Helge Hanerth

Lebensweisheiten eines ordentlichen Trinkers


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andere nachvollziehbar, speziell für Gutachter? Ich glaube, man muss erst mal an körperliche Grenzen gekommen sein und diese zu übertreten versucht haben, um eine Ahnung zu bekommen was es heißt beim Sport alles gegeben zu haben. Erst wenn nichts mehr geht und alle Reserven mobilisiert wurden bekommt man ein Verständnis von Ehrgeiz und Leidensfähigkeit. Von solchen Erfahrungen waren meine Gutachter meilenweit entfernt. So wie ich schon als zwölfjähriger nach dem Kadertraining gegen 22 Uhr auf dem Fahrrad schwankend den Heimweg antrat, wäre eigentlich ne Verkehrskontrolle fällig gewesen. Aber Endorphine sind ja legale weil körpereigene Drogen. Alkohol kann das zu simulieren versuchen, kicken kann Alkohol es nicht.

      Genauso erging es mir beim Fallschirmspringen, beim doppelten Gipfelglück auf dem Ojos (6680 m) in den Anden oder beim Surfen in Herbststürmen auf der deutschen Nordsee zu letzt am Campingplatz von Hörnum. Solche Erfahrungen haben ihr eigenes Craving. Da gegen ist Alkohol ein <Schiss>. Die dabei trainierten Eigenschaften sind auch in anderen Situationen eine starke Waffe. Für außenstehende Fernsehgucker in warmen Wohnzimmern reduzieren sich spektakuläre Erfahrungen leider auf schöne Bilder. Das intuitive Nachvollziehen zeigt nur einen Teil von der Kraft solcher Ereignisse.

      Mein Weg war weit und dornenreich. Gerade in der frühen Kindheit habe ich gedacht, ich kann nichts. Ich sah mich als Totalversager. Es war die Unzufriedenheit mit mir, die mich hat Träumen lassen. Träume ließen mich das Hier und Jetzt akzeptieren, weil die Zukunft mich entschädigen sollte. Das Vertrauen in eine bessere Zukunft machte mir gute Laune. Das war, wie ich festgestellt habe, sogar wissenschaftlich von Neurowissenschaftlern aus Hamburg untersucht worden (Vgl. Peters, Jan/ Büchel, Christian: “Episodic Future Thinking Reduces Reward Delay Discounting through an Enhancement of Prefrontal-Mediotemporal Interaction“, Neuron 66(1) (2010) pp. 138-48).

      Das Vertrauen in eine bessere Zukunft braucht aber Gründe. Diese musste ich erst schaffen. Nur wenn ich erste Schritte tat auf ein Ziel, konnte ich dieses Vertrauen in mir wachsen spüren. Dieses Gefühl ist so präsent in mir, dass die Sehnsucht danach, mich auch heute immer noch motiviert. Ich kann nicht meine Hände in den Schoß legen, wenn ich die Chance sehe, ein Ziel zu erreichen. Ich muss jedem Ziel und erst recht jedem Traum Beine machen, sonst bleiben sie Seifenblasen, die der Wind verweht.

      In meinen Träumen suche ich nach Sinn. Der ist geprägt von einer Nützlichkeit, die ich ausfüllen will. Untrennbar verbunden damit ist immer die Nützlichkeit in und mit meiner Umwelt. Meine Vorstellungen vom Sinn des Lebens decken sich sehr mit den logotherapeutischen Prinzipien von Victor Frankl (Vgl. Frankl, Viktor: „Mans’s Search For Meaning“, Pocket Books 2009). Der hat in seinem Werk umfassend erforscht, wonach auch ich Zeit meines Lebens suche.

      Alkohol und andere Drogen schaffen keinen Sinn. Sie trösten nur über mangelnden Sinn hinweg. Kurzfristig kann das angenehm sein. Aber spätestens mit dem Kater ist es vorbei mit solchem Trost. Langfristig trete ich mit Alkohol auf der Stelle. Ich entwickle mich nicht. Es gibt keine Zukunft im Alkohol. Gerade von der Zukunft aber, träume ich gerne, wieder und wieder. Es bleibt nie beim bloßen Träumen. Ich stutze meine Träume so weit zu recht, dass ich sie als Ziel auch konkret planen kann. Diesen realen Zukunftstraum male ich mir in den schönsten Farben aus, bis der bloße Gedanke daran mir Flügel verleiht. Solche Träume machen Spaß, weil sie erreichbar sind. Ihr Erreichen ist eigentlich selbstverständlich, wenn ich mich an die Umsetzung meiner Strategie konsequent halte.

      Ich habe mein Abitur nicht gefeiert. Ich sah das Erreichen der Hochschulreife eben nicht als Glücksfall an, sondern als logische Konsequenz von Fleiß und Ausdauer. Die Erreichbarkeit eines Zieles weckt Energien, die Hindernisse aus dem Weg räumt. Die Wehmut der Erinnerung an meine Oberstufenzeit macht eh deutlich, dass die Schulzeit schöner war, als ihr Abschluss. Manchmal dient ein Ziel wie das Abitur eben nur der Erfolgskontrolle und dem Ausmachen neuer Ziele. Es war mir eine Etappe auf dem Weg zum Diplom. Die Schulzeit selbst war der größere Spaß.

      Als eigenbrötlerischer Einzelgänger war ich sowieso nicht der Partytyp dem feiern lag. Ich meide gerne Menschenansammlungen. Deshalb mochte ich es auch nicht, als Psychologen mir unterstellten, ich würde in Gesellschaft trinken. Meine Allianzen mit den anderen folgen immer einem produktiven Interesse. So konnte ich dann auch meine Rolle als Bassist in einer Band finden oder als Band auf einer Fete. Oberflächlichkeit unter Menschen und pures Gelaber ohne Sinn machen mich krank. Cliquen und allgemeine Freundschaften sind mir ein Leben lang fremd.

      Als Kind führte mein Glaube unfähig zu sein, zu einem starken Minderwertigkeitsgefühl. Die anderen schienen mir alles besser zu machen. Meine negative Selbsteinschätzung änderte sich auch nicht, als ich besser wurde. Egal wie gut ich wurde, es gab immer einen Besseren. Mit meiner Unfähigkeit wollte ich mich aber nie abfinden, denn dafür waren meine Träume zu schön. Dabei wollte ich nicht Mal besser sein als die anderen. Ich wollte nur mithalten können. Aus meinem Kampf gegen das Schicksal des Versagens wurde später ein Kampf um die Möglichkeiten des Lebens, als ich unbekannte Ressourcen in mir entdeckte.

      Ich nutzte die Chancen, die ich nicht hatte. Ich vertraute darauf, dass sich da was ergab, wenn ich aktiv suchte und mich ausprobierte. Immer wieder bin ich von Eigenschaften in mir überrascht worden, die ich zuvor nicht kannte. Es gab Fähigkeiten, die von mir unbeachtet, in einer Art <Stand-By> Modus liefen. So hätte ich z.B. nie gedacht, dass mir Tanzen mal Spaß machen könnte. Ich ging davon aus, dass ich als Grobmotoriker natürlich kein Talent hatte, mich intuitiv und trotzdem exakt zu einem Rhythmus zu bewegen. Umso überraschter war ich, dass mit meiner Tanzpartnerin aus Puerto Rico, selbst karibische Tänze funktionierten und ich mich nach langem Üben sogar selbstbewusst auf ein Salsa Turnier traute.

      Ich bemerkte, dass wenn ich eine neuentdeckte Fähigkeit in Anspruch nahm, sich deren Performance automatisch verbesserte. Mit gezieltem Training waren auch weitere Leistungssteigerungen drin. Ich benutzte Körper und Hirn wie Muskeln. Heute können Wissenschaftler bestätigen, dass neuronale Vernetzungen ein Leben lang möglich sind. Das macht auch unser Hirn ein Leben lang lernfähig.

      Als Kind habe ich das in der vorösterlichen Fastenzeit immer wieder probiert. Ich habe Süßigkeiten vermieden. Als mir das leicht fiel, habe ich extra Süßigkeiten bevorratet, um der Versuchung zu naschen stärker ausgesetzt zu sein. Zum Schluss habe ich Süßigkeiten so platziert, dass ich sie permanent sah. Die Versuchung wurde so allgegenwärtig. In wirkliche Versuchung kam ich nie, dazu waren die katholischen Drohgeschichten vom Höllenschlund, der die Sünder erwartete, zu schön und plastisch.

      Ich war immer dann erfolgreich mit meinem Hirntraining, wenn ich in kleinen Schritten vorging. So habe ich selbst ohne Grund zum Optimismus den Mut, daran zu glauben, dass ich mir noch unbekannte Potenziale erschließen kann, um ein Ziel zu erreichen.

      Das Vertrauen in mich, dass entstand, wenn ich gewann, hat meine Ängste nie beseitigt. Es hat sich lediglich als eigenständige Kraft neben der Angst etabliert und war mit der Angst zum Dialog bereit. So konnte ich meine Zukunft auf Vertrauen bauen, ohne mich zu überschätzen, weil die Angst wachsam bereit stand. Es braucht eben beides. Für dauerhaften Erfolg muss man ein Wagnis eingehen und gleichzeitig bereit sein, wenn man den Bogen überspannt, zu parieren. Mut ist immer der Mut zur Aktion und auch der Mut zum Nein-sagen.

      Ich lehnte mich gegen das Schicksal als Totalversager auf. Aus meinem Widerstand wuchsen die Wege, die mir halfen mich aus dem Loch zu ziehen. Aus Trostlosigkeit malte ich meine Träume. Wenn ich das schon als Kind gelernt hatte, dann sollte ich als Erwachsener mit dieser und weiteren Erfahrungen, die Kraft haben, noch mehr zu erreichen.

      Über Jahrzehnte habe ich meine persönliche Technik entwickelt, um meine Ziele für mein Stück vom Kuchen des Lebens zu erreichen. Die Grundlagen hierfür haben Sport und Musikunterricht gelegt in der Kindheit. Ich entwickle meine Technik ständig weiter, heute vor allem bei meiner Arbeit als Verantwortlicher für Projekte und für Umsatzziele. Jetzt helfen mir sogar professionelle Coaching-Maßnahmen, die meine Firma bezahlt. Interessanter Weise sind die manchmal gar nicht so grundsätzlich anders als die Techniken meiner Kindheit.

      Ziele brauchen Planung. Die Planungsschritte brauchen Maßnahmen. Maßnahmen müssen überprüft und optimiert werden. In meinen sokratischen Monologen am Ende eines jeden Tages, träume ich einerseits von der Zukunft. Andererseits plane ich die Maßnahmen für den nächsten