Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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draußen war das Wasser nicht so warm gewesen, wie an den Stränden und erste Anzeichen von Unterkühlung hatten sich bemerkbar gemacht. Plötzlich war Renos Frau zusammen mit der Kleinen weggesackt.

      Reno hatte versucht zu tauchen, aber seine Muskeln waren ganz starr und hart wie Stein gewesen, und er hatte unter Wasser nichts sehen können. Er hatte gemerkt, dass er selbst es auch nicht mehr schaffen würde, die Oberfläche zu erreichen, aber das war ihm schon egal gewesen. Besser, hier und jetzt umkommen, als allein weiterzuleben.

      Kurz bevor er das Bewusstsein verlor, hatte Reno plötzlich tastende Hände an seinem Körper gespürt. Das konnte nur seine Frau sein, und er hatte es als tröstlich empfunden, in so enger Verbundenheit mit ihr zu sterben. Seltsamerweise hatten die Hände dann aber fest zugegriffen und ihn kraftvoll in Richtung Licht geschoben. Er war zu schwach gewesen, zu bemerken, was geschehen war. Er hatte die Oberfläche noch nicht erreicht, da war es endgültig schwarz um ihn herum geworden.

      Das Nächste, woran Reno sich erinnerte, war, dass er sich an Bord der Dark Diamond befand, einer Luxusyacht unter amerikanischer Flagge. Der Skipper, ein gewisser Gomez, hatte sie an Bord genommen und sowohl Renos Frau als auch seiner Tochter ging es schon wieder recht gut.

      Dieser Gomez schien ein mächtiger Mann zu sein und er führte ein strenges Regiment auf seinem Schiff. Er wies den Renos eine luxuriös ausgestattete Zweibettkabine zu, die sie nur mit seiner Erlaubnis verlassen durften, und sie hielten sich daran. Sie waren vom Bordarzt versorgt worden. Seine Frau und seine Tochter waren schon eingeschlafen und er selbst war so erschöpft gewesen, dass er in einem der Sessel eingenickt war.

      Zurück in Saint Maxime war die Dark Diamond auf Reede gegangen und man hatte die Renos mit einem Beiboot an Land gebracht. Bevor sie das Schiff verließen, hatte Gomez gefragt, ob er der Reno von der Kripo in Grimaud sei.

      Reno hatte bejaht und Gomez hatte von ihm verlangt, dass er sich am nächsten Tag mit ihm treffen solle.

      Für Reno war noch längst nicht alles geklärt, was mit Gomez und dem plötzlichen Auftauchen der Dark Diamond zusammenhing. Die ganze Rettungsaktion war ihm ein einziges Rätsel, also hatte er zugestimmt, um mehr zu erfahren.

      Er war nicht sehr überrascht gewesen, als Gomez ihm vorschlug, doch ein wenig Kontakt zu halten, um hier und da ein paar Unebenheiten zu begradigen. Solche Angebote bekam er fast jeden Monat, und bislang hatte er sie alle ausgeschlagen. Bislang! Denn Gomez hatte seiner ganzen Familie das Leben gerettet, und so hatte Reno zögernd zugestimmt.

      Das alles war nun lange her und im Laufe der Zeit hatte Reno so einige Mosaiksteinchen zusammensetzen können. Er wusste, dass er es mit Leuten zu tun hatte, die sich als eigene Rasse, als eigenes Volk verstanden, das nach eigenen Regeln lebte. Wenn sie auch ein paar sehr fragwürdige Gewohnheiten hatten, und Fähigkeiten, über die man besser nicht weiter nachdachte, da war nichts, was ein normales Gericht hätte aburteilen können. Diese Leute waren nicht wirklich kriminell, nur anders, also konnte er auch darauf vertrauen, dass sie ihre Verbrecher nach eigenen Gesetzen bestraften. Trotzdem war es ihm nicht wohl bei dem Gedanken, sie der offiziellen Gerichtsbarkeit entzogen zu haben. Nur allzu gern hätte er den Eltern von Felix die Täter präsentiert, aber das kam nicht in Frage. Diebstahl von Lebenskraft war leider kein Delikt, das im Strafgesetzbuch vorkam.

      Die Daggets! Reno nahm sich vor, morgen die psychiatrische Klinik zu besuchen, in der Felix untergebracht war. Dann würde er die Eltern informieren, dass er möglicherweise ihre Tochter entdeckt hatte, die an einer seltsamen Krankheit litt. Den Rest an Zweifeln würden der Erkennungsdienst und das Labor beseitigen können. Schließlich musste es in dem Wohnmobil noch massenhaft Fingerabdrücke und DNA-Spuren der Kleinen geben. Er dachte daran, wie das Wiedersehen wohl verlaufen würde und unwillkürlich ballte sich seine Hand zur Faust. Im Moment wünschte er sich nichts mehr, als Dolores und Adriano Del Toro in einer Gefängniszelle zu sehen. Sollten sie da doch langsam und qualvoll zugrunde gehen. - Aber dieser Wunsch musste unerfüllt bleiben.

      Nein, Commissaire Reno war nicht mit sich zufrieden. Absolut nicht!

       26 DER LASTWAGEN

      Früh am Morgen kommt Diego wie versprochen zu unserem Stellplatz, um mich abzuholen. Mir geht es wirklich schon viel besser. Ich habe ohne wilde Träume fast die ganze Nacht durchgeschlafen. Vielleicht liegt das daran, dass ich endlich etwas tun kann.

      Nach einem höflichen Wortwechsel mit meinen Eltern gehen wir zusammen zum Parkplatz an der Einfahrt des Neptune. Wir steigen in sein Auto, ein Cabrio. Ich bin so aufgeregt, dass mir überhaupt nicht auffällt, was das für ein Wagen ist. Hauptsache er fährt und bringt mich nach dort, wo ich unbedingt hin will. In die Berge von Mons. Was werden wir heute wohl herausbekommen?

      Diego schaut mich lächelnd an, als ich neben ihn auf den Beifahrersitz gleite. „Bereit?“ fragt er.

      „Ja!“ sage ich und lächele zurück. Er sieht in diesem weichen Morgenlicht so unglaublich gut aus und ich sitze neben ihm, ganz nah! Plötzlich beugt er sich vor, berührt mit der Hand leicht meine Wange und küsst mich ganz sacht auf den Mund. Mir wird ganz schwindelig vor Glück. Ich schließe für einen kurzen, viel zu kurzen Moment die Augen, denn schon lässt er mich los, dreht den Zündschlüssel und lässt den Motor an.

      Als wir losfahren, sehe ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung hinter einer der Pinien. Ich drehe mich um. War das Pascal? Was macht der denn hier so früh am Morgen? Ich sehe, wie er auf den Parkplatz rennt, in ein blaues Auto steigt und etwas auf den Beifahrersitz wirft. Der Motor heult auf und sein Wagen schießt förmlich aus der Parklücke heraus.

      Wir sind schon am Tor und fädeln uns in den eher mäßigen Verkehr auf der Hauptstraße ein. Ich drehe mich wieder nach vorne. „Ich glaube, Pascal will uns verfolgen!“

      „Ist das der Typ, der mich einen Dealer genannt hat?“

      „Ja!“ Ich schaue nochmals kurz zurück und sehe, wie Pascal sich knapp vor einem Lieferwagen auf die Straße zwängt. „Du, der kommt uns wirklich hinterher.“

      Diego zuckt mit den Schultern. „Keine Chance“ ist alles, was er dazu zu sagen hat. Gelassen fährt er weiter. Ich schaue noch mal nach hinten. Pascals Wagen ist vier Fahrzeuge weit hinter uns in der Autoschlange. „Warum in aller Welt verfolgt der uns?“

      „Mach dir keine Gedanken. Den sind wir bald los.“

      Wir verlassen die Küstenstraße und biegen ab in das Hinterland. Diego beschleunigt und ich binde schnell meine Haare zusammen, weil sie mir im Fahrtwind unkontrolliert um mein Gesicht herumflattern. Das ist zwar einerseits ein schönes Gefühl von Freiheit und Abenteuer, aber andererseits doch eher lästig, weil man außer flatternden Haaren nicht besonders viel sieht von der Welt.

      Ich schaue mich noch mal um, aber von Pascal ist nichts mehr zu sehen. Vielleicht habe ich mich ja doch getäuscht.

      Die Sonne ist noch nicht so heiß und der Fahrtwind streicht mir fast schon zärtlich über mein Gesicht. Immer wenn wir an Olivenhainen oder Kiefernwäldchen vorbeikommen, höre ich das Lärmen der Zikaden. Das ist der Süden, das ist Urlaub. Für einen Moment vergesse ich das Ziel unserer Fahrt und genieße einfach dieses tolle Gefühl.

      Der Wagen schnurrt die Steigungen empor, dass es eine wahre Freude ist. „Schönes Auto“, versuche ich ein Gespräch zu beginnen.

      „Dieses hier? Der Porsche?“ fragt Diego.

      Ich nicke. Aha, ein Porsche also, war mir vorhin gar nicht aufgefallen. Mir kommen Pascals dumme Vermutungen wieder in den Sinn. Ich beobachte Diego von der Seite. Seine dunklen Haare flattern leicht im Wind, sein markantes Profil wirkt einfach nur lieb, wie er so konzentriert auf die Straße schaut. - Blödsinn, denke ich und bin fest entschlossen, diese Fahrt mit Diego einfach zu genießen, was auch immer dabei heraus kommen mag.

      Verstohlen schaue ich mich um und betrachte den vielversprechenden Picknick-Korb, den Diego auf dem Notsitz sicher verstaut hat. Das passt ja nun wirklich nicht zu einem Dealer, oder? Ich räkle mich wohlig auf dem Sitz und lasse mir die langsam kühler werdende Bergluft durch die Haare wehen.

      Nach