Michael Hamberger

Die Seelenräuberin


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zum Auto gewesen, denn er im gestreckten Sprint überwunden hatte, immer mit Blick auf die Aras, die jedoch keinen Flügel gekrümmt hatten, um sie wieder anzugreifen. Als Layla und Naomi beim Auto angekommen waren, hatte er den Motor schon gestartet gehabt und kaum hatten die beiden jungen Frauen auf ihren Sitzen gesessen, da war er auch schon mit durchdrehenden Reifen davongebraust.

      Naomi hatte sie dann auch reichlich verwöhnt. Nicht nur, dass sie in den besten Boutiquen von Sao Paulo unbegrenzten Kredit hatte und darauf bestand, alles zu bezahlen, nein, sie führte sie auch ins beste Restaurant von Sao Paulo zu einem frühen Abendessen aus, wo sie sich köstlich übers Laylas unstillbaren Hunger amüsiert hatte. Selbst Hans war langsam wieder aufgetaut und lachte sogar ab und zu einmal. Das Thema Seelenräuberin war für diesen Abend tabu gewesen.

      Nach dem Essen waren dann alle drei erschöpft ins Bett gefallen, wobei Layla sich vorgenommen hatte, ihre Sinne auf Alarmbereitschaft zu lassen. Aber dann war sie doch erschöpft eingeschlafen, bis sie am frühen Morgen von Naomi geweckt worden war. Auch ihre anfängliche Angst vor einem weiteren Alptraum war zum Glück nicht eingetreten.

      *

      Diese Ruhepause hatte wirklich gut getan, dachte sich Layla. Seit dem Angriff der Laras hatte sie keine weiteren Lebewesen gespürt, die unter der Kontrolle der Seelenräuberin waren. Gut, sie war sich sicher, dass sie auch weiterhin überwacht wurden, aber im Moment sah nichts nach einem weiteren Angriff aus. Trotzdem behielt Layla ihre Umgebung natürlich sehr genau im Auge. Zum Glück war der nationale Congonhas Flughafen sehr viel kleiner und überschaubarer, als der große, sehr stark frequentierte Guarulhos International Airport von Sao Paulo.

      An den Blicken der Männer konnte Layla erkennen, dass Naomi die Sensation unter den Männern war. Das war Layla nur Recht. So konnte sie sich unbemerkt umsehen. Aber diesmal war nichts, rein gar nichts zu bemerken. Aber selbst dies machte Layla nicht ganz glücklich. Was bedeutete dies? Das sie nicht mehr überwacht werden mussten? Wenn ja, warum dies? Weil einer der beiden unter der Kontrolle stand? Ach was, schimpfte sich Layla aus. Jetzt bilde mal keine ausgewachsene Paranoia aus. Vorsichtig und misstrauisch sein ist ja ganz in Ordnung, aber hinter jedem Busch ein Feind zu sehen und eine Verschwörung zu spüren mit Sicherheit nicht. Leider wollte es Layla trotzdem überhaupt nicht gelingen, ihr Unterbewusstsein zu beruhigen. Langsam spürte Layla wieder die Anspannung. Sie war sich sicher, dass ein weiterer Angriff der Seelenräuberin nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.

      Naomi schien dies zu spüren. Sie sah Layla lange mit ihren unglaublichen Augen an und fragte:

      „Sag mal, Layla, was ich Dich schon gestern fragen wollte: Wie kommt es, dass so eine kleine Person, wie Du, solch eine Kraft entwickeln kann?“

      „Wie meinst Du das?“

      „Nicht dass ich Dir nahe treten möchte, Layla, aber als Du bei uns in der Villa ankamst und ihr von den Vögeln angegriffen wurdet, da warst Du schneller als ich schauen konnte und wie Du den Hans gepackt hast und fast fünf Meter weit zu mir ins Haus geschmissen hast, dass war fast schon surreal.“

      „Weißt Du, ich mache seit vielen Jahren Karate. Da habe ich gelernt, wie man Männer einen Tiefflug verpassen kann!“

      Naomi lachte fröhlich, dann schüttelt sie den Kopf und antwortet.

      „Layla, ich mache auch seit Jahren Jiu Jitsu, aber dies habe ich noch nicht gelernt. Das musst Du mir unbedingt zeigen!“

      Hans schüttelte hektisch den Kopf.

      „Aber nicht mit mir. Mir ist jetzt noch schwindlig. Mann Layla, da brauchst Du einen Waffenschein dafür!“

      Also hatte Layla gestern mit ihrer Vermutung Recht gehabt, dass Naomi Kampfsport betrieb. Es gefiel aber Layla gar nicht, dass dieses Thema aufgegriffen worden war. Wenn die beiden wirklich nachbohrten, dann würde Layla sehr schnell in Erklärungsnöte kommen. Deshalb wechselte sie schnell das Thema:

      „Naomi, ich hatte hier in Brasilien schon öfters Begegnungen mit Leuten, die ganz offensichtlich fremd gesteuert wurde, als ob sie nicht die Kontrolle über ihren eigenen Körper habe, sondern jemand anderer. Diese Leute sah man an den verschiedensten Plätzen. Ich bin sicher, dass die Seelenräuberin damit zu tun hat. Was weißt Du darüber?“

      „Wie gesagt, ich weiß nicht viel und möchte dich nicht mit Halbwahrheiten und Gerüchten auf die falsche Fährte bringen. Was ich sicher weiß, ist, dass die Seelenräuberin praktisch jedes Wesen kontrollieren kann. Aber wie das funktioniert, dass weiß ich nicht. Bitte habe Geduld, bis wir in Floreanapolis sind.“

      „Wie war das bei Deinem Onkel. Wie kam er unter die Kontrolle der Seelenräuberin?“

      „Mein Onkel war schon immer sehr anfällig für okkulte Dinge. Noch sehr viel mehr, als mein Vater. Aber im Gegensatz zu meinem Vater, verzeihe bitte die brutale Aussprache, war mein Onkel ein Schlappschwanz und Tunichtgut.“

      „Moment einmal, Naomi, Du hast „war“ gesagt. Ist Dein Onkel denn tot?“

      „Ja, das ist er. Wie bei allem, was er in seinem Leben tat, ist er auch gestorben. Er hat sich einfach hingesetzt, hat geflennt wie ein Waschweib und ist gestorben!“

      „Du konntest Deinen Onkel offenbar nicht sehr leiden!“

      „Ich habe ihn gehasst. Er lebte schon immer in unserem Haus. Als meine Mutter vor drei Jahren gestorben ist, war er für eine Zeit lang meine einzige Bezugsperson. Mein Vater hat versucht, den Schmerz über den Verlust mit noch mehr Arbeit auszugleichen. Er war praktisch nicht mehr zu Hause. Mein Onkel aber wohl. Erst tat es gut, mit jemanden sprechen zu können und ich merkte deshalb viel zu spät, dass er mir gar nicht zuhörte und für ihn die Umarmungen auch kein Trost waren!“

      „Hat er Dich missbraucht?“

      „Nein, aber beinahe. Er scharwenzelte fast permanent um mich herum. Er hatte die blöde Angewohnheit in mein Zimmer einzutreten, ohne zu klopfen. Und dabei hauptsächlich genau dann, wenn ich mich umziehen wollte, oder wenn ich duschen wollte. Eines Tages hat er es dann geschafft. Ich war gerade splitterfasernackt, als er hereinkam. Sein Blick sagte mir dann alles. Aber anstatt schamerfüllt wieder herauszugehen, kam er zu mir und wollte mich umarmen. Seine Prachtlatte war dabei unverkennbar. Ich habe ihm ein Buch an den Schädel geschmissen und rausgeschmissen. Das war dann der Tag, als ich mit dem Jiu Jitsu begonnen habe.“

      „Und wie ist er an die Seelenräuberin geraten?“

      „Das weiß ich gar nicht so genau. Du kannst Dir sicher vorstellen, dass ich ab dem Zeitpunkt dieser Beinahe Vergewaltigung ihm soweit wie möglich aus dem Weg gegangen bin. Ich weiß nur, dass er eines Tages plötzlich verschwunden war. Ich war erst sehr erfreut darüber und hoffte, er würde niemals mehr zurückkommen, aber eines Tages fiel es sogar meinem Vater auf, der mich dann fragte, wo denn mein Onkel sei. Als ich ihm sagte, der Schlappschwanz sei schon seit gut zwei Wochen nicht mehr da, da hätte mich mein Vater fast verprügelt.

      Mein Vater hat dann ein großes Tamtam veranstaltet, hat den Polizeichef persönlich angerufen, den besten Detektiv engagiert und so weiter. Mein Vater macht keine halben Sachen. Trotzdem hat keiner auch nur eine Spur von ihm gefunden. Ich hoffte schon, ich müsste das Arschloch nie mehr sehen, da war er plötzlich wieder auf der Matte. Ganz abgemagert und ungepflegt, fast so, als ob er die ganze Zeit, die er verschwunden war, sich weder gewaschen noch die Kleidung gewechselt hatte. Ich hätte ihm am liebsten eine direkt auf sein Maul gehauen, aber er war anders, total anders. Fast wie abwesend. Er reagierte auf gar nichts, sondern saß tagelang nur einfach da und stierte stoisch große Löcher in die Luft. Mein Vater hat dann wieder total überreagiert und wollte schon den beste Psychologen des Landes anrufen, damit er ihn behandelte, als mein Onkel plötzlich aufstand und anfing wirres Zeug in einer unbekannten Sprache von sich zu geben, dann ging er in Küche, holte ein großes Messer und rannte in meinen Pferdestall. Er rannte mit erhobenem Messer direkt zu Silberpfeil meinem besten Pferd und wollte es offensichtlich töten. Dabei schrie er die ganze Zeit ‚sajra wayra’, was in Quechua, der Sprache der Indios soviel wie ‚das Böse’ oder ‚böser Atem’ heißt.