AeNNiE Rupp

Schade, tot


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      Wahrlich, den Abend hatte ich mir etwas anders vorgestellt und immer wieder musste ich unweigerlich an Ava denken. Sie würde sich bestimmt nicht so voll laufen lassen. Mit ihr könnte man sich auch garantiert besser unterhalten. Aber ich war nun mal mit Becky unterwegs und Gentleman genug, sie nicht einfach stehen zu lassen. Auch wenn sie es gewiss nicht anders verdient hätte, als hilflos und völlig besoffen den Weg heim finden zu müssen. Allein.

      Nachdem sie sich in der letzten Bar übergeben hatte, beschloss ich, dass es Zeit war nach Hause zu fahren. Unauffällig suchte ich in ihrer Tasche nach ihrer Geldbörse, in der Hoffnung, so an ihre Adresse zu gelangen, damit ich sie getrost im nächsten Taxi absetzten konnte. Aber ich fand außer ein paar Visitenkarten und unzähligen Fotos nichts, das mir in dieser Situation hätte helfen können, sie loszuwerden. In meiner Verzweiflung rief ich Maria an, vielleicht kannte sie das Mädel gut genug um zu wissen, wo sie hin gehörte oder konnte mir zumindest sagen, was ich tun sollte. Doch Maria ging nicht ans Handy, ich sprach also auf die Mailbox und wartete eine Weile auf einen Rückruf. Nichts. Sie war wohl mit ihrer Bekanntschaft schwer beschäftigt. Also half nur noch Plan Z – ich nahm Becky mit zu mir nach Hause.

      Dort angekommen legte ich sie in mein Bett, stellte ihr eine frische Zahnbürste bereit mit einem kleinen Zettel, auf den ich so leserlich wie möglich schrieb „Für Becky” und auf dem Nachttisch platzierte ich ein Glas Wasser, auf den Boden einen Eimer. Sicher war sicher. Nachdem ich sie zugedeckt hatte, nahm ich meinen Pyjama, griff nach der Wolldecke und machte es mir im Wohnzimmer auf der Couch bequem. Nur wollten meine Augen nicht zufallen, obwohl ich eine Portion Schlaf dringend gebraucht hätte. Ava ging mir nicht aus dem Kopf. Allein ihretwegen wäre ich gar nicht im Stande gewesen die jetzige Situation mit einer halbnackten, volltrunkenen und besinnungslosen hübschen Frau in meinem Schlafzimmer auszunutzen. Das ist nicht meine Art und ich war überzeugt, Ava würde das gut heißen, wenn sie wieder online war. So sehr ich auch hoffte, noch in dieser Nacht mit ihr schreiben zu können, sie war nicht da. Mir blieb wohl nur der Fernseher als einzige Unterhaltung, bis ich endlich einschlief.

      Kapitel 5

      Am späten Vormittag erwachte ich mit Kopfschmerzen. Sie waren nicht stark, aber heftig genug, mir gehörig den Morgen zu versauen. Es dröhnte an der linken Schläfe und so sehr ich mich auch dagegen wehrte, am Ende kam ich um eine Schmerztablette nicht herum. Danach frühstückte ich ein wenig und wartete auf Becky. Die Zeit bis dahin vertrieb ich mir damit, Ava zu schreiben, die allerdings nach wie vor offline war. Das hielt mich aber keinesfalls davon ab, ihr lang und breit zu erzählen, was ich in der vergangenen Nacht alles erlebte. Als ich schließlich auch die letzte Nachricht mit allen bis dahin vergessenen Details abschickte fragte ich mich, was Ava über all das denken würde. Ob sie dann immer noch der Meinung war, ich solle mein Glück bei Frauen versuchen oder wäre sie vielleicht sogar eifersüchtig? Insgeheim hoffte ich, dass sie sich über die Tatsache ärgerte, dass gerade eine andere Frau in meiner Wohnung war, besser noch, in meinem Bett schlief.

      Um Maria hingegen machte ich mir keine Sorgen. Sie war eine gestandene Frau, die sich bestens zu verteidigen wusste, wenn es nötig war und somit war jegliche Überlegung, ihr sei in der Nacht etwas Schlimmes passiert, verschwendet. Außerdem klingelte wenige Augenblicke später das Handy und sie war am Hörer:

      „War das eine Nacht, sage ich dir! Wir waren noch in einer Bar und haben ordentlich getrunken mit ein paar anderen vom Speed – Dating. Du scheinst bei den Frauen ja mächtig Eindruck hinterlassen zu haben! Wusste gar nicht, was für ein Womanizer du bist!”, sprudelte es so aus ihr heraus. Ich grinste verschämt und wusste kaum, was ich darauf antworten sollte.

      „Ich habe gehört, du bist mit der Blonden nach Hause verschwunden?”, erkundigte Maria sich. Ich zögerte kurz, bevor ich ihre Frage bejahte. „Und? Wie war’s? Du musst mir alles erzählen!” „Da gibt es nicht viel zu erzählen.”, gestand ich. „Sie war völlig besoffen und konnte am Ende kaum noch stehen. Ich habe sie nur mit nach Hause genommen, damit sie sich richtig ausschlafen konnte. Sie schläft im Bett und ist bis jetzt noch nicht aufgewacht, ich habe auf der Couch übernachtet, alles ganz gesittet.”

      Maria lachte: „Du bist einfach zu gut! Ich muss jetzt auflegen, Eric ist noch hier. Aber wir sehen uns ja morgen bei der Arbeit und dann will ich Details hören!” Mit diesen Worten legte sie auf und ich blickte auf die Uhr. Mittlerweile war es halb zwei nachmittags und ich fragte mich langsam, wie lange Becky noch schlafen wollte.

      Obwohl es unhöflich war schlich ich mich an die Zimmertür, die einen Spalt offen stand. Ich spinste hindurch und stutzte. Dann betrat ich auf leisen Sohlen den Raum. Das Bett war leer. Sie muss irgendwann am frühen Morgen verschwunden sein, dachte ich, denn ich habe nicht bemerkt, wie sie die Wohnung verließ.

      Während ich den Bettbezug wechselte fielen mir ihre Klamotten auf, die teilweise noch auf dem Boden lagen. Ob sie wirklich in der Nacht ohne ihre Schuhe den Heimweg angetreten war? Das war kaum vorstellbar. Aber wo war sie? Den ganzen Vormittag war sie mir noch nicht einmal in der Wohnung begegnet und außer mir hatte an diesem Tag auch noch niemand das Bad benutzt. Becky MUSS irgendwann in den frühen Morgenstunden verschwunden sein, anders konnte ich es mir nicht erklären. Ich setzte mich mit einer Tasse Tee an den Schreibtisch und wartete auf Ava. Was blieb mir auch anderes übrig? Ich hatte überall nachgesehen und weder Becky noch eine Nachricht von ihr erhalten. Was nützte es also, weitere Zeit darauf zu verschwenden, auf ein Lebenszeichen von ihr zu warten?

      Dennoch legte ich das Telefon neben mich für den Fall, Becky würde sich melden und sich nach ihren Sachen erkundigen. Um etwas Nützliches zu tun bis Ava von sich hören ließ, schrieb ich in mein Tagebuch. Ja, es klingt albern, aber ich führe seit Jahren Tagebuch. Nicht einfach so aus einer Laune heraus. Mein Schreiben hat einen guten Grund, denn ich habe fürchterliche Angst davor, wichtige Ereignisse meines Lebens zu vergessen wenn ich alt bin. Deshalb schreibe ich alles so originalgetreu wie möglich auf. Zudem ist es ein netter Zeitvertreib, da ich außer Arbeit, Fitnessstudio und Fernsehen nicht viel zu tun habe.

      Ich hielt fest, wie anstrengend die Nacht mit Becky war und alles gewiss nicht so ablief, wie ich mir ein erstes Date vorgestellt hatte. Ich mag keine Frauen die sich besaufen, dann halbnackt auf den Tischen tanzen und jedem gierigen Lustmolch ihr Höschen zeigen. Natürlich hätte ich die Situation mit ihr in meinem Bett ausnutzen können. Ich hätte sie besteigen können, alles mit ihr angestellt und sie wüsste es am nächsten Morgen nicht einmal mehr. Aber das wäre gewiss nicht das erste Mal gewesen, wie ich es mir immer erträumt habe. Und erst recht nicht mit einer Frau, die ich nicht liebte, geschweige denn überhaupt richtig kannte. Mal ganz abgesehen davon, wie befriedigend konnte schon eine Nacht mit einer komatösen Frau sein, wenn sie am Folgetag keinerlei Erinnerung an den Sex haben würde? Nur Perverse würden daran Gefallen finden.

      Kapitel 6

      Ich hatte die Wohnung den ganzen Sonntag über nicht verlassen. Von Becky war nach wie vor keine Spur. Eigentlich hatte ich ja gehofft, sie würde irgendwann zurückkommen und wenigstens ihre Sachen holen, denn keine Frau lässt einfach ihre Schuhe zurück. Aber sie kam nicht. Und ich verbrachte notgedrungen den ganzen Tag damit, auf sie oder ein Lebenszeichen von ihr zu warten.

      Immer wieder suchte ich sporadisch meine Wohnung ab, ob sie sich im Suff eventuell irgendwo anders hingelegt hatte und jetzt vielleicht nicht mehr heraus kam. Doch auch diese Suche blieb ohne Ergebnis. Sie war weder in der Badewanne, noch im Waschkeller, nicht im Kleiderschrank oder sonst wo im Haus. Die Vermutung lag also nahe, dass sie irgendwann in der Nacht wach wurde, sich erschreckte, nicht wusste, wo sie war und dann schnell Reißaus genommen hatte. Die Version klang in meinen Ohren am plausibelsten und gefiel mir auch besser als die Vorstellung, ich hätte mir in der vergangenen Nacht etwas zuschulden kommen lassen, an das ich mich jetzt nicht mehr erinnerte.

      Erst viel später fiel mir ein, dass das Warten auf sie pure Zeitverschwendung war, denn ich glaubte kaum, dass sie sich in ihrem Zustand den Weg zu meiner Wohnung merken konnte. Dann noch etwas Nützliches aus dem Tag zu machen, dafür war es zu spät. Klar, sie kannte mich überhaupt nicht, woher sollte sie dann wissen, wo sie ihre Kleidung