Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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war ...

      Sochon wäre nicht so lang König geblieben, wenn er sich nicht neben Adriano und seinen Leuten auch einen zweiten Geheimdienst geleistet hätte. Mit einem Seufzer nahm er das Telefon auf und begann eine Nummer zu wählen. Schlechte Nachrichten verbreiten sich schnell.

       24 GENESUNG

      Das erste, was ich höre, ist aufgeregtes Gemurmel. Dazwischen flüstert eine vertraute Stimme immer wieder „Lana, Lana“!

      Als ich die Augen aufschlage, nehme ich benommen wahr, dass es Maman ist, die aus unerfindlichen Gründen mit der Hand gegen meine Wange schlägt und immer wieder meinen Namen ausspricht.

      „Was ist los, lass mich doch schlafen.“ Ich will mich umdrehen und mir die Decke über den Kopf ziehen und merke plötzlich, dass ich nicht in meinem Bett, sondern auf hartem Bretterboden liege. Verwirrt setze ich mich auf. Um mich herum stehen lauter Leute, die ich zuerst gar nicht erkenne. Sie starren mich alle neugierig an. Plötzlich tauchen Fleur und Pauline in meinem Gesichtsfeld auf und hocken sich neben mich.

      „Mensch Lana, was machst du denn für Sachen?“ beschwert sich Fleur. Pauline nickt zu diesen Worten mit verkniffenen Lippen und angstgeweiteten Augen.

      Ich bin mir nicht bewusst, irgendwelche Sachen gemacht zu haben. „Was ist denn los, was habt ihr denn alle?“

      „Du bist umgekippt, Chérie, einfach so.“ Meine Mutter hält mir ein Glas Wasser an die Lippen. „Bitte trink etwas, das wird dir gut tun.“ Dabei sieht sie mich besorgt an.

      Gehorsam nehme ich ein paar Schlucke Wasser und schaue mich dabei verstohlen um. Ich stelle fest, dass ich mitten in der Strandbar auf dem Fußboden sitze. Wie peinlich! Ich will hier weg.

      Hinter den Köpfen der Menschen, die um uns herumgestanden haben und sich nun langsam zerstreuen, bemerke ich plötzlich den Fernseher und schlagartig kommt die Erinnerung zurück. „Nein!“ stoße ich aus und wehre das Wasserglas ab. „Nein!“ Ein trockenes schmerzhaftes Schluchzen steigt aus meiner Kehle und ich schlage die Hände vor das Gesicht. Ich will nicht mehr daran denken, das Bild von Felix mit ihren schrecklich verwirrten alten Augen und dem faltigen Mund aus meinem Gedächtnis löschen, nichts mehr wissen, alles vergessen.

      „Nicht weinen Chérie, sch, sch, sch.“ Maman nimmt mich in den Arm und wiegt mich sacht. Starke Hände heben mich plötzlich vom Boden hoch. Während Papa mich zu unserem Stellplatz führt, presse ich mein Gesicht an seine Schulter. Ich sacke immer wieder zusammen. Er trägt mich mehr, als dass ich laufe.

      Maman eilt voraus und öffnet die Tür zu unserem Wohnwagen. Im hinteren Bereich gibt es eine lange Seitenbank, auf die ich mich sinken lasse, während meine Mutter mir ein Kissen unter den Kopf schiebt. Ich drehe mich zur Wand und weine. Ich kann die Tränen nicht mehr aufhalten. Sie laufen einfach aus mir heraus wie ein nicht enden wollender Strom. Meine Kehle verkrampft sich schmerzhaft vom vielen Schluchzen. Ich spüre, wie Maman mir eine leichte Decke überlegt, ziehe darunter die Beine an die Brust und umklammerte meine Knie.

      Durch das geöffnete Seitenfenster dringt das besorgte Gemurmel meiner Eltern an mein Ohr. „Das war alles zu viel für sie“, flüstert Maman.

      „Ob wir wohl besser einen Arzt holen?“ Auch Papas Stimme klingt eher ratlos.

      Ich könnte ihnen ja erzählen, was mit mir ist, was mich so wahnsinnig traurig macht. Aber wie sollte ich ihnen klar machen, was ich gesehen habe? Wer würde mir glauben, dass die alte Frau in den Bergen Felix ist? Sie würden mich für verrückt erklären und ich könnte es ihnen noch nicht einmal verdenken.

      Verzweifelt umklammere ich meine Knie und schluchze erneut laut auf. Mir ist kalt, ein Schauer läuft durch meinen ganzen Körper und ich beginne, unkontrolliert zu zittern. Ich presse die Augen zusammen, um die immer wiederkehrenden Bilder von Felix aus meinem Kopf zu verdrängen.

      Eine Hand legt sich auf meine Stirn, während eine schwere, warme Decke über meinen Körper gleitet. „Sie ist ganz heiß! Ich glaube, wir brauchen doch einen Arzt“, höre ich meine Mutter noch sagen, dann falle ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

      Als ich die Augen aufschlage, sehe ich Diego vor mir. Er hält meine Hand.

      Das kann nicht sein, denke ich und flüstere „Ich träume.“ „Lana, Lana“, höre ich seine Stimme und muss lächeln. Ein schöner Traum. Ich spüre eine warme Hand auf meiner Wange, schmiege mich daran und will wieder einschlafen.

      „Ist sie wach?“ Mamans besorgte Stimme reißt mich in die Wirklichkeit zurück.

      „Noch nicht wirklich, sie denkt noch, dass sie träumt, aber sie wird gleich aufwachen“ Wieder Diegos Stimme!

      „Woher wissen Sie das?“ Papa klingt skeptisch.

      „Ich spüre es!“ sagt Diego bestimmt und ich überlege, ob ich vielleicht doch nicht träume, vor allem, weil ich genau merke, wie die Hand an meiner Wange verschwindet.

      „Diego?“, es ist eher ein Krächzen, was da aus meinem Mund kommt, während ich ungläubig die Augen aufschlage.

      „Ja Lana, ich bin hier“, sagt Diego und lächelt mich zärtlich an.

      „Aber, aber, wie, was?“ ist alles was ich stammeln kann, während ich ihn anstarre, wie eine Erscheinung.

      „Chérie, endlich!“ Meine Mutter beugt sich über mich und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Dabei verdeckt sie die Erscheinung, die wie Diego spricht.

      Ich richte mich auf, um mich zu vergewissern, dass das alles keine Täuschung, kein Traumbild ist. Tatsächlich sitzt Diego auf meiner Bettkante. Er hat meiner Mutter, die mir einen Becher mit warmem Tee an die Lippen hält, etwas Platz gemacht. Ich trinke in gierigen Zügen, denn ich habe großen Durst. Dabei starre ich weiter auf Diego und rechne damit, dass er sich jeden Moment in Luft auflöst.

      Nichts dergleichen passiert. Er lächelt mich weiterhin an und Papa erscheint nun auch in meinem Blickfeld. „Na, wie geht’s dir, Kleines?“

      „Ich glaube, ganz gut.“ Ich weiß es nicht wirklich, denn ich denke immer noch, dass dies alles nicht wahr sein kann. Wieso sollte Diego hier in unserem Wohnwagen sitzen? Meine Eltern kennen ihn doch gar nicht.

      Diego steht auf und sagt leise: „Ich werde jetzt gehen. Ich denke, wir müssen keine Angst mehr haben. Lana wird wieder gesund!“ Mit diesen Worten lächelt er mir zu, drängt sich an meinen Eltern vorbei durch den engen Wohnwagen und verschwindet aus meinem Gesichtsfeld.

      „Ja, ich glaube auch“, Maman nickt und schaut mich ernst an. Seit wann glaubt sie das, was ein Fremder sagt? Diego ist doch kein Arzt, oder doch? Wer ist er eigentlich überhaupt?

      Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, kommt Pauline hereingestürmt. „Lana, endlich, wir haben uns schon solche Sorgen gemacht! Wie kannst du uns das nur antun?“ sprudelt es nur so aus ihr heraus.

      „Wo kommst du denn her?“, will ich von ihr wissen.

      „Ich hab draußen gewartet. Fleur ist auch da. Mann, wir hatten echt Angst um dich!“

      Nun komme ich aber doch langsam ins Grübeln. Noch jemand, der sich Sorgen um mich gemacht hat? Ich habe mich doch nur etwas ausgeruht. „Was habt ihr denn nur alle? Ich hab ein bisschen geschlafen, na und?“

      „Na und?“ Pauline schaut mich mit großen Augen überrascht an. „Du bist gut. Zwei ganze Tage und Nächte hast du gepennt und da soll man sich keine Sorgen machen dürfen?“

      „Echt?“ verwirrt schaue ich meine Eltern an, die mit ernster Miene dazu nicken. Mit einem Mal sehe ich, dass ihre Gesichter ganz blass sind. Papa, der immer so auf sein Äußeres achtet, hat sich wohl schon einige Zeit nicht mehr rasiert. „Wir hätten dich fast schon ins Krankenhaus gebracht, wenn Diego nicht gewesen wäre. Er war so fest davon überzeugt, dass du nur ein wenig Ruhe brauchst, dass wir dich haben schlafen lassen“, sagt er.

      „Man kann doch nicht so lange schlafen, ohne dass man mal muss und