wein mit den Worten: „Ein schöner trockener Merlot und hinterher als Dessert einen Tokaier!“

      Brugger lächelte. Seine Tochter hatte an alles gedacht, was ihn glücklich machen könnte, dennoch fühlte er sich unbehaglich, weil er nicht wusste, wie er die Diskussion mit ihrem Bekannten führen sollte. Wie schlau war er dieser Zsolt wirklich?

      Da sie alle drei hungrig waren, wurde anfangs nicht viel geredet. Man beschränkte sich auf genießendes „Mmhh“ und „Mmhhmm“ und jeder schien damit zufrieden, die Pizzen als Ausrede für die eigene Schweigsamkeit zu verwenden. Als er vom Essen kurz aufsah, konnte Brugger immer wieder erkennen, wie Emma zwischen ihm und Zsolt hin und her sah, darauf wartend, dass einer von beiden die Initiative ergreifen würde.

      Ihre ersten Versuche zu moderieren, waren von den beiden mit reichlich nichtssagenden Gesten und Achselzucken abgetan worden, so als ob es erst mal Wichtigeres zu tun gäbe, als über das Wohl und Weh der Welt zu reden, das laut Brugger auf dem Spiel stand.

      Als die Pizza zur Neige ging, wurde die Unruhe der Anwesenden noch größer. Normalerweise verhielt Brugger sich nicht so ruhig und zurückhaltend und wollte bei solchen Debatten immer ein wenig die Führung ergreifen, aber hier hatte Zsolt sich erbeten, ganz bei null zu beginnen, also sollte er sich auch melden, sobald er bereit war, zu erklären, was er verstanden hatte.

      Brugger würde ihm nicht die Chance geben, mit einer vielleicht zu zielgerichteten Frage den Einstieg zu erleichtern. Er genoss, dass das von seiner Tochter angepriesene Wunderkind sich anscheinend noch nicht ganz darüber im Klaren war, was...

      „Also, Professor Brugger, wenn ich die Daten und das Analyseprogramm richtig deute, haben sie Spuren von Zeitreisen auf der Erde entdeckt!“, unterbrach Zsolt Bruggers Gedankengang. „Zumindest, wenn alle Daten korrekt sind, aber ich denke, Sie haben sie sicher validiert. Mir stellt sich als Erstes nun die Frage: Wer hat Magnussen gesagt, wo und wonach er suchen musste?“

      Brugger senkte getroffen den Blick. Ich Idiot! Muss ich mich erst von diesem jungen Bengel darauf stoßen lassen? Magnussen wusste, was er suchte! Er hat nicht herumgestochert!

      Tagelang hatte er versucht, Antworten zu finden für sein Dilemma. Das Problem war, dass Brugger eine der wichtigsten Fragen nie gestellt hatte, weil er das Offensichtliche übersehen hatte. Er musste sich sammeln und ging zunächst nur auf Zsolts Frage nach den Werten ein.

      „Ich habe die Daten natürlich nur insofern prüfen können, dass ich niemanden explizit darauf hinweisen konnte, dass hier eine wissenschaftliche Sensation möglich ist. Also das Labor, das die Altersbestimmung durchgeführt hat, war für mich tabu, weil dort ja wirklich der Schlüssel zu allem liegt und ich froh bin, dass den Technikern dort der Zusammenhang nicht aufgefallen ist.

      Aber selbst wenn zwei oder drei Werte falsch wären, würde es am Gesamtergebnis nicht viel ändern. Allenfalls die Verunreinigung von mehr als der Hälfte der Proben könnte zu einer Fehlinterpretation geführt haben, aber ich halte das für fast unmöglich.“

      Brugger blickte seine Tochter an. Emma blickte etwas mitleidvoll zurück. Das mochte er nicht, also wandte er sich wieder seinem Feind zu. „Nein! Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass fehlerhafte Messungen oder Verunreinigungen oder falsche Handhabung hier nicht ein ganzes Resultat verfälscht haben können.“

      Er faltete während seiner Erklärung seine Serviette übersorgfältig zusammen, was seiner Tochter nicht verborgen blieb. Sie schaute ihm nervös zu und Brugger wusste, dass sie gerade überlegte, wie sie ihm helfen könnte, aber da musste er jetzt allein durch. Die Gesellschaft am Tisch schwieg sich noch einen Moment lang an.

      „Und nein! Ich bin nicht davon ausgegangen, dass mein Kollege wusste, wonach er da sucht. Ich habe ein ganz anderes Projekt verfolgt und aus der Richtung, aus der ich das Problem angegangen war, schien es so, als habe ein Kollege eine Vermutung gehabt, vielleicht weil er oder jemand anderes zufällig auf eine merkwürdige Komponente in der Polarluft gestoßen war.

      Aber Sie haben Recht! Es sind 182 Funde und es gibt 182 C-14-Analysen. Er hat nicht gewartet, bis ihm das wiederholte Auffinden der Magnasse aufgefallen war, sondern er hat von Anfang an gewusst, dass er sie finden würde und dass er sofort eine C-14-Analyse brauchte. Ich bin, mit Verlaub gesagt, ein Idiot!“

      Aus den Augenwinkeln konnte er erkennen, wie Emma zusammenzuckte, als er sich selbst als Idiot titulierte. Das hatte sie so sicher noch nie aus seinem Mund gehört.

      „Fragt sich also nur, von wem er es wusste“, beendete Zsolt den angespannten Moment. „Ich meine, ausgehend von Ihren Ergebnissen rede ich jetzt mal ganz frei über Zeitreisen, obwohl ich, selbst jetzt, nicht daran glaube. Aber die logischste Erklärung ist doch, dass es ihm einer der Zeitreisenden gesteckt hat, oder?

      Also, allein die synthetische Herstellung eines alternativen Cytoplasmas, das eine elektrische und vielleicht sogar phasische Aufladung eines Lebewesens erlauben dürfte, das überschreitet die derzeitigen Möglichkeiten der Wissenschaft um einiges.“

      Brugger blickte ihn streng an. „Wie kommen Sie auf eine phasische Aufladung? Davon steht nirgends etwas. Außerdem glaube ich nicht, dass schon irgendein Wissenschaftler nachgewiesen hätte, wie der phasische Zustand aussieht oder ob es ihn überhaupt gibt.“

      Zsolt senkte den Blick und Brugger setzte nach. „Wollen Sie andeuten, es gäbe den phasischen Zustand bereits? Und erzählen Sie mir jetzt nicht, Sie glauben an das Märchen vom Philadelphia-Experiment!“

      Zsolt