Peter Gnas

Schlussstein


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denkbar, dass man vergessen hat, mich darüber zu informieren.“ Sie machte eine Pause: „Und es kann sein, dass ich eine E-Mail erhielt und sie gedankenlos wegklickte, ohne sie gelesen zu haben. Das ist mir ab und zu passiert.“

      Sie grübelte und rieb sich mit den Fingerspitzen der rechten Hand die Stirn. Rotberg und Sabrina Hamm warteten ab. Er dachte, dass es wahrscheinlich Zeit sei, aufzuhören.

      „Wenn ich etwas übersehen habe, dann weiß ich im Augenblick nicht, was ich anderes getan hätte. Ich hätte einem angemeldeten Handwerker gezeigt, was er tun soll. Ich hätte auch in diesem Fall sicher nicht neben ihm gestanden, um die Arbeit zu kontrollieren.“ Sie sah mit unsicherem Blick zuerst Rotberg und dann Sabrina Hamm in die Augen.

      „Frau Stein“, unterbrach er in einem positiven Ton ihre Gedankenkette, „darum geht es auch nicht. Fragen stellen, ist ein Teil unseres Berufes. Ich lebe ebenfalls ständig in der Angst, etwas zu übersehen und einer Person zu schaden. Wir wollten in Ihnen keine Schuldgefühle auszulösen.“

      Er stand auf und sah seine Kollegin an: „Gehen wir?“

      Er reichte Rose Stein die Hand und legte in einer fürsorglichen Geste die andere Hand auf die ihre. „Frau Stein, versuchen Sie bitte zu schlafen, vielleicht lassen Sie sich ein Schlafmittel geben. Ich lege Ihnen meine Visitenkarte auf den Nachtschrank. Wenn Ihnen etwas einfällt, melden Sie sich einfach, okay? Möglicherweise schauen wir noch mal herein oder wir besuchen Sie zu Hause.“

      „Ach, eine Kleinigkeit möchte ich noch wissen“, sagte Sabrina Hamm, „Ihr Mitarbeiter sagte, dass der Handwerker, den er gesehen hat, auffallend korpulent war. War der, mit dem Sie zu tun hatten, korpulent?“

      „Nein“, Rose Stein lächelte, „das war ein ganz junger drahtiger Mann. Kein Gramm Fett.“

      „Gut, danke – das war’s!“

      Bremen, Montag 09. Februar 2009, 18.05 Uhr

      Auf der Fahrt zum Präsidium suchte Sabrina Hamm im Internet nach dem Installationsbetrieb. Sie rief dort an. „Mist, Anrufbeantworter!“ Auf der Internetseite des Betriebes fand Sie den vollen Namen des Inhabers und eine Mobilnummer. Sie wählte – beim zweiten Klingelton meldete sich eine ältere Frauenstimme.

      „Frau Schreiber? Sind Sie und Ihr Mann Besitzer des Installationsbetriebs Schreiber in Sebaldsbrück?“ Sabrina Hamm lauschte. „Könnte ich Ihren Sohn sprechen?“ Pause. „Okay, vielen Dank.“

      Man muss ihr nichts sagen, sie erledigt alles Wichtige sofort, dachte Rotberg. Das mochte er. Sie nahm die beschriebenen Zettel aus der Jackentasche und studierte die Notizen von soeben.

      „Herr Jonas Schreiber?“, sie hörte zu und stellte sich vor. Dann fragte sie, ob er bei dem Kindergarten die Wartung durchgeführt habe. Jonas Schreiber kannte den Vorgang, er hatte die Arbeiten aber nicht selbst erledigt – die Rechnung hatte er persönlich geschrieben. Wann es jedoch genau war, musste er erst im Betrieb nachschauen. Sie seien seines Wissens nur einmal vor Ort gewesen. Er sagte, dass er über der Firma wohne und gleich nachsehen würde.

      Rotberg sah sie fragend an: „Und?“

      „Er sieht in den Unterlagen nach und ruft zurück.“

      Beide blieben stumm und sahen auf die Straße. Draußen war es mittlerweile Abend geworden. Der Verkehr lief ruhig. Mit ihr wortlos im Auto zu sitzen strengte nicht an. Es gab Menschen, da hatte man das Gefühl, dass man pausenlos Konversation betreiben müsse, nur um keine Beklemmung aufkommen zu lassen. Es hatte mit Vertrautheit zu tun, wenn man gemeinsames Schweigen aushalten konnte.

      Ihr Telefon klingelte. Sie lauschte. „Prima, vielen Dank, Herr Schreiber. Und entschuldigen Sie bitte die Störung.“

      „Er hat in den Unterlagen nachgesehen – der Handwerker war nur einmal für die Wartung da. Ohne Folgereparatur. Die Mutter hatte parallel bei dem Gesellen angerufen und sicherheitshalber nachgefragt.“

      „Ein aufgeweckter Installateur. Ich glaube, den muss ich mir notieren, falls ich einen Klempner brauche.“ Rotberg lächelte.

      „Bei der Stadt erreichen wir wahrscheinlich heute niemanden mehr. Ich kann’s ja mal probieren.“ Sabrina Hamm suchte im Internet nach dem Anschluss. „Anrufbeantworter“, sagte sie mit einem Schulterzucken.

      Rotberg dachte, dass so ein Wischtelefon – das war sein Begriff für Smartphones – nicht so übel sei. Er wollte mit seinem Sohn darüber sprechen, was für ihn das Richtige wäre. Jutta hatte ja auch schon daran gedacht, ihm eines zu schenken. Er scheute jedoch die Lernerei für neue technische Geräte. Sein Telefon klingelte in der Jackentasche.

      „Rotberg!“ Er lauschte. „Was? Ist was passiert? Wir kommen direkt dort hin.“

      „Wir sollen zum Innensenator fahren. Die ganze Mannschaft ist unterwegs, inklusive Polizeipräsident.“

      „Das klingt bedeutend. Haben sie dir was gesagt?“, fragte Sabrina Hamm.

      „Ich habe kein gutes Gefühl“, sagte er mit einem vagen Tonfall. Er spürte, wie sein Herz bis zum Hals klopfte. „Hoffentlich ist nicht noch etwas geschehen.“

      Der Innensenat befand sich in einer schmucken Stadtvilla an der Contrescarpe, der Straße, die entlang des historischen Wallgrabens lief. Der Parkplatz war voller Autos – ungewöhnlich zu dieser Tageszeit. Das Haus war hell beleuchtet. Ein Kamerateam von Radio Bremen lud das Equipment für eine Übertragung aus.

      „Da ist bestimmt was durchgesickert“, meinte Rotberg grüblerisch.

      „Das kann ohne Bedeutung sein“, antwortete Sabrina Hamm. „Der Senator ist oberster Dienstherr der Polizei und zuständig.“

      „Na, wir werden gleich mehr wissen.“ Er hatte deutliche Zweifel in der Stimme.

      *

      Als beide in das große Besprechungszimmer kamen, lief Wesselmann auf sie zu. „Es ist öffentlich!“, flüsterte er halblaut.

      „Was?“, fragte Rotberg. Er begriff nicht.

      „Der Täter hat sich bei Radio Bremen gemeldet und gesagt, dass er eine Bombe gelegt hat!“

      „Wie bitte? Und?“, Rotberg sah Wesselmann fragend in die Augen. „Weiter!“

      „Mehr weiß ich auch nicht.“

      Herbert Franke, der Innensenator kam mit ernstem Gesicht auf Rotberg zu. „Guten Abend Herr Hauptkommissar, wir sind jetzt komplett und können beginnen.“

      „Verzeihung“, sagte Rotberg, „wir haben nicht gewusst ...“

      „... konnten Sie ja nicht“, unterbrach ihn der Senator.

      Er gab Sabrina Hamm die Hand und stellte sich vor: „Franke.“

      „Sabrina Hamm.“

      „Wollen wir?“, der Senator sah in die Runde. Er bat, Platz zu nehmen.

      Auf dem Tisch standen Getränke und Gläser, auf Tellern lagen verpackte Schokoladenriegel. Vor jedem Sitzplatz befanden sich Block und Kugelschreiber. Rotberg merkte jetzt, wie ihm der Magen knurrte – er würde gleich einige Süßigkeiten essen.

      Senator Franke klopfte mit dem Stift an sein Glas. Sofort wurde es still. „Meine Damen, meine Herren“, er sah in die Runde, „ich weiß nicht, was Sie bereits wissen. Ich denke, dass ich den größten Wissensstand besitze. Ich schlage vor, dass ich zunächst berichte, damit alle auf demselben Stand sind. Wir befinden uns noch unter dem Eindruck der Explosion vom Vormittag. Ich konnte mir mit Bürgermeister Cleve vor Ort ein Bild machen. Er wird später zu uns stoßen.“

      Franke deutete auf zwei Männer, die rechts von ihm saßen. „Ich möchte Ihnen, falls Sie die Herren nicht kennen, die Kollegen vom Bundeskriminalamt vorstellen. Neben mir sitzt Jan Hofeld, daneben ...“, er sah auf seinen Block, „... Jonas Schellenberg. Da es sich um einen terroristischen Vorfall handelt, bin ich überzeugt, dass es sinnvoll ist, wenn wir kooperieren. Ich will mich zunächst bei allen