Byung-uk Lee

Stimme aus der Tiefe


Скачать книгу

Hitze, die Haut hatte sich wie ein Zelt straff über jede Rippe gespannt. Prüfend blickte das knochige Gesicht die Umgebung ab. Die blauen Flecken am Hintern bemerkte ich erst später. Zu sehr hatte mich sein nacktes Antlitz erschüttert.

       Nachdem Elham jeweils einen Eimer Wasser über uns ausgekippt hatte, rieb er sich mit einem Stück Seife ein, das er mir reichen wollte. Doch meine Mutter gab mir ein neues Stück. Wieso sie das tat, begriff ich erst Jahre später.

       Liebevoll trocknete sie mich ab und kniff mir in die Nase, während Bassam zitternd beide Arme um den Oberkörper geschlungen hatte. Missgelaunt schmiss sie ihm das Handtuch vor die Füße, mit dem sie mich bereits abgetrocknet hatte.

      „Dafür bist du jetzt alt genug“, sagte Elham.

       Am noch feuchten Handtuch klebte Sand. Trotzdem hob es Bassam vom Boden auf und benutzte es. Dabei rieb er sich den ganzen Sand über den Körper.

       Die Sonne war schon fast untergegangen, als ich von Weitem meinen Vater kommen sah.

      „Baba!“, rief ich und lief ihm entgegen.

       Seine Stirn glänzte vor Schweiß. Lachend hob er mich mit seinen kräftigen Armen in die Höhe.

      „Schön dich zu sehen, mein Sohn“, sagte er, während er mich durch die Luft wirbelte.

       Ich kicherte laut und bemerkte, dass meine Mutter verlegen eine Hand vor den Mund hielt, um ihr Lächeln zu verdecken.

       Den restlichen Weg zur Lehmhütte trug er mich auf den Schultern, obwohl er müde aussah. Bassam stand wie angewurzelt da und sagte kein Wort. Ohne zu grüßen lief mein Baba an ihm vorbei und gab meiner Mutter einen Kuss. Gemeinsam gingen wir in die Hütte. Bassam blieb alleine draußen stehen und setzte sich auf den Felsstein. Sehnsüchtig schaute er sich den Sonnenuntergang an. Er war sogar noch draußen, als wir zu dritt am Tisch saßen und mein Vater das Brot in Stücke riss.

      „Komm endlich rein“, rief er Bassam irgendwann zu. „Der verlauste Bengel treibt mich noch in den Wahnsinn.“

       Selbst wenn Bassam nichts angestellt hatte, fluchte mein Vater über ihn. Mit gesenktem Kopf betrat Bassam die Hütte und griff sich ein Stück Brot vom Tisch, das er mit in seine Ecke neben dem Gussofen nahm. Still aß er dort, während er gelegentlich zu uns rüberblickte. Sobald mein Vater ihn scharf ansah, ließ er wieder den Kopf sinken.

      „Los, geh Holz holen“, brummte Siamak unzufrieden.

       Unverzüglich ging Bassam hinaus. Befehle von meinen Eltern wurden schnell ausgeführt, was ihm durch viele Strafen anerzogen worden war. Meine Familie hatte die Angewohnheit beim Essen sehr wortkarg zu sein. Geredet wurde bei uns überhaupt sehr selten. Jeder sich andeutende Konflikt wurde durch eisernes Schweigen verdrängt. So lebten wir jahrelang. Nur wenn es um Bassam ging, konnten sie laut werden.

       Ich holte das Schahbrett aus meiner Schultasche, während meine Mutter anfing den Tisch abzuräumen. Bassam stand draußen, wo er Äste von vertrockneten Sträuchern abbrach, die er anschließend in einen Flechtkorb legte.

      „Du hast es mir versprochen“, bettelte ich und hielt meinem Baba das Schahbrett entgegen.

       Mit einem Nicken stimmte er mir schließlich müde zu und brachte mir die Regeln bei.

      „Das Spiel erfordert Grips und List“, begann mein Vater, während er die Holzfiguren aufstellte. „Du musst deinem Gegner immer einen Schritt voraus sein und ihn zu Fehlern zwingen. Der Schah und die Dame werden zu Beginn in die Mitte gestellt… “

       Es dauerte eine Zeit bis ich die Regeln vollständig begriffen hatte, obwohl sie mir mein Vater ausführlich und lange erklärt hatte. Das erste Spiel gewann er, wie auch das zweite. Bassam betrat mit dem Korb die Hütte und begann, das Feuer zu schüren, das uns in den kalten Nächten Wärme spendete. Immer wieder schaute er neugierig auf den Tisch. Meine Mutter schlief bereits auf der Pritsche, als wir die dritte Partie begannen. Die trockenen Äste knisterten im Ofen und es breitete sich eine wohlige Wärme im ganzen Raum aus.

      „Du wirst besser“, meinte mein Baba nach den ersten Zügen.

       Seine Worte machten mich so stolz, dass ich übers ganze Gesicht strahlte.

       Schweigend stand Bassam neben dem Tisch und verfolgte unser Spiel.

      „Hast du nichts zu tun!?“, schimpfte mein Vater, als er bemerkte, dass Bassam schon eine Weile gedankenversunken auf das Brett starrte. „Das ist nichts für dich. Du bist zu dumm dafür.“

       Ängstlich zog Bassam sich in seine Ecke zurück und schloss die Augen. Gleichmäßig hob und senkte sich sein Brustkorb, bis er in den tiefen Schlaf gefallen war.

      „Ja, gewonnen“, rief ich vor Freude, als ich meinen Vater Schachmatt setzte und Bassam durch meinen Aufschrei hochschreckte. Neckisch lächelte mein Baba mich an, sodass ich meine Zweifel bekam, ob er mich nicht vielleicht gewinnen ließ.

      „Du hast extra verloren“, beschuldigte ich ihn.

      „Nein, hab ich nicht“, beschwichtigte mich Siamak. „Du hast das Spiel halt schnell verstanden und bist besser geworden.“

       Ich wollte mich nicht mit ihm streiten, deswegen beließ ich es dabei. Bis heute habe ich allerdings meine Zweifel, ob ich wirklich die dritte Partie gewonnen habe oder mein Vater mir einfach ein Erfolgserlebnis schenken wollte.

      ***

      „Kannst du es mir beibringen?“, fragte Bassam und sah mich mit großen Augen an.

      „Du hast doch gehört, was Siamak gesagt hat“, meinte ich. „Du wirst es nicht verstehen.“

      „Bitte, zeig es mir. Ich will es wenigstens versuchen.“

       Da meine Mutter ins Dorf gegangen war und mein Vater noch auf dem Feld arbeitete, ließ ich mich von Bassam überreden, der sich aufgeregt an den Tisch setzte. Misstrauisch über seine Euphorie begann ich die Holzfiguren aufzustellen, so wie es mir mein Baba gezeigt hatte.

       Bassam verfolgte aufmerksam jede Handbewegung, als wenn er so die Geheimnisse des Schahspiels entschlüsseln konnte. Ich stellte sogar seine Figuren auf, weil ich es ihm nicht zutraute.

      „Willst du die Schwarzen oder Weißen?“, fragte ich das Brett vor- und zurückschiebend.

      „Die Schwarzen“, antwortete Bassam, wobei er seinen Blick nicht vom Schahbrett losreißen konnte.

       Er verstand die Regeln erstaunlich schnell, sogar schneller als ich, was mich sehr wunderte. Daher fragte ich mich, wie mein Vater sich täuschen konnte. Vielleicht war Bassam nicht so dumm, wie wir alle dachten.

       Wir spielten vier Spiele und alle gewann er. Mit jeder Niederlage wurde ich zorniger. Ich konnte einfach nicht begreifen, wie mich Bassam so demütigen konnte. Wohlüberlegt tat er jeden Zug und tippte sich dabei mit dem Zeigefinger auf sein Kinn. Die List, die man für dieses Spielt benötigte, schien er zu haben. Neidvoll sah ich dabei zu, wie er jeden Zug von mir zunichte machte oder zu seinem Vorteil kehrte, bis ich beim letzten Spiel die Geduld verlor.

      „Du mogelst doch!“, brüllte ich und schmiss das Brett vom Tisch. Die Figuren rollten in verschiedene Richtungen. Einige unter die Pritsche, andere sogar unter den Gussofen.

      „Nein, das stimmt nicht“, verteidigte sich Bassam.

      „Doch, du hast mich betrogen!“, schrie ich.

       Bassam schwieg und begann, die Figuren vom Boden aufzuheben, während ich enttäuscht aus dem Haus lief. Seitdem habe ich lange Zeit keine einzige Partie mehr gegen ihn gespielt.