Peter Beuthner

Das Familiengeheimnis


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ist die mittlere Sonnenzeit an einem Ort, deren Zeitmaß der mittlere Sonnentag »dm« ist. Mit Hilfe von Uhren wird »dm« weiter aufgeteilt in 24 Stunden zu je 60 Minuten zu je 60 Sekunden. Die Festlegung der Dauer der Sekunde als dem 86.400sten Teil des mittleren Sonnentages war im Grunde willkürlich, ein Teil unse­rer tradierten Kultur. Eine formale Definition dieser Sekunde als verbindliches Zeitmaß im Sinne des Inter­nationalen Einheitensystems SI hat es nie gegeben. Die auf den Nullmeridian bezogene mittlere Sonnenzeit wird Weltzeit UT (Universal Time) genannt, die ursprüngliche und heute noch populäre Bezeichnung war GMT (Greenwich Mean Time).‘

      Die offizielle Definition der SI-Sekunde ist:

      ‚Die Sekunde ist das 9.192.631.770fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfein­strukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids 133Cs entsprechenden Strahlung.‘

      „Danke, danke, das reicht! So genau wollte ich das gar nicht wissen. Und das kann ich mir auch sowieso nicht merken“, kapitulierte Trendy.

      „Aber ich finde es schon bemerkenswert, daß man die Zeit so genau messen kann“, stellte Chimney erstaunt fest.

      „Ja, soviel ich weiß, läßt sich keine andere physikalische Größe so exakt bestimmen wie die Zeit. Die Sekunde wurde bereits bis auf mehr als ein Dutzend Stellen hinter dem Komma ver­messen“, erklärte Jie.

      „Das ist schon irgendwie faszinierend, finde ich, wenngleich ich mich frage, wozu man eine solche Genauigkeit braucht“, wunderte sich Trendy.

      Die Drei waren so vertieft in ihr Gespräch, daß sie zunächst gar nicht bemerkt hatten, wie es allmählich immer dunkler wurde im Raum. Erst jetzt, als sie des schwachen Dämmerlichts gewahr wurden, rief Jie in den Raum: „Hey, wer dreht denn da am Licht? Stopp!“ Er schaute sich um, konnte aber nur mehr erahnen, daß sich ein paar Pärchen eng umschlungen auf der Tanzfläche zur seichten Musik bewegten. Und in den Ecken schienen auch einige Pär­chen knut­schend herumzuliegen.

      „Es werde Licht! . . . Heller!“ rief er, und langsam wurde es wie­der heller. „Stopp!“ rief irgend jemand aus einer Ecke, der wohl bei seinem Techtelmech­tel nicht gestört und auch nicht ge­sehen werden wollte. Die Drei gehörten zu den Jüngsten der Partygesellschaft und zeigten noch nicht viel Verständnis für die Schäkerei der Älteren. So unterhielten sie sich weiter.

      „Was sagst du? Zeit gibt’s erst seit dem Urknall?“ fragte Trendy.

      „Ja, genau! Erst mit dem kosmischen Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren entstanden Zeit, Raum und die Materie“, bestätigte Jie. „Zeit und Raum existieren nicht unabhängig vonein­ander, sondern sind untrennbar mit­ein­ander verbunden. Man spricht daher auch von ‚Raum­zeit‘ beziehungsweise vom ‚Raum-Zeit-Kontinuum‘. Neben den drei Dimensionen des Rau­mes bildet die Zeit also die vierte, in der sich alle Objekte und Wesen der Welt bewe­gen.“

      „Und obwohl es für uns den Anschein hat, daß die Zeit überall und für jedes Wesen gleich schnell vergeht, verhält es sich tatsächlich nicht so“, ergänzte Chimney. „Hier unterliegen wir alle einem Trugschluß. Das wissen wir aber erst, seit Einstein uns mit seiner Relativitätstheo­rie beglückte. Eine universelle Zeit existiert nicht. Jeder Mensch hat gewissermaßen seine ‚eigene Uhr‘. Wie schnell die Zeit für ihn vergeht, hängt von der Gravitation und der Ge­schwindigkeit ab, mit der er sich bewegt. Je mehr er sich der Lichtgeschwindigkeit nähert, desto langsamer vergeht für ihn die Zeit aus der Sicht eines sich nicht bewegenden Be­trach­ters.“

      „Hääh? Wie ist das denn zu verstehen?“ fragte Trendy.

      „Paß auf, wir machen ein Gedankenexperiment: Einer von zwei Zwillingen fliegt in einem Raumschiff mit 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit zu einem acht Lichtjahre entfernten Pla­ne­ten, während der andere Zwilling auf der Erde bleibt. Wenn er dann von dort mit der gleichen Geschwindigkeit zur Erde zurückkehrt, dann sind für ihn insgesamt zwölf Lebens­jahre, für den Bruder auf der Erde aber 20 Jahre vergangen. Er ist also acht Jahre jünger als sein Zwillingsbruder.“

      „Wie kommt das?“

      „Das liegt daran, daß die für den Raumfahrer gültige Zeit aufgrund seiner Geschwindigkeit gedehnt wurde. Das heißt, sie ist langsamer vergangen. Was Einstein seinerzeit nur rechne­risch belegen konnte, das wurde 1971 durch zwei US-Physiker experimentell nachgewiesen, indem sie völlig baugleiche hochpräzise Atomuhren, teils in Flugzeugen und teils auf der Erde installiert, gewissermaßen gegeneinander laufenließen. Dabei zeigte sich, daß bereits die Flugzeuggeschwindigkeit ausreichte, um den Takt der mitgeführten Atomuhren gegen­über den statio­nä­ren um 60 Milliardstel Sekunden zu verzögern. Also kann man sagen: Auch Vielflieger altern langsamer, wenn auch nur wenig im Vergleich zu Raumfahrern.“

      „Ja, und auch in der Nähe großer Massen wird die Zeit gravitationsbedingt gedehnt. Vom Standpunkt eines weit entfernten Beobachters verläuft sie in der Nähe der Masse lang­sa­mer.“

      „Das heißt also, daß für einen Raumfahrer, der sich mit annähernder Lichtgeschwindigkeit und/oder in der Nähe massereicher Himmelskörper bewegt, die Zeit langsamer vergeht als für die Menschen hier auf der Erde, er altert langsamer. Und wenn er auf die Erde zurück­kommt, dann ist hier die Zeit schon entsprechend weiter fortgeschritten – das heißt, er landet in der Zukunft. Er hat also eine ‚Zeitreise‘ gemacht.“

      „Ja, das ist richtig. Nach der Relativitätstheorie sind Reisen in die Zukunft jeden­falls theore­tisch möglich.“

      „Könnte man auch eine Zeitreise in die Vergangenheit machen?“

      „Das ist viel unwahrscheinlicher, aber möglicherweise doch nicht ganz ausgeschlossen. Je­den­falls gibt es da so ein Szenario in Sciencefiction-Filmen, das von einer möglichen Ver­bin­dung, einem sogenannten Wurmloch, zwischen weit voneinander entfernten Himmels­kör­pern quer durch die gekrümmte Raumzeit ausgeht, welches somit eine Wegabkürzung für ein Raumschiff bieten könnte. Damit könnte ein Raumfahrer in kürzester Zeit an einen ande­ren Ort und in eine andere Zeit gelangen und bei seiner Rückkehr möglicherweise in der Ver­gangenheit landen.“

      „Klingt ziemlich zweifelhaft.“

      „Ja, aber die Idee bietet viel Raum für die Phantasie: Stellt euch vor, ich könnte in die Ver­gangenheit reisen und dort meine Mutter oder meinen Vater umbringen, bevor ich gebo­ren wurde. Dann hätte ich doch nach der klassischen Weltanschauung niemals existiert und folg­lich auch meine Reise in die Vergangenheit nie antreten können. Wenn ich aber die Rei­se machen könnte, dann wäre es mir demnach zwangsläufig unmöglich, meine Eltern um­zu­­brin­gen. Das aber hieße, ich wäre in meinem eigenen Denken und Handeln nicht frei. Ich könnte die in der Vergangenheit geschaffenen Tatsachen nicht mehr ändern, denn jede Än­de­rung hätte zwangsläufig einen anderen Geschichtsverlauf zur Folge.“

      „Ja, und das ist auch nur logisch! Denn solche Zeitreisen in die Vergangenheit verstoßen gegen eines der Grundprinzipien der Physik, nämlich gegen das Gesetz von Ursache und Wir­kung: Ereignisse, die sich kausal aufeinander beziehen, können zeitlich immer nur in eine Rich­tung erfolgen. Und das tun sie in der Tat seit dem Urknall; die Abfolge von Vergangen­heit, Gegenwart und Zukunft ist unumkehrbar.“

      „Genau! Oder hat irgend jemand von euch schon mal erlebt, daß sich eine leere Bierflasche von alleine wieder gefüllt hat?“

      „Hey! Was seid ihr denn für Mega-Trantüten?“ hörten sie plötzlich eine Stimme hinter sich. Es war Sputnik, der sich gerade zu ihnen gesellte. „Warum schwofet und flirtet ihr nicht, ha‘m die Mädels euch nicht genecket?“ Dabei kicherte er und fügte nach kurzer Pause, während der das Trio ihn verwundert anschaute, hinzu: „Frei nach Luther, falls euch das was sagt.“

      „Nee, nee, mein Lieber“, schaltete Chimney am schnellsten. „Das ist nicht nur frei, sondern sehr, sehr, sehr frei nach Luther. Denn bei dem hieß das: ‚Warum rülpset und furzet Ihr nicht, hat es Euch nicht geschmecket?‘“

      „Na, sag ich doch!“ entgegnete Sputnik. „Das hört sich doch fast ganz genauso