Michael Hamberger

Die Seelenräuberin


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auf seinen Stuhl gesessen und hat Löcher in die Luft geschaut. Kurz später hat er dann wieder begonnen, in dieser komischen krächzenden Sprache zu sprechen. Es war richtig unheimlich. Er schien mit irgendjemandem, den nur er sehen konnte, ein richtiges Streitgespräch zu führen. So blieb das auch für die nächsten Tage. Er verließ dabei seinen Stuhl niemals, nicht einmal in der Nacht, um in sein Bett zu gehen. Es gab Stunden in denen er sich überhaupt nicht rührte und dann wieder diese stundenlangen Streitgespräche in dieser fremden Sprache. Zum Glück wollte er niemanden mehr töten. Auch die von meinem Vater gerufenen Psychologen konnten nichts herausfinden. Er hat erst gar nicht auf sie reagiert. Durch gar nichts. Es war, als wäre er zwar da, aber sein Geist ganz wo anders. Wir konnten auch nicht genau herausfinden, was dies für eine Sprache war, in der er die Streitgespräche führte. Es schien ein Dialekt der Quechua zu sein, aber eher in der Art, wie er vor 500 Jahren von den Inkas gesprochen wurde.

      Dann hat plötzlich Mark Bishop angerufen und wollte sich meinen Onkel ansehen. Erst wollte mein Vater ja nicht, aber als er hörte, für was für eine Organisation Herr Bishop sprach, da wollte er dann doch. Offensichtlich war Herr Bishop von einem der Psychologen angerufen worden. Leider kam meinem Vater aber wieder einmal etwas dazwischen, sodass ich Herrn Bishop empfangen sollte. Und kurz bevor der eintraf ist mein Onkel dann plötzlich gestorben. Er fing wieder mit einem dieser Streitgespräche an, wurde dabei dann immer aufgeregter und fing plötzlich an zu schreien und zu toben. Die noch anwesenden Psychologen konnte ihn gar nicht mehr beruhigen. Nicht einmal eine hoch dosierte Beruhigungsspritze hat geholfen. Mein Onkel wurde immer aufgeregter, bis er dann plötzlich nur noch grell schrie, dass die Fenster gewackelt haben. Zum Schluss hat er dann noch einmal ‚sajra wayra’ gebrüllt und ist auf seinem Stuhl zusammengesackt. Er hat sich dann nicht mehr gerührt und ist kurz später einfach gestorben. Einfach so, als ob eine Kerze ausgeblasen würde. Nicht einmal zwanzig Minuten später stand Mark Bishop vor der Türe.“

      „Und dem hast Du dann die Adresse von Donerta gegeben?“

      „Ja, er schien irgendwie eine Ahnung zu haben, was geschehen war. Als ich dann die Seelenräuberin erwähnt habe, da hat er nur mit dem Kopf genickt!“

      Das war wieder einmal so typisch Mark. Er hatte immer noch eine Information in der Hinterhand. Offenbar hatte er schon vorher etwas herausgefunden. Nur was? Layla hatte das Gefühl, dass sie noch viel zu wenige Informationen hatte, um irgendwie logisch und strategisch zu planen. Sie hoffte, dass diese Donerta, von der Naomi richtige Wunderdinge erwartete, ihr wirklich weiterhelfen konnte. Ansonsten konnte sie nur die nächste Attacke der Seelenräuberin abwarten und hoffen, dass sie entsprechend angemessen reagieren konnte. Und das schmeckte Layla überhaupt nicht. Sie wollte endlich das Ruder in die Hand nehmen. Bisher hatte sie das Gefühl, dass die Seelenräuberin nur mit ihr spielte, alles unter Kontrolle hielt, während sie ab und zu eine Attacke auf sie befahl. Layla wusste nicht, inwieweit die Seelenräuberin daraus lernte, inwieweit sie Layla mittlerweile einschätzen konnte. Das konnte natürlich auch sehr plötzlich sehr gefährlich werden. Eine innere Unruhe erfasste Layla. Sie konnte im Moment jedoch nichts Sinnvolles tun, bis sie von Donerta die nötigen Informationen erhalten hatte. Sie konnte nur warten.

      Sie war dagegen sicher, dass ihre Gegnerin in dieser Zeit nicht untätig sein würde, sondern den nächsten Angriff schon plante und vorbereitete. Sicher wusste sie schon, wohin Layla ging und wenn Donerta wirklich Informationen hatte, die der Seelenräuberin gefährlich werden konnten, dann würde sie sicher zu verhindern versuchen, dass Layla Donerta traf. Layla musste also doppelt oder sogar dreifach wachsam sein.

      Mittlerweile hatte selbst Layla ihre Zwischenmalzeit beendet, was bei Hans wieder für Staunen und bei Naomi zu einem regelrechten Lachkrampf geführt hatte („wenn ich all dies essen müsste, dann sähe ich aus, wie Beth Ditto von Gossip“). Inzwischen war es auch an der Zeit, zum Gate zu gehen, also nahmen die drei ihr Handgepäck und gingen zur Sicherheitskontrolle. Dabei behielt Layla die Umgebung sehr genau im Auge. Wann kam dieser nächste Angriff der Seelenräuberin? Hier am Flughafen wäre solch eine Attacke natürlich besonders verheerend. Es würde Untersuchungen nach sich ziehen, an die Layla gar nicht denken wollte. Sie würden höchstwahrscheinlich sogar im Gefängnis landen und ihren Plan könnten sie dann getrost vergessen. Deshalb war es strategisch sehr sinnvoll für die Seelenräuberin, sie genau hier und jetzt anzugreifen. Layla begann zu schwitzen und sah sich immer wieder um. Es zerrte an ihren Nerven, auf diesen Angriff zu warten. Dabei fiel ihr ein Witz ein, denn ihr Iztel, die eine große und geschickte Witzerzählerin war, einmal erzählt hatte. Ein Mann der nachts in einem Kohlebergwerk arbeitet, kommt jeden Morgen um kurz nach 6:00 Uhr von seiner Schicht nach Hause. Das schönste für diesen Mann ist es dann, seine schweren Sicherheitsschuhe auszuziehen und in die Ecke zu werfen. Jeder in eine andere Ecke. Dies gefällt natürlich dem Nachbar überhaupt nicht, so früh durch diesen zweifachen Bums geweckt zu werden, worauf er sich telefonisch auf das heftigste bei dem Mann beschwert. Dieser verspricht auch Besserung. Aber nach der nächsten Schicht denkt er nicht mehr daran, zieht seine Stiefel aus und knallt den ersten in die Ecke. Dann fällt ihm der arme Nachbar ein und er nimmt den zweiten und legt ihn leise neben den ersten, stolz, letztendlich doch daran gedacht zu haben. Aber nicht einmal zwei Minuten später ruft der Nachbar wieder an und schreit entrüstet: „Nun werfen sie schon den zweiten Stiefel, dass ich weiterschlafen kann? Layla grinste. Der Witz war wirklich gut. Und genauso, wie der arme Nachbar fühlte sich Layla im Moment auch. Sie wusste, dass der nächste Bums kam, sie wusste nur nicht wann und musste mit flatternden Nerven darauf warten.

      Mittlerweile waren sie an der Sicherheitskontrolle angekommen. Ein Sicherheitsbeamter sah Layla aufmerksam an und winkte sie dann heraus. War dies der erwartete Angriff? Layla sah den Mann an. Nein, es sah nicht so aus, als ob er unter dem Einfluss der Seelenräuberin stand.

      Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie hatte sich die ganze Zeit, als sie in der Schlange vor der Kontrolle hatte warten müssen, immer wieder nervös umgesehen, um einen Angriff wenn möglich schon im Keim zu ersticken. Das musste der Sicherheitsbeamten bemerkt haben und verdächtig erschienen sein. Layla passte dies natürlich überhaupt nicht, sie musste aber wohl oder übel diese Prozedur über sich ergehen lassen. In der Zwischenzeit gingen Naomi und Hans weiter in Richtung Gate.

      Der Zollbeamte ließ sich diese Gelegenheit natürlich nicht entgehen und tastete Layla mehr als gründlich ab. Es war offensichtlich mal wieder keine Frau da, die dies hätte erledigen können. Die Strafe muss ich wohl akzeptieren, dachte sich Layla zähneknirschend. Sie war gerade fertig und der Sicherheitsbeamte wollte sie gerade gehen lassen, da sah Layla die Crew eines Flugzeugs vorbeigehen. Sie sah dabei dem Kapitän und dem Co-Pilot in die Augen und erstarrte. Beide zeigten den typischen, abwesenden Blick einer Person, die von der Seelenräuberin kontrolliert wurde. Erschrocken folgte Layla so unauffällig, wie möglich der Crew. Die gingen durch einen Ausgang am Nebengate von ihrem eigenen und gingen auf den Eingang zu, wo ihr eigenes Flugzeug angedockt hatte. Also doch! Sie waren die Crew, die das Flugzeug nach Floreanapolis fliegen sollte. Was bedeutete dies? War das nicht offensichtlich? Sie wollten das Flugzeug abstürzen lassen! Layla wurde flau im Magen. Wenn sie an der Sicherheitskontrolle nicht aufgehalten worden wäre, hätte sie die Crew niemals gesehen und wäre bedenkenlos in das Flugzeug gestiegen. Layla ging auf Naomi und Hans zu und sagte:

      „Wir können mit diesem Flugzeug nicht fliegen!“

      Hans und Naomi schauten sie ungläubig an. Naomi fragte:

      „Warum denn nicht. Du hattest es doch so eilig nach Floreanapolis zu kommen!“

      „Das Flugzeug wird abstürzen. Der Kapitän und der Co-Pilot sind unter der Kontrolle des Seelenräuberin!“

      „Waaaaaaaaas, wir müssen die Leute warnen!“

      „Ja, Hans, jetzt ist es Zeit für deine guten Verbindungen! Ich rufe Igor an!“

      Layla hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als das Telefon schon die Nummer wählte. Igor antwortete auch sofort. Layla erklärte ihm mit kurzen Worten den Sachverhalt. Igor versprach ihr, sofort alle Hebel in Bewegung zu setzten. Hans war weniger erfolgreich, wie sie seiner versteinerten Miene entnahm. Mittlerweile wurde der Flug ausgerufen. Das Boarding begann. Layla fluchte innerlich. Hoffentlich hatte Igor mehr Erfolg. Sonst mussten sie von hier aus reagieren, was sie sicherlich in große Erklärungsnot