Augen und konzentrierte sich auf den Lärm der Straße. Autohupen, Stimmgewirr und Abgase drangen durch das geöffnete Fenster.
Die Sonne war schon fast untergegangen und die Fahrt dauerte länger, als er vermutet hatte. Der weiße Opel war weit aus dem Stadtgebiet gefahren. Sie durchquerten nun eine trostlose Landschaft aus braungelbem Gestein. Der Boden war uneben. Ungeeignet für den Dienstwagen. Jedes Mal wenn das Auto heftig ruckelte, fluchte der Fahrer. Gelegentlich kam die ein oder andere Lehmhütte ins Sichtfeld, ansonsten war weit und breit nur trockene Einöde zu sehen.
„Verdammt, diese Straße ist zum Kotzen“, schimpfte der Große laut.
„Beruhig dich, wir sind ja gleich da.“ Sein Kollege klopfte ihm versöhnlich auf die Schulter.
Der Dienstwagen blieb abrupt stehen und der Motor kam zum Stillstand. Yassir blickte sich um, aber er konnte nirgends ein Gebäude sehen, das nur annähernd wie ein Gefängnis aussah.
„Was wollen wir hier?“, fragte er.
„Das müssten Sie doch jetzt wissen“, meinte der Polizist. „Sie wollten mit dem Gefangenen sprechen.“
Fast gleichzeitig schwangen sich die Polzisten aus dem Auto. Einer von beiden ging einige Meter und blieb stehen. Der andere öffnete den Kofferraum, aus dem er einen blauen Holzstuhl herausholte.
„Warten Sie auf mich!“, rief Yassir dem Größeren zu, der sich schon fast fünfzig Meter von ihm entfernt hatte und nun auf den Boden blickte.
Als er ihn fast erreicht hatte, sah Yassir zu seiner Verwunderung, weswegen der Polizist nach unten schaute. Mitten in der steinigen Wüste war ein rostiges Eisengitter im Boden eingelassen worden, das ein etwa zehn Meter tiefes Loch absperrte. Ungläubig starrte Yassir in die Dunkelheit.
„Da unten“, sagte der Polizist. „Sprechen Sie mit ihm. Wir werden im Wagen auf Sie warten.“
Der andere hatte das Loch nun auch erreicht und stellte den Holzstuhl direkt vor das Gitter. Bevor beide gingen, schmiss der Kleinere einen Stein ins Loch, der schallend auf den Grund fiel.
„Hussein, du hast Besuch!“, rief er und verfiel dabei in höhnisches Gelächter.
Es war immer noch sehr heiß. Verschwitzt sank Yassir langsam auf den Stuhl nieder, der so blau wie der Himmel am Nachmittag über ihm war.
„Können Sie mich hören?“, fragte er etwas lauter. Das leichte Echo, das zurückschallte, ließ ihn zusammenzucken. Verunsichert blickte er zum Dienstwagen, aus dem der Gesang von Mohammad-Resa Schadscharian zu hören war. Beide Polizisten nickten im Takt der Musik.
„Ich habe mir Ihre Stimme ganz anders vorgestellt.“ Wie aus dem Nichts war eine leise Antwort zu hören, fast wie ein Flüstern, aber Yassir konnte die Stimme sofort einem etwas jüngeren Mann zuordnen. Ein Junge, wie Iraj gemeint hatte, war er allerdings nicht.
„Bitte, sag mir, wo sich Bassam befindet.“
Der Gefangene blieb stumm.
„Bitte, ich flehe dich an. Sag mir, wo ich meinen Sohn finde.“
„Sie stellen eine Forderung, ohne zu wissen, was ich von Ihnen will!?“ Yassir atmete erleichtert auf, als der Mann ihm endlich eine Antwort gab.
„Was willst du von mir? Was soll ich tun? Ich werde alles für dich tun!“
„Ich will Zeit.“
Es war schon fast dunkel und Yassir hatte kaum noch Nerven mit dem Unbekannten zu verhandeln.
„Zeit!?“
„Sie haben richtig gehört. Zeit, Ihre Zeit. Hören Sie mir nur zu, was ich Ihnen zu erzählen habe und ich werde Ihnen sagen, wo Sie Bassam finden werden.“ Die Stimme des Gefangenen klang kräftig und selbstbewusst.
Vergeblich versuchte Yassir zu erkennen, wie der Insasse aussah, da er in einer Ecke kauerte, die abgedunkelt war. Nur die Stimme schallte geisterhaft zu ihm hoch.
„Ich werde dir zuhören, aber sag mir bitte, wo sich Bassam befindet.“
Yassir kniete jetzt vor dem Loch. Die spitzen Steine bohrten sich in seine Schienbeine.
„Ich möchte mit Ihnen eine Vereinbarung treffen. Sie werden mich die nächsten Tage besuchen. Ich werde Ihnen erzählen, woher ich Bassam kenne und wie ich hier gelandet bin. Einzige Bedingung wird sein, dass sie mir bis zum Ende zuhören, ohne mich zu drängen oder ständig nach Ihren Sohn fragen. Dann werde ich Ihnen sagen, wo er sein wird. Haben Sie mich verstanden?“
Eine Forderung, deren Zustimmung Yassir viel Überwindung kostete. Denn er wollte so schnell wie möglich eine Antwort.
„Woher weiß ich, dass du die Wahrheit sagen und Wort halten wirst?“
„Haben Sie eine andere Möglichkeit, als mir zu glauben?“
„Nein.“ Yassir blickte betrübt auf den Boden.
Die wärmende Abendsonne war bereits untergegangen und Dunkelheit umgab ihn, wie sie Hussein in diesem Loch umgab. Es war bitterkalt geworden. Yassir zitterte am ganzen Leib und er fragte sich, wie der Gefangene unter diesen Umständen leben konnte.
„Dann fahren Sie jetzt heim zu Ihrer Frau und kommen morgen wieder. Ich bin müde.“
Zuerst wollte Yassir noch etwas sagen, aber er hielt inne und machte sich zurück auf den Weg zum Auto. Die Sterne leuchteten am Himmel und der Mond hing wie ein blasser Ball über ihm.
Mit einem dumpfen Geräusch fiel die Autotür zu. Der große Polizist, der eingeschlafen war, schreckte hoch, während sein Kollege sich gerade im Radio die Nachrichten anhörte. Die Stimme von Ayatollah Ali Chamene'i, der gerade eine Rede hielt, tönte aus den Lautsprecherboxen.
„Und konnten Sie etwas rausfinden?“, fragte der Polizist mit schläfrigen Augen. Es waren die ersten Worte seit einer langen Zeit, die ihm zugedacht waren.
„Nein“, seufzte Yassir resigniert.
„Hätte mich auch gewundert. Dieser kleine Bastard, ich trau ihm nicht. Alles dreckiges Pack, die aus dem Süden“, meinte der Kleine, während er den Zündschlüssel drehte.
Das Auto fuhr langsam an. Durch das Rückfenster blickte Yassir zurück, aber die Staubwolke, die das Auto hinter sich aufwirbelte, versperrte ihm die Sicht.
***
Völlig erschöpft stand Yassir vor der Haustür. Die Schlüssel hatte er bereits in der Hand, aber er zögerte hineinzugehen, da in der Wohnung noch Licht brannte. Nia war wahrscheinlich noch wach und würde eine Erklärung verlangen. Der Tag hatte nichts Ertragreiches gebracht, was ihn am meisten frustrierte, und seine Frau war unnötig in Aufruhr geraten.
Als er die Küche betrat, sah er Nia am Tisch sitzen. Vor ihr dampfte eine Tasse mit schwarzem Tee, in die sie nachdenklich hineinblickte. Sie bemerkte ihn erst eine Weile später und stand sofort von ihrem Platz auf.
„Konnte er dir etwas sagen?“, fragte sie. „Sag doch etwas.“
Yassir atmete tief aus und wusste nicht, wie er seiner Frau die Situation schonend erklären sollte.
„Es wird noch etwas dauern, bis ich erfahren werde, wo er sich befindet.“
„Wie meinst du das? Ich versteh dich nicht.“
Nia sank wieder auf den Stuhl, während sie sich mutlos die Hand vor den Mund hielt.
„Wir müssen uns gedulden, es wird sich etwas ergeben.“
„So wie du damals schon meintest und du trotzdem nichts erreicht hast.“ Die Wut und Enttäuschung keimten wieder in ihr auf, was Yassir an ihren zitternden Lippen bemerkte, aber diesmal ging sie nicht auf ihn los.
Umgehend ging Yassir ins Badezimmer, wo er sein Gesicht mit kaltem Wasser benetzte. Das Spiegelbild zeigte ihm, dass dieser aufreibende Tag nicht spurlos an ihm vorbeigezogen war. Er sah Augenringe und eine ausdruckslose Miene. Mit hängenden Schultern ging er ins