AeNNiE Rupp

Schade, tot


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bewarb mich beim örtlichen Gefängnis. Vielleicht würden mich die Inhaftierten auf die richtige Fährte bringen, endlich einen wirklich interessanten und vor allem WICHTIGEN Fall zu lösen.

      Gleich am ersten Arbeitstag im Knast begegnete ich Joe. Wie er wirklich hieß, wusste ich nicht. Ich glaube, niemand wusste seinen richtigen Namen. Er saß wegen allen möglichen Sachen, ich vermute, das Harmloseste waren Zwangsprostitution und Drogenhandel und natürlich schwere Körperverletzung. Oder war es sogar ein Mord? Ich weiß es nicht mehr und es ist auch nicht so wichtig. Er war natürlich ein unheimlich angsteinflößender Kerl, der gern Respekt ihm gegenüber mit blanker Angst vor ihm verwechselte. Sein durchtrainiertes Kreuz war beinahe so groß wie ich lang war, er hatte perfekte weiße Zähne, eine Glatze und eine wunderschöne hellbraune Haut. Er sah in diesem kargen Gefängnis immer aus, als habe er als Einziger den Sonnenplatz erhalten und könne sich tagein tagaus bräunen.

      Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie alle Wärter sich vor ihm fürchteten. Die einen ganz offensichtlich, die anderen still in aller Heimlichkeit. Und sicherlich gab es auch allein beim Blick in seine Polizeiakte genug Grund, um sich in seiner Gegenwart in die Hose zu machen, aber, warum auch immer, ich gehörte nicht zu den Angsthasen. Vielmehr erinnerte er mich an meinen Lieblingsteddy, den ich als kleines Mädchen besaß. Er hatte die gleiche Fellfarbe wie Joes´ Haut und einen ebenso grimmigen Blick. Aber er war lieb und kuschelig und brachte mich durch so manche unheimliche und unruhige Nacht, wenn ich von Albträumen geplagt ängstlich erwachte.

      Wann immer ich Joe ansah, musste ich an meinen Teddy denken und war automatisch beruhigt. Ja, ich musste manchmal sogar lächeln, wenn Joe in Handschellen an mir vorbei geführt wurde. Ich dachte dann immer, wenn er da war, würden mich alle anderen auf jeden Fall in Ruhe lassen und wenn mir etwas passierte, dann auch nur, weil Joe es getan hatte und ich war überzeugt davon, das würde ich in dem Fall gewiss nicht überleben.

      Natürlich blieb meine Sympathie für diesen Schwerverbrecher nicht unbemerkt. Es kam häufiger vor, dass Joe mich anlächelte, wenn er an mir vorbei ging oder mich mit einem leichten Kopfnicken grüßte.

      Eines Abends machte ich meine Runde, um zu sehen, dass in den einzelnen Zellen alles in Ordnung war. Zugegeben, als ich mich seiner Zelle näherte, wurde ich mit jedem Schritt nervöser. Aber es war nicht eine von Angst erfüllte Nervosität, die sich in mir aufbäumte wie eine undurchdringliche Mauer, ich war gespannt, was mich erwarten würde, war neugierig und konnte es eigentlich kaum erwarten, endlich bei ihm angelangt zu sein. So machte ich zügig meine Runde und wurde erst wieder langsamer, als ich vor seiner Tür stand. Mein Herz raste wie wild. Wie ein kleines Mädchen fühlte ich mich, das vor ihrem großen Schwarm stand und nun etwas sagen musste, damit die Situation nicht peinlich wurde. So klopfte ich gegen die harte Tür. „Alles in Ordnung da drinnen?“, fragte ich und war wirklich bemüht, weniger nervös, dafür aber umso bestimmter zu klingen. Dann lauschte ich, was als nächstes passierte. Ich hörte Schritte in der Zelle. Sie kamen näher. Dann blieb er stehen. Für den Bruchteil einer Sekunde passierte nichts, bis ich schließlich ein leichtes Klopfen von der anderen Seite der Tür vernahm. „Alles Bestens, Amanda!“, erklang Joes´ Stimme. Sie war unheimlich beruhigend und trotzdem stark. Bis zu jenem Abend hatte ich ihn kein einziges Wort reden hören, was mich in diesem Moment nur noch mehr ins Schwärmen brachte. Und er wusste meinen Namen! Er gehörte wohl zu einem der wenigen Männer, die mich nicht als kleinen Kumpel ansahen, sondern als eine Frau. Eine richtige Frau. Und er wusste, wie ich heiße, was bedeutete, dass ich ihm gewiss nicht gleichgültig war.

      Ich kann kaum abstreiten, dass mich dieser Joe, dieser Verbrecher, auf eine Wolke gehoben hatte, die mich höher schweben ließ als irgendjemanden sonst. Ich fühlte mich, als stünde ich über allen anderen. Ein verdammt gutes Gefühl! Dieser eine Satz aus seinem Mund bewegte mich sogar dazu, mich weiblicher zu fühlen und dementsprechend auch weiblicher zu geben. Meine Haare waren ohnehin länger geworden seit Beginn der Polizeischule, aber zum ersten Mal nach Jahren besuchte ich wieder einen Friseur, ließ mich auf waghalsige Farbexperimente und Frisuren ein, ganz zu schweigen von einer ausgiebigen Make – up Beratung, in der man mir klar machen wollte, ich hätte ein unheimlich schönes und zartes Frauengesicht, aus dem man viel machen könne. Sogar meine Kleidung wechselte ich. Die schlabberigen Hosen tauschte ich gegen eng anliegende Jeans in meiner Freizeit und für die Arbeit griff ich zu Wonderbras und Tangas, damit meine Figur auch in dem damals noch unansehnlichen Grün und Ocker etwas her machte. Es zeigte sogar Wirkung, zumindest hinter den Knastmauern.

      Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie wir uns tief in die Augen sahen, wenn wir uns begegneten und wie aus einem anfänglichen „Alles Bestens, Amanda!“ immer längere Gespräche wurden, vorausgesetzt, die Zeit ließ es zu.

      Eines Tages stand eine routinemäßige Zellendurchsuchung an und man fand bei Joe einen zugeklebten Briefumschlag ohne die Angabe eines Empfängers. Man öffnete den Umschlag kurzerhand und überreichte ihn mir mit errötetem Gesicht und einem breiten Grinsen. „Der ist wohl für dich, kleine Süße!“, lachte Marko hämisch. Ich begriff nicht, was das sollte und nahm das Papier wütend an mich. Erst im Kaffeeraum faltete ich es auseinander und las die ersten Zeilen. Dieser Brief richtete sich tatsächlich an mich, an „die kleine süße Amanda!“. Welche Emotionen ein paar geschriebene Zeilen auslösen konnten, es war faszinierend. Bis zu jenem Abend hatte ich außer Rechnungen und Grußkarten meiner Oma nie schöne Briefe erhalten. Erst Recht keine Liebesbriefe. Aber dieser war einer. Ganz sicher.

      Zu Hause las ich ihn immer und immer wieder. Ich konnte ihn bald auswendig und vermochte es nicht, ihn auch nur einen Augenblick aus den Händen zu legen. Ich war überzeugt, Joe hatte ihn extra im Zimmer gelassen, damit ich ihn bei der nächsten Zellendurchsuchung erhalten würde und es aussah, als solle er nie in meine Finger gelangen. Ein Insasse heimlich verliebt in eine Wärterin. DAS war doch mal ein Krimi!

      Es folgten weitere Briefe von ihm, einer liebvoller und schöner als der andere und auch ich bemühte mich im Schreiben. Aber es war mir zu peinlich, meine Gefühle für ihn in Worte zu fassen. So fasste ich mir zumindest bei jedem meiner Rundgänge ein Herz und stellte mich ganz nah an seine Zellentür. „Danke für den Brief!“, sagte ich jedes Mal, wenn ich mir sicher war, dass er direkt an der Tür stand und außer uns niemand meine Worte hörte. Dann erzählte ich ihm, wie schön ich seine Schreiben fand und welche Empfindungen sie in mir weckten. Ich erzählte ihm schließlich sogar von meinen Sehnsüchten.

      Ich glaube, er wusste wie leicht ich zu manipulieren war, warum sonst sollte er ausgerechnet mich auserwählt haben, mir eine Liebelei vorzuheucheln? Aber ich war dumm und naiv genug, ihm alles zu glauben. Im Nachhinein frage ich mich auch, ob es wirklich so offensichtlich gewesen ist, wie sexuell frustriert ich war. Ich meine, ich war Mitte zwanzig und mein bis dahin erotischstes und intimstes Abenteuer waren vermeintliche Liebesbriefe eines Knackis. Eines gefährlichen Knackis. Aber damals pfiff ich drauf und ging sogar noch weiter.

      Es war kurz vor Weihnachten, als er mir offenbarte, dass er einen großen Wunsch hatte. Ich bohrte ordentlich nach, was es denn sein könnte und hoffte inständig, dass es etwas mit mir oder zumindest meinem Körper zu tun haben würde und ich sollte Recht behalten. Aber anstatt ganz plump daher zu kommen mit den Worten „Ich will dich ficken“ umschrieb er es auf so bezaubernde und romantische Art und Weise, dass ich gar keine andere Wahl hatte als das Wagnis einzugehen, mich eines Abends in einem unbeobachteten Moment in seine Zelle zu schleichen. Ich war bereits Tage zuvor nervös deswegen gewesen, habe mir immer wieder den Kopf darüber zerbrochen, welches Make – up ich auflegen sollte und vor allem, welche Unterwäsche die Passendste wäre. Keine Frage, ich wollte nicht nur ihm gefallen, sondern vor allem auch mir selbst, denn wir reden hier nicht von irgendeiner sexuellen Erfahrung, sondern von meiner ersten.

      In seiner Zelle schloss ich die Tür hinter uns und umklammerte den Schlüsselbund ganz fest. Joe stand mir gegenüber und lächelte. Er sah fast schon etwas verschämt aus und ehrlich gesagt war ich alles andere als selbstsicher in diesem Augenblick. Glücklicherweise machte er den ersten Schritt, ging auf mich zu, umarmte mich mit seinen großen Muskeln ganz leicht und sah mir dann tief in die Augen. Er erzählte mir, wie schön ich sei und wie lange er auf diesen Moment gewartet habe, dann küsste er mich mit seinen weichen Lippen! Ich schmolz dahin wie Butter und ließ ihn einfach machen, unfähig, auch nur noch einen klaren Gedanken