Lebensstoff als Bericht aus der Perspektive der Betroffenen. Dem Lebensbericht sind erzählte Szenen aus Filmen berühmter Regisseure eingefügt.
Die vielseitige Erzählerin greift ins volle Menschenleben, kennt keine Tabus und hat die Fähigkeit, sich in sehr unterschiedlichen Genres zu bewegen. Auch für Geschichten über Liebe und Mord findet sie angemessene literarische Formen. Jüngst hat sie mit „Eine Frau schon in den Jahren“ einen Band mit Kriminalgeschichten vorgelegt. In „Lieber Liebe“ erzählt sie lakonisch, in leichter, ironischer Färbung die Höhen und Tiefen in einem Dreiecksverhältnis, in dem die freischaffende Künstlerin Lena viel Lust, Liebe und Leidenschaft, aber auch Einsamkeit und Demütigung erlebt. „Tarantella“ ist der Liebesroman einer Lesbe, die ihren Ehemann verlässt und auf der Suche nach der Einzigen ist. Mit humorvoller Distanz wird über verschiedene Lebenssituationen erzählt, auch über Ansprüche und Ansichten der wechselnden Partnerinnen erfährt der Leser manches. Mit Galgenhumor wird über die sich nach der Wende eröffnenden kommerziellen Möglichkeiten spekuliert, die sich als Lösung ihres Problems anbieten.
Der Roman „Huckepack“(1995) vermittelt die Tragödie einer durch Krankheit und Sucht bestimmten Ehegeschichte. Es gelingt ihr auch hier, die im gesellschaftlich sozialen Leben mit den im mentalen und psychischen Bereich liegenden Gründe für die Suchtentwicklung im Handeln ihrer Protagonisten zu verbinden und ihr unauflösbares Zusammenwirken zu verdeutlichen.
Für „Nachrichten aus dem Garten Eden“ (2007) und „Der Gewaltige Herr Natasjan“ (2008) bildet die Wende den Ausgangspunkt für zwei Romane, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Fritz Luther, ein Bauer aus dem Harzer Dorf Sylken erzählt einem früheren Schulfreund über sein Leben im Garten Eden. Der Freund hatte mit den Eltern die DDR verlassen und meldete sich nach der Wende aus Australien zurück. Der Lebensbericht des Bauern wird zur Geschichte seines Dorfes, in dem sein Vater als der einzige trickreich der Genossenschaft fernblieb. Im Erzählen entsteht ein weiter Bogen, in dem sich über 50 Jahre Landwirtschaftsentwicklung spiegelt, die zwar als widerspruchsvoll, aber über die Jahrzehnte als erfolgreich erscheint. Der Bauer erzählt von den Auswirkungen der Politik auf die Landwirtschaft und auf die einzelnen Genossenschaften, vom Einzug der Technik, die eine gewisse Wohlhabenheit der Bauern mit sich brachte. Er berichtet witzig, kenntnisreich und nüchtern auch über die Veränderungen in der Nachwendezeit. Die Autorin lässt ihn im anhaltinischen Dialekt der Gegend sprechen, was mitunter Verständigungshürden aufrichtet.
Wie aus „Nest im Kopf“ bekannt, ist Beate Morgenstern seit frühester Kindheit mit dem Teufel vertraut. Daher nicht überraschend, das er in umstürzenden Zeiten in Erscheinung tritt. Mit der Burleske „Der Gewaltige Herr Natasjan“, entwirft die Autorin eine skurril-fantastische Szenerie, die im Juni 1989 beginnt. Im Club der Kulturschaffenden sitzen 13 Schriftsteller zu einem literarischen Stammtisch zusammen, diskutieren über die Aussichten von Nemezien, dem Staatswesen, dem sie zugehören. Im Disput werden Vorzüge und Schwächen des Landes hin und her gewendet, wobei literarisch Kundige einige der Porträtierten erkennen werden. Um Mitternacht verschwindet der Kellner, dafür erscheint der Gewaltige Herr mit Katzen auf den Schultern und verkündet sein Interesse an der wertvollen Immobilie des früheren Herrenclubs in der Jägerstraße, den er zu erwerben gedenkt. Der schriftstellerischen Elite des Landes kommt er mit dem Angebot, ihnen eine privilegierte Einreise ins andere Deutschland zu verschaffen, er bittet um einen Text, wie sie sich nach dem absehbaren Mauerfall die Verhältnisse in Deutschland vorstellen. Nun ist die Einmütigkeit unter ihnen vorbei, nur einer bleibt standhaft. Das ist nur eine Episode des fantastischen Geschehens im Roman, in dem die Wendezeit als possenhafte Burleske gespiegelt wird, in der der Teufel und seine Gehilfen ihre Hand im Spiel zu haben scheinen. Der Roman vermittelt das Geschehen über eine Rahmenhandlung, die im Jahre 2001 spielt und so einen Rückblick auf damalige Befürchtungen und Erwartungen zulässt. Die Autorin apostrophiert sich dabei als Vermittlerin von Walja Kunze, die Jüngste der damaligen Runde, die es nach der Wende bis nach Amerika verschlagen hatte. Da inzwischen viele Jahre vergangen sind, fühlt sich die Erzählerin legitimiert, Waljas Geschichte über diese und andere traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Der Leser fühlt sich so auch zu eigener kritischer Bestandsaufnahme ermuntert.
Für alle hier zu Worte kommenden Autoren veränderte sich durch den gesellschaftlichen Umbruch von 1990 manches in ihren Leben und Denken. Einige der Bücher, die im E-book und Print Programm des HeRaS Verlages erschienen sind, legen davon Zeugnis ab. Wie sich Wahrnehmung und Schreiben im Einzelnen verändert haben, verdiente eine genauere Untersuchung, die hier nicht geleistet werden konnte.
E.R. GREULICH
Emil Rudolf Greulich (Erge) ist 1909 in Berlin geboren. Schriftsetzer. Wegen Beteiligung an der Maifeier von der Reichsdruckerei entlassen. Bald darauf Setzer in der „Roten Fahne“. 1929 Eintritt in die KPD. Nach 1933 illegale politische Tätigkeit. 1939 von der Gestapo gefasst, wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt und kurz vor der Entlassung aus dem Gefängnis Tegel 1942 zur Strafdivision 999 kommandiert. In Amerikanischer Kriegsgefangenschaft. 1946 nach Berlin zurückgekehrt, im Dietz Verlag als Korrektor tätig, später als Redakteur. Ab 1948 freier Schriftsteller.
Er erhielt mehrere Preise, u.a. 1968 den Goethepreis der Stadt Berlin. Greulich verstarb 2005.
Das Gespräch führte ich im November 2016 mit seiner Witwe Hannelore Greulich, Jahrgang 1925.
Frau Greulich hat den gesamten literarischen Nachlass ihres Mannes dem Literaturarchiv der Berliner Akademie der Künste vermacht.
H.G.: In dem Nachlass sind auch eine Menge Fotos. Die jungen Archivare kennen natürlich viele Personen nicht mehr, sie können nicht ahnen wer auf diesen Fotos zu sehen ist. Z. B. Stefan Heym, als er gerade mit seiner ersten Frau aus den USA nach Berlin gekommen war und in Bad Saarow im Eibenhof wohnte. Zu dieser Zeit waren mein zukünftiger Mann und ich bei einem Schriftstellerlehrgang dort. Für uns war das natürlich sensationell: Stefan Heym ist gekommen. Wir hatten ja alle sein Buch „Kreuzfahrer von heute“ gelesen. Es war wunderbar. Er erzählte aus Amerika, brachte uns sogar amerikanische Lieder bei und wir mühten uns dann mit unserem kümmerlichen Englisch, mit seiner Frau englisch zu reden, denn sie sprach kein Wort Deutsch. Aber er sagte immer „nein sie soll Deutsch lernen“ und „redet deutsch mit ihr“. Das Ergebnis war dann ein seltsamer Mischmasch aus englisch und deutsch. Aber wenn sich die jungen Leute heute diese Aufnahmen ansehen, fragen sie, „was, das soll Stefan Heym sein?“
R.S.: Die kennen ihn wahrscheinlich nur als Alterspräsidenten des deutschen Bundestages.
H.G.: Genau so. Ich musste sie alle benennen. Das hat mir einen Haufen Arbeit gemacht. Es gibt auch viel Schriftverkehr, mein Mann war ja in amerikanischer Kriegsgefangenschaft und hat später noch mit Emigranten, die in Kriegsgefangenenlagern Vorträge über Demokratie und so weiter gehalten haben, korrespondiert. Diese Umerziehungsmaßnahmen haben die Amerikaner sehr intensiv betrieben. Wenn die Archivare heute diese Briefe lesen, dann ist das ein Professor so und so aus New York, aber das sagt ihnen nichts. Dabei waren oft bekannte deutsche Schriftsteller darunter, die aber ihre Namen amerikanisiert hatten, wie ich aus den Erzählungen meines Mannes weiß. Ich habe dann den deutschen Namen noch dazu geschrieben. Na ja das war abenteuerlich. Ich habe so viel weggegeben, dass mir praktisch nichts geblieben ist. Ich hab nicht einmal eine anständige Biografie meines Mannes.
R.S.: Das ist schade, denn er hat sicher eine Menge erlebt, das sich lohnt aufgeschrieben zu werden.
H.G.: Auf jeden Fall. Ich weiß viel aus seinem Leben; wir haben ja ununterbrochen miteinander geredet. Das war sehr bestimmend für unsere Ehe (lacht). Es hat mal jemand eine Reportage über uns geschrieben und als Überschrift nahm er ‚Miteinander reden‘ weil uns das so wichtig war, das stand an erster Stelle.
R.S.: Sein erstes Buch „Zum Heldentod begnadigt“, in dem er seine Zeit bei der Strafdivision 999 beschreibt, ist erstmals 1949 erschienen und danach nie wieder. Hat sich ihr Mann eigentlich nie um eine Nachauflage bemüht?
H.G.: Doch, aber es wurde immer mit der Begründung abgelehnt,