Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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dem Klo?“

      „Nein!“ Maman lacht, „Natürlich nicht auf dem Klo! Hier im Bett haben wir dir ein bisschen eingeflößt, damit du nicht ganz austrocknest. Diego meinte, das würde reichen und du würdest bestimmt bald wieder aufwachen.“ Unsicher sieht Maman Papa an.

      Jetzt kann ich mich aber doch nicht mehr bremsen. „Ich finde Diego ja total nett und es ist echt toll, dass ihr ihn auch mögt, aber trotzdem: Ihr kennt ihn doch gar nicht! Wieso habt ihr ihm einfach so geglaubt? Wenn er sich nun geirrt hätte, wäre ich glatt abgekratzt!“

      Mein Vater reibt sich an seinem unrasierten Kinn herum und runzelt die Stirn. Dabei schaut er fragend zu meiner Mutter hinüber. Auch sie schaut ihn etwas unsicher an.

      „Er wirkte so überzeugend“, sagt Papa schließlich zögernd. „Irgendwie haben wir ihm geglaubt und er hatte ja auch Recht.“

      „Na toll!“ Mehr bringe ich nicht heraus, denn mit einem Mal fliegt mir die kleine sommersprossige Ratte Didier in die Arme.

      „Mann, ich dachte schon, ich müsste jetzt die ganze Zeit allein im Zelt schlafen!“ ruft er aus. „Kommst du jetzt wieder rüber?“

      Na prima, nur darum geht’s ihm also? Das nehme ich ihm doch sofort ab. Wenigstens einer, der hier ehrlich ist.

      Noch etwas wackelig auf den Beinen gehe ich nachmittags mit Diego zum Strand. Er hat einen Arm um mich gelegt und hält mich fest. Das fühlt sich so schön und warm an, dass ich mir wünsche, wir könnten ewig so weiter laufen. Schließlich setzen wir uns am Strand in den Schatten einer Pinie und ich atme in tiefen Zügen die salzige Luft ein. Der warme Wind streichelt mein Gesicht und ich schließe kurz die Augen. Ich fühle mich immer noch etwas benommen, aber ich musste einfach mal raus aus dem Wohnwagen und weg von der liebevollen Fürsorge meiner Eltern.

      Nur mit tausend Versprechungen, dass er auch ja auf mich aufpassen, und mich bei den ersten Anzeichen einer Schwäche sofort zurückbringen würde, konnte Diego mich hierher mitnehmen.

      „Ah“, stöhne ich auf, während ich das Gesicht in den Wind halte. „Das tut so gut!“

      „Schau mal, wer da kommt, der hat dich auch schon vermisst!“ Mit dem Kinn deutet Diego bei diesen Worten hinter mich.

      Ich schaue mich um und sehe in Dustys braune treuherzige Hundeaugen. Er sitzt in einiger Entfernung und schaut mich sehnsüchtig an. Dabei bewegt er seine Vorderpfoten unruhig im Sand.

      „Na komm schon, niemand tut dir was“, flüstert Diego neben mir mit einer so eindringlichen, samtigen Stimme, dass ich mich am liebsten in seine Arme werfen würde. Ich drehe mich um und sehe, dass er Dusty fixiert. Ich war wohl leider nicht gemeint.

      Dusty schnieft und blinzelt verwirrt zu Diego. Schließlich steht er auf und kommt vorsichtig näher. Er lässt Diego nicht aus den Augen, während er sich neben mich setzt. Ich kraule ihn und spüre die Anspannung in seinem kleinen, warmen Hundekörper.

      „Man könnte meinen, er hätte Angst vor dir.“

      Diego grinst mich an. „Hat er wahrscheinlich auch, weil er ein kluger Hund ist!“

      „Wie meinst du das?“ Erstaunt schaue ich Diego an, aber der schüttelt ernst den Kopf und sagt: „Keine Angst Lana, ich mag Dusty. Aber stell dir mal vor, er würde jedem sofort trauen, das könnte doch auch ganz gewaltig schief gehen oder?“

      „Ja“, antworte ich automatisch und schaue auf Dusty, der sich mir gerade entwindet und mit allen Anzeichen der Erleichterung mit flatternden Ohren über den Strand davon stürmt, als sei er gefangen gewesen und nun plötzlich wieder frei. Warum habe ich bloß das dumme Gefühl, dass Diego mir irgendetwas verschweigt?

      Warum dieses Misstrauen, diese komische Ahnung von etwas Unheimlichen, die mit einem Mal in mir hochsteigt? Mir wird ganz schwindelig. Ich lehne mich an den warmen Baumstamm hinter mir und versuche, die wieder aufsteigenden Bilder von Felix, die mich überfluten wollen, zurückzudrängen. Unwillkürlich muss ich seufzen. Es ist mir gar nicht richtig bewusst, aber Diego hat es gehört.

      „Was ist los? Dich bedrückt doch was Lana?“ Diegos Stimme klingt so warm, ruhig und zärtlich zugleich. „Ich habe das Gefühl, du denkst, du könntest mit niemandem darüber reden. Mit mir kannst du reden. Sag mir, was dich so krank gemacht hat.“ Diego schaut mich so konzentriert an, während er das sagt, dass in mir der Verdacht aufkeimt, er wüsste schon, was mich bedrückt, bevor ich überhaupt darüber geredet habe. Aber wie soll er das wissen? Die ganze Geschichte ist so abstrus, das kann kein Mensch erahnen. Das kann ich ihm unmöglich erzählen. Er wird mich für verrückt halten.

      Andererseits, mit wem sollte ich sonst darüber reden? Meine Eltern würden mich doch sofort nach Paris zum besten Psychiater bringen. Didier würde wahrscheinlich heimlich mit der Blauen Elise losfahren, um Felix zu suchen und Pauline und Fleur? Sie würden mir vermutlich einen Tee kochen und mich bemuttern, bis ich selber nicht mehr glauben würde, was ich gesehen habe.

      Warum sind die beiden auch nicht dabei gewesen, als das im Fernsehen kam? Sie hätten es verstanden. Sie hätten es sofort gewusst, dass das Felix war.

      Entschlossen richte ich mich auf und schaue in Diegos liebes Gesicht.

      „Na, Mut gefasst? Vertraust du mir?“ flüstert er.

      Ich nicke und beginne nervös und unsicher meinen verrückten Mutmaßungen Ausdruck zu verleihen. Die klingen so blödsinnig, dass ich mich selber dafür schäme. Trotzdem weiß ich, dass es stimmt. Hoffentlich glaubt mir Diego, der mit gesenktem Kopf schweigend neben mir sitzt.

      „Ich will sie suchen Diego, ich will wissen, was passiert ist. Wir müssen nach Mons, in die Berge. Diego hilfst du mir dabei?“ Ich schaue ihn an.

      Er wendet mir sein Gesicht zu und ich erschrecke. Ich sehe darin so viel Wut und Verzweiflung, so einen Widerstreit der Gefühle, dass ich denke, ich sitze neben einem Dampfkessel, der gleich platzt. Diego legt die Hände vor das Gesicht und beugt den Kopf über die angezogenen Knie. So sitzt er eine ganze Weile. Ich beobachte ihn verwirrt. Was hat er?

      „Nicht schon wieder!“, zischt es zwischen seinen Fingern leise hervor.

      „Was?“

      Er wendet sich mir zu und versucht dabei zu lächeln. „Wir fahren, morgen! Ich helfe dir, Lana. Wir klären das auf.“ Er schaut mich nicht an, während er das sagt. Sein Blick ist auf einen Punkt hinter mir gerichtet. Seine Stimme klingt ganz rau und sein sonst so schönes Gesicht ist angespannt, ohne jeden Ausdruck, fast wie tot. Er wirkt mit einem Mal so anders, so seltsam, dass er mir fast Angst macht.

      „Diego?“ behutsam berühre ich seine Schulter.

      Er blinzelt mich an, als erwache er aus einem Traum und nähme mich jetzt erst wahr. „Ja?“

      „Was ist mit dir?“

      „Nichts, es tut mir alles nur so Leid.“ Er schaut mich mit seinen dunklen Augen an, die in mir so viel Vertrauen erweckt hatten, die aber im Moment so fremd, so unsicher und traurig wirken. Da ist es plötzlich wieder, mein Misstrauen. Kalt kriecht es in mir hoch.

      „Was weißt du, Diego?“

      Diese klare Frage scheint ihn vollkommen durcheinander zu bringen. Rasch wendet er sich von mir ab und schaut aufs Meer hinaus.

      „Ach Lana!“ Es klingt wie ein Seufzer, ein Schluchzen, so verzweifelt, so traurig. „Ich verspreche dir, ich werde alles tun, was ich kann, um dir zu helfen!“

      Eine ganze Weile starrt er auf das Meer. Ein leichtes Zittern läuft über seinen Rücken. Still sitze ich neben ihm, wage nichts zu fragen und nichts zu sagen. Was geht in ihm vor? Warum ist er so aufgewühlt? Es passt gar nicht zu dem Diego, den ich kenne, der immer so stark und sicher wirkt.

      Er steht plötzlich auf, murmelt „entschuldige, das muss jetzt sein!“ geht mit schnellen Schritten zum Wasser, zieht sich im Laufen T-Shirt und Shorts aus und ist so schnell in den Wellen verschwunden, dass ich mir gar nicht erklären kann, wie das vor sich gegangen ist.