Byung-uk Lee

Stimme aus der Tiefe


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nicht mehr so nahe gewesen. Ihre Wärme tat ihm gut. Wortlos drehte sie sich um und ging zurück ins Schlafzimmer.

      ***

      Das gleißend helle Licht schmerzte. Seine Augen mussten sich erst daran gewöhnen. Yassir hielt sich die Hand schützend vor das Gesicht. Der kleine Polizist saß bereits am Steuer, während sein Partner rauchend am Wagen lehnte. Als er Yassir erblickte, warf er die Zigarette umgehend in den Staub, wo die Glut ein letztes Mal aufglomm.

      Während der Fahrt waren beide sehr schweigsam. Yassir saß auf der Hinterbank, die durch ein schwarzes Metallgitter von der Fahrerkabine getrennt war. Gelegentlich blickte der Große zurück, um mit ihm ein paar Worte zu wechseln. Small Talk, ansonsten kein Wort über seinen verschwundenen Bassam. Der Fahrer schwieg die ganze Fahrt lang.

      „Stammen Sie aus Teheran?“, fragte der Polizist.

      Yassirs Antwort bestand nur aus einem Nicken. Für so ein belangloses Gespräch fehlten ihm in diesem Moment die Nerven.

      „Ich komme aus Kisch, ist ne Insel im Süden. Ich mag die Hauptstadt eigentlich nicht. Zu viel Lärm, zu viele Menschen, schlechte Luft …“

      Yassir nahm die Worte nur als unklares Hallen wahr. Aus dem Seitenfenster konnte er sehen, wie Hochhäuser und Lehmhütten an ihm vorbeisausten. Alte Bauten eingezwängt zwischen der Moderne einer Metropole. Kinder jagten einem braunen Lederball nach, was in Yassir augenblicklich die Erinnerung an Bassam hervorrief. Ihm war schlecht und er spürte ein Druckgefühl in der Brust.

      „Halten Sie den Wagen an“, rief er plötzlich.

      Sie befanden sich gerade auf einer Brücke. Das Auto kam ruckartig zum Stillstand. Yassir stieß die Tür auf und bückte sich über das Geländer. Beide schauten ihm im Wagen sitzend dabei zu, wie er sich übergab. Yassir war es mehr als unangenehm. Keuchend krallte er sich am Stahlgeländer fest, während er auf die Straße, die unter der Brücke herführte, hinunterblickte. Die Autos rasten wie Blutkörper über die pulsierenden Adern aus Asphalt. Über seine Schulter hinweg bemerkte er, dass den beiden Polizisten die Situation genauso unangenehm war. Starr schauten sie durch die Frontscheibe ihres weißen Opels. Yassir brauchte noch einen Moment, bevor er wieder ins Auto stieg. Etwas fester zog er die Seitentür zu, die beim Zufallen ein dumpfes Geräusch von sich gab. Die Fahrt wurde unmittelbar fortgesetzt. Etwas schneller als vorher fuhr der Fahrer sogar. So schnell wie möglich wollten sie ihn zur Polizeistation bringen. Beide sprachen über ihre Ehefrauen und Kinder. Keiner von ihnen wagte es noch, ein weiteres Gespräch mit ihm zu suchen.

      Endlich erreichten sie ihr Ziel. Die Polizeistation war von einem schwarzen Eisengitter umzäunt. Vor dem feudalen Eingang flatterte die iranische Flagge an einer hohen Stange im heißen Sommerwind.

      „Wir werden hier auf Sie warten“, sagte der Kleine. „Nachher bringen wir Sie wieder heim.“

      Beide blieben auf der Treppe stehen und unterhielten sich. Mühsam stieg Yassir die Stufen hinauf. Mit der ständigen Furcht im Nacken, was ihm in diesem riesigen Gebäude erwarten würde. Andere Polizisten kamen ihm entgegen. Alle gekleidet in gestriegelt aussehenden Uniformen.

      ***

      Das Büro des Polizeichefs war deutlich geräumiger als die der anderen Abteilungen. Die Tür stand offen und Yassir sah einen Mann, der gerade nachdenklich aus dem Fenster blickte. Beide Hände hatte er hinter dem Rücken verschränkt und durch die Sonnenstrahlen konnte man jede einzelne Falte in seinem Gesicht erkennen.

      Yassir klopfte gegen den Türrahmen, woraufhin der Mann leicht erschrocken herumfuhr. Die ernste Miene blickte ihn prüfend an. Sofort bemerkte Yassir, weswegen diese Person es bis zum Polizeichef gebracht hatte. Schon allein seine Erscheinung strahlte Autorität aus. Die Uniform, die straff an seinem korpulenten Körper saß, war glattgebügelt und es befand sich kein einziges Staubkorn auf ihr. Auf dem Gesicht konnte man eine Spur von Argwohn und Strenge erkennen. Über der Brusttasche hingen verschiedene silberne und goldene Orden, die das Sonnenlicht, das ebenfalls auf seine Glatze fiel, reflektierten.

      „Treten Sie ein und Setzen Sie sich, Aghaye Navid“, sagte er und nahm selbst auf einem schwarzen Ledersessel Platz. Auf dem wuchtigen Schreibtisch stand eine kleine Messingstange mit der iranischen Flagge und hinter ihm hing ein überdimensionales Bild von Mahmud Ahmadinedschad an der Wand. Die kalten Augen des Staatspräsidenten, der im letzten Jahr gewählt worden war, blickten Yassir drohend an. Als wenn dieser wüsste, dass er für Rafsandjani gestimmt hatte.

      „Aghaye Navid, ich bin Polizeichef Said Iraj. Sie fragen sich sicher, wozu ich Sie hierher beordert habe.“ Entspannt legte Iraj beide Arme auf die Lehnen. Seine Augen, unter denen sich schwere Tränensäcke befanden, blickten Yassir mit unendlicher Geduld an.

      „Es geht um meinen Sohn“, antwortete Yassir. „Bitte sagen Sie mir, wo er sich befindet.“

      Seine Stimme zitterte ein wenig bei diesen Worten, was dem Polizeichef nicht entging.

      „Das kann ich leider nicht.“ Die Antwort Irajs kam mit Verzögerung. „Ich kann natürlich Ihren Schmerz verstehen, ich selbst hatte drei Söhne. Einer von ihnen ist vor zwei Jahren bei einem Autounfall gestorben.“

      Verlegen senkte Yassir den Kopf und schwieg.

      „Was ich tun kann“, setzte Iraj seine Rede fort, „ist Sie zu der Person zu bringen, die weiß, wo er sein könnte.“

      „Wer ist es?“, fragte Yassir.

      „Sein Name ist Djamal Hussein und er stammt aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Jiroft. Zurzeit halten wir ihn wegen einer Straftat fest. Er kennt Ihren Sohn.“

      „Woher sollte er meinen Sohn kennen?“ Yassirs Atem wurde schwerer, sodass ihm das Reden immer mühsamer fiel.

      „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Vielleicht habe ich meine Worte etwas unpräzise gewählt. Er behauptet zumindest Ihren Sohn zu kennen.“

      „Das ist der einzige Hinweis? Wieso haben Sie ihn nicht direkt über den Aufenthaltsort meines Sohnes befragt? Dieser ganze Aufwand wegen einer vagen Vermutung!?“ Yassirs anfänglicher Unmut schlug nun in Frustration um.

      „Das haben wir“, meinte Iraj und zögerte wieder. „Wir haben bei dem Gefangenen sogar verschiedene Verhörtechniken angewandt, aber Sie kennen diesen Jungen nicht. So einen zähen Burschen habe ich noch nie gesehen. Er hat beharrlich darauf bestanden, nur Ihnen diese Information mitzuteilen.“

      Yassir schwieg. Denn er wusste, was der Polizeichef mit Verhörtechniken meinte. Er selbst hielt nicht viel davon, Menschen zu quälen, damit sie Antworten preisgaben.

      „Wollen Sie ihn jetzt sehen oder nicht?“ Die Stimme Irajs klang schlagartig unruhig. „Aghaye Navid, ich habe hier noch einen Haufen Arbeit zu erledigen. Bitte treffen Sie eine Entscheidung.“

      „Natürlich möchte ich mit ihm sprechen“, sagte Yassir mit einer solchen Hast, die ihn selbst überraschte.

      Iraj murmelte etwas Unverständliches, während er nach dem Telefonhörer griff. Einen Augenblick später standen die beiden Polizisten mit Schnauzbart im Büro. Beide hatten sich in strammer Haltung vor dem Polizeichef postiert.

      „Bringt ihn hin!“, befahl Iraj, woraufhin beide Yassir ohne Verzögerung zur Tür begleiteten.

      „Aghaye Navid, da wäre noch etwas.“

      Alle drei drehten sich um. Der Polizeichef zog seine Stirn kraus.

      „Der Gefangene befindet sich in Spezialverwahrung. Bitte wundern Sie sich nicht darüber.“

      „Sitzt er nicht im Evin?“

      „Nein, er selbst hat darauf bestanden, woanders einquartiert zu werden.“

      ***

      Das mulmige Gefühl im Magen war immer noch nicht ganz verschwunden, weswegen Yassir das Seitenfenster runterkurbelte. Diesmal saß der Größere am Steuer. Beide Polizisten unterhielten sich miteinander und ignorierten ihn wieder. Das war Yassir nur recht. Grübelnd blickte er aus dem Fenster. Die heiße Sommerluft