AeNNiE Rupp

Schade, tot


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muss noch ab.”, sagte sie. „Sonst siehst du aus wie einer dieser Hippster und dann quatschen dich nur Kerle an.” Nein, das wollte ich natürlich nicht ein weiteres Mal riskieren. Also verzichtete ich lieber auf meine Sehhilfe, was nicht weiter schlimm war, denn die Frauen würden mir heute direkt gegenüber sitzen, so würde ich sie auf jeden Fall gut erkennen, auch ohne Brille.

      Maria und ich zogen los. Wir fuhren mit der Bahn in die Bonner Innenstadt, von da aus war die Bar nur wenige Gehminuten vom Bahnhof entfernt. Mit jedem Schritt, den wir uns der Lokalität näherten, wurde Maria sichtlich nervöser, was mir im Zug noch gar nicht aufgefallen war. Sie hatte sich bei mir eingehakt und ich spürte, wie sich ihre Fingernägel immer tiefer in den Stoff meines Pullovers krallten. „Du weißt, was du heute zu tun hast?”, fragte sie und starrte auf den Boden. Ich brüstete mich auf: „Frauen aufreißen!” Sie schmunzelte und auch ich konnte mein Lachen kaum verkneifen. „Hör zu, wenn du da nicht hin willst, ist es gar nicht schlimm. Wir können auch einfach was trinken gehen oder ins Kino oder so. Du hast gar keine Verpflichtung.”, begann Maria von Neuem. Aber ich war mir sicher. Ich wollte es einfach mal ausprobieren. „Hast du etwa Angst, dass ich uns beide dort blamiere?”, fragte ich ironisch und merkte dank Marias betretenem Schweigen schnell, dass ich wohl voll ins Schwarze getroffen hatte. Also versuchte ich sie zu beruhigen.

      „Ich habe dir doch von Ava erzählt, dem Mädel, das ich im Internet kennen gelernt habe und sie hat mir wirklich sehr gute Tipps gegeben. Heute Abend wird alles glatt laufen, versprochen. Und wenn nicht, dann ändere ich meinen Namen und verlasse die Stadt, damit du dich hier noch blicken lassen kannst.” Marias Hand lockerte sich allmählich und sie lächelte.

      „Erzähl mir mehr von dieser Ava. Ist sie nett?”, fragte sie schließlich. Ich nickte kurz und begann von den vergangenen Abenden zu schwärmen, die ich mit ihr verbrachte – wenn auch nur virtuell. Maria lief neben mir her und starrte noch immer auf den Asphalt. Ich war mir nicht sicher, ob sie mir überhaupt zugehört hatte oder irgendwo in Gedanken versunken war, aber sie nickte hin und wieder. Das reichte mir.

      Wir erreichten die Bar und eilten schnell in den gut beheizten Raum mit gedämmtem Licht. Es erinnerte mich ein wenig an ein Bordell wie es gern in Filmen dargestellt wurde. Die Wände waren dunkelrot gestrichen, mächtige schwarze Kronleuchter hingen von der Decke herab und die wenigen Stühle, die nicht mit schwarzem Leder bezogen waren zierte Leopardenfell – Imitat.

      Nach und nach betraten die Singles des Abends den Raum und je mehr von ihnen kamen, desto mehr fühlte ich mich etwas fehl am Platz. Viele von ihnen waren bunt, gepierct und tätowiert. Mit Nasenringen und riesigen Ohrlöchern. Die Männer mit langen zotteligen dunklen Haaren und vollem Bart, die Frauen mit aufwendig toupierten Frisuren, mehr als nur hochgepuschtem Dekolleté und absolut überschminkt. Ich saß da mit meinem braunen Pullover, den Maria mir geschenkt hatte und dachte erst, ich sei mit dem bisschen Haargel schön völlig überstylt gewesen.

      Maria saß auf der anderen Seite des Raumes an einem Tisch zunächst noch alleine. Nachdem sie ihre Jacke abgelegt hatte, wusste ich, warum sie auf dem Hinweg so fror. Außer einer sehr eng geschnürten Korsage und einem Lederstückchen, das als Rock herhalten sollte, trug sie nichts unter ihrem Mantel.

      Ich stand an eine Wand gelehnt und betrachtete all diese bunten Menschen und wie ihre Blicke mich von allen Seiten musterten. Jetzt wusste ich, warum Maria sich wegen mir in dieser Bar nicht so sicher war. Ich war wie immer der Außenseiter gewesen, derjenige, der sich durch seine eigene Art völlig von der Masse abhob und damit schnurstracks ins Aus katapultierte. Dennoch ließ ich mich von den Musterungen nicht abschrecken. Ava mochte mich so wie ich war, dachte ich unentwegt, dann würden auch die anderen es können.

      Das Getuschel im Raum wurde von einer netten jungen Frau unterbrochen. Sie trug wie ich ganz legere Kleidung, Jeans und Pullover. Nichts Aufreizendes, nichts Obszönes und bunt war sie auch nicht. Mit erhobener Stimme und lockerer Haltung stand sie zwischen den Tischen und begann mit ihrem Willkommenstext. Sie erklärte den Ablauf und die Regeln, dann ging es auch schon los. Jede Frau nahm an einem Tisch Platz und jeder Mann hatte pro Tisch genau fünf Minuten Zeit, sich interessant zu machen.

      Maria knetete nervös ihre Hände und sah unruhig zu mir herüber. Eigentlich sollte sie mein erstes Dategespräch für den Abend werden, aber irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass das keine gute Idee war. Was genau nicht stimmte, wusste ich nicht, aber irgendwas schien ihr mächtig gegen den Strich zu gehen. Deshalb setzte ich mich zu einer platinblonden Frau und wartete das Startsignal ab, bevor ich zu sprechen begann.

      „Hey, ich bin Rolf.”, stellte ich mich vor und die Frau mir gegenüber runzelte die Stirn. „Ernsthaft?”, fragte sie skeptisch und ich lachte. „Nein, eigentlich heiße ich Rodrigez, meine Mutter kommt aus Spanien. Wäre es nach meinem Vater gegangen, so hätte ich Rolf heißen sollen. Aber gegen spanisches Temperament kann ein ordentlicher und kleinkarierter Deutscher eben nicht viel ausrichten, nicht wahr?”

      Die Frau löste sofort ihre steife Haltung mir gegenüber und lachte. Dann reichte sie mir die Hand und sagte: „Hi, ich bin Becky!” Weil ich davon ausging, dass hier jeder nur über seine Tattoos sprechen würde, sprach ich ihr meine Bewunderung für ihre tolle Frisur aus und dass es sicher ewig gedauert haben musste, bis sie die Locken so hinbekommen hatte. Nicht, dass mich Frisuren in irgendeiner Weise auch nur annähernd interessiert hätten, aber das Eis war gebrochen und wir redeten und redeten. Naja, sie redete und ich hörte zu, während meine Augen immer wieder heimlich durch den Raum wanderten und sich der Kopf Gedanken darüber machte, mit welchen Komplimenten ich die anderen Frauen um den Finger wickeln könnte. Der Charmeur in mir war geweckt!

      „Du bist ganz anders als die meisten Typen hier, die nur über die Tinte unter ihrer Haut reden wollen, glauben, dich damit beeindrucken zu können und davon ausgehen, dass ihr Äußeres ausreicht, um mit ihnen nach Hause zu verschwinden. Ich glaube, du bist ein netter Kerl und wenn es dir nichts ausmacht, können wir hiernach ja gern noch was zusammen unternehmen, wenn du verstehst, was ich meine.” Ich nickte, denn ich glaubte sie richtig verstanden zu haben. Gegen ein ausführlicheres Gespräch mit dieser Dame hatte ich zu späterer Stunde gewiss nichts einzuwenden. Aber erst einmal musste ich zu den anderen Tischen.

      Eine Frau nach der anderen unterhielt sich angeregt mit mir über Gott und die Welt, jede von ihnen überhäufte mich mit ehrlich gemeinten Komplimenten und ich fühlte mich schon fast wie ein König!

      Maria hatte ich in der ganzen Zeit völlig aus den Augen verloren, so sehr war ich damit beschäftigt zu flirten was das Zeug hielt. Der letzte Tisch war der, an dem sie saß und ich war schon beinahe erschrocken darüber, dass sie überhaupt noch da war.

      „Und?”, fragte ich völlig entspannt. „Wie läuft’s bei dir?” Sie lächelte und schob eine Strähne hinter ihr Ohr. „Alles bestens und bei dir?” Ich lehnte mich zurück und grinste zufrieden. „Könnte nicht besser sein!” Sie schmunzelte, dann beugte sie sich nach vorn und auch ich lehnte mich vor. „Hör zu”, flüsterte sie halb laut. „Dreh dich jetzt nicht um, aber der Typ hinter dir, der mit der Mütze, das wird meiner für heute Nacht. Oder hast du was dagegen, wenn ich hiernach verschwinde?”

      „Nein, nein! Überhaupt nicht! Ich wünsche dir viel Spaß!” Und ich meinte meine Worte ernst. Maria bat mich eindringlich, niemandem auf der Arbeit davon zu erzählen, dass sie sich hier regelmäßig ihre One – Night – Stands aussuchte und ich gab ihr mein Wort, dass ich darüber schweigen würde wie ein Grab, wenn sie im Gegenzug auch nicht verriet, dass ich nach der Veranstaltung noch etwas mit Becky unternehmen würde. Sofort schmiss Maria sich zurück in den Stuhl und grinste: „Wer ist denn dieser Casanova auf einmal?” Ich glaube, ich wurde ziemlich rot und in dem Moment und plötzlich wurde mir bewusst, dass ich gar keine Ahnung hatte, was ich mit Becky anfangen sollte. Aber uns würde da sicherlich schon etwas einfallen.

      Zwei Stunden später wartete Becky schon vor der Tür auf mich, während ich mich in der Bar noch von Maria verabschiedete. Ava würde platzen vor Stolz, wenn sie von meinem erfolgreichen „Aufriss“ erfahren würde! Da war ich mir ganz sicher.

      Kaum hatte ich die Bar verlassen, trat Becky mit ihren hohen Absatzschuhen ihre Zigarette auf dem Boden aus und während sie sich in jedem Lokal, das wir danach aufsuchten,