Josef Mugler

Die Adria entlang von Görz bis Bar


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begraben und noch dazu den türkischen Schiffen das Vordringen in der Adria erleichtert.

      Während Palmanova auf venezianischem bzw. ab 1866 auf italienischem Territorium lag, gehörte das knappe zehn Kilometer weiter südlich davon auf dem Weg nach Grado gelegene Cervignano zum österreichischen Küstenland. Zwischen Cervignano und dem Ufer der Lagune von Grado passiert man noch das heute unscheinbare Dorf Aquileia. Die Straße führt hier brutal über das Forum einer der ehemals größten römischen Städte mit rund 100.000 Einwohnern zur Zeit des Kaisers Augustus. Es lohnt sich, die römischen Ausgrabungen und die Basilika aus dem 11. Jahrhundert zu besichtigen, die seit 1998 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt.

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      Römische Hafenanlage vor dem Campanile von Aquileia (1968)

      Aquileia wurde von und für Veteranen des römischen Imperiums 181 v. Chr. gegründet. Manche meinen, der Name leite sich von „aquila“ (Adler) ab, wahrscheinlicher ist die Herkunft des Namens von einem nahe gelegenen Flüsschen namens Aquilis. Aquileia war militärstrategisch für Kriegszüge gegen die Illyrer wichtig, entwickelte sich aber auch als einer der südlichen Endpunkte der Bernsteinstraße zu einem bedeutenden Handelszentrum. Vom Flusshafen, der durch das heute nicht mehr schiffbare Flüsschen Natissa (oder Natisone) mit dem Meer verbunden war, sind noch gut erhaltene Relikte zu sehen. Bis zur Mündung in das offene Meer entstand eine Hafenanlage, die als Treppe (gradus) bezeichnet wurde, was sich im Namen des Städtchens Grado wiederfindet. Doch sonst ist in Relation zur ehemaligen Größe nur noch wenig an Überresten aus der römischen Zeit vorhanden. Wahrscheinlich schlummert noch Einiges unentdeckt unter der Erde.

      Aquileia gelang es in den ersten Jahrhunderten n. Chr. immer wieder, aus dem Norden eindringende germanische Stämme (darunter Markomannen und Westgoten unter Alarich) abzuwehren, bis schließlich die Hunnen unter ihrem König Attila im Jahr 452 die Stadt eroberten und erstmals verwüsteten. Danach fanden sich Ostgoten (489) unter Theoderich (dem Dietrich von Bern aus den deutschen Heldensagen) und – mit endgültiger Zerstörung – die Langobarden (568) ein. Von den Überlebenden fanden viele auf der Laguneninsel Grado Zuflucht.

      Das Christentum fasste hier einer Legende nach durch eine Mission des Evangelisten Markus im Auftrag von Simon Petrus Fuß. Die Patriarchen von Aquileia standen in der Rangordnung unmittelbar hinter dem Papst in Rom. 83 Bischöfe im Patriarchenrang hatten hier oder – in unsicheren Zeiten – in Grado ihren Sitz, bis das Patriarchat 1751 aufgelöst wurde.

      Die gut erhaltene Basilika wurde vom Patriarchen Poppo (Popone), der aus Niedersachsen stammte, im 11. Jahrhundert über den Resten einer aus dem 4. Jahrhundert stammenden Kirche erbaut, angeblich nach dem Vorbild der Michaelskirche in Hildesheim. 1348 wurde die Basilika nach einem Erdbeben teilweise gotisch erneuert. 1421 fiel Aquileia an Venedig und zu Beginn des 16. Jahrhunderts an die Habsburger.

      Während der Aufbruchszeit des Tourismus in Grado um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert entschloss man sich auch zu einer gründlichen Renovierung der Basilika. 1909 wurde hier der kostbare römische Mosaikfußboden freigelegt.

      Kaiser Franz Joseph spendete einen erheblichen Betrag aus seiner Privatschatulle für die Orgel. Für die Fundstücke aus der Antike wurde ein archäologisches Museum gegründet, das 1882 von einem Bruder des Kaisers, Erzherzog Karl Ludwig, eröffnet wurde.

      chapter4Image5.jpeg Mosaikböden in der Basilika von Aquileia (2008)

      Wieder wenige Kilometer nach Aquileia in Richtung Süden taucht die Lagune auf, die Grado, das auf einem Lido liegt, vom Festland trennt. Grado ist im Gegensatz zu anderen Badeorten an der oberen Adria auch ein historisch bedeutsamer Ort. Das 9000-Einwohner-Städtchen hebt sich von diesen durch sein Flair, seine Traditionen, ja sogar seine Sprache wohltuend ab.

      Man erreicht Grado von Norden her ohne Boot erst seit 1937 über einen rund fünf Kilometer langen Straßendamm, der die Lagune durchschneidet. Zwar gab es einen Damm aus Schüttmaterial aus der Lagune schon im 19. Jahrhundert, dieser war aber durch Hochwässer häufig unbrauchbar. Vor dessen Befestigung für den Auto- und neuerdings auch Radfahrverkehr musste man von der Bahnendstation in Belvedere, wo schon der heilige Markus das friulanische Festland betreten haben soll, auf Fährboote umsteigen. Erst 2008 wurden die Gleise dieser alten Bahnlinie aus dem Boden gerissen. Von Triest her konnte man direkt nach Grado anreisen: Ab 1912 verkehrten in der Hochsaison nicht weniger als drei Dampferverbindungen täglich. Auch heute gibt es im Sommer wieder einen bescheidenen Linienverkehr für Touristen auf dieser Strecke.

      Grado bot in unruhigen Zeiten Schutz vor Eroberern, in ruhigen Zeiten Erholung an seinem langen, flachen Sandstrand: Das war schon zur Blütezeit Aquileias und danach im Sturm der Hunnen, Goten, Langobarden und Awaren so. 568 floh der Patriarch von Aquileia vor den Langobarden mit dem Kirchenschatz nach Grado. Die spärlichen Reste einer Kirche auf der Piazza Marin weisen bis ins 4. Jahrhundert zurück, also in die Zeit, bevor Aquileia von den Hunnen und Langobarden zerstört wurde. Später, im 6. Jahrhundert, entstand an derselben Stelle eine dreischiffige Basilika, von der allerdings ebenfalls nur Grundmauerreste erhalten, aber seit wenigen Jahren vorbildlich freigelegt sind.

      606 kam es zu einer Spaltung in der Diözese von Aquileia und zur Einrichtung eines eigenen Patriarchats in Grado, das unter byzantinischen Einfluss geraten war. Im 12. Jahrhundert wurde das römisch-katholische Patriarchat von Grado nach Venedig verlegt, wo es bis 1451 aufrecht blieb und dann durch ein eigenständiges venezianisches ersetzt wurde. Grado war also - zumindest kirchengeschichtlich – die „Mutter“ Venedigs. Unter der Ägide des Patriarchen von Grado wurde schließlich 697 auch der erste Doge von Venedig gewählt.

      Die Basilika des Gradeser Patriarchats, Santa Eufemia, ist gut erhalten und auch heute Zentrum des Städtchens. Sie wurde ebenfalls im 6. Jahrhundert über einem Vorgängerbau aus dem 4. bis 5. Jahrhundert errichtet. Den Glockenturm krönt eine Statue des Erzengels Michael, der „Anzolo“ (angelo), der sich mit dem Wind dreht und den erfahrenen Gradesern sagt, wie das Wetter werden wird.

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      Der Anzolo zeigt das Wetter an (2010)

      Das Baptisterium stammt aus dem 5. Jahrhundert. Fast nebenan steht eine weitere Kirche: Santa Maria delle Grazie aus dem 5. bis 6. Jahrhundert. Mitten in der Lagune ragt der Turm der Wallfahrtskirche Santa Maria di Barbana auf, die 582 gegründet wurde, aber mit pseudobyzantinischem Inneren aus 1925 aufwartet.

      Als Seebad war Grado schon in römischer Zeit beliebt. Nach den Jahren des Patriarchats und bevor gegen Ende des 19. Jahrhunderts der moderne Tourismus einsetzte, war Grado vor allem Fischerdorf, ziemlich abgeschieden vom Rest der Welt, ohne Brunnen, mit Trinkwasser aus Tümpeln, aus welchen die Malaria kroch, mit einem eigenen Dialekt, den manche sogar für eine eigenständige Sprache halten. Die Abgeschiedenheit und Selbstständigkeit verhinderten, dass die alten Traditionen vom modernen Tourismusgetriebe verschüttet wurden. Das alte Fischerlied von der „Madonnina del Mare“ lebt beispielweise fort und ist ein unvergessliches Erlebnis, wenn es der Männerchor nach den Heiligen Messen in der Basilika anstimmt und alle mitsingen.

      Auch die Tradition der Lagunenfischerei lebt fort und verzeichnet sogar wieder einen Aufschwung. Es gibt angeblich noch rund 200 Fischer mit rund 100 Booten. Die Casoni, die Fischerhütten in der Lagune, sind allerdings seit wenigen Jahrzehnten nicht mehr bewohnt, allenfalls Ziel für Ausflugsfahrten von Touristen. Die Einführung von „Schonzeiten“ bewirkte, dass sich der Fisch- und „Meeresfrüchte“-Bestand nach der Beinahe-Ausrottung wieder erholte. Die Zucht in Aquakulturen verbreitet sich ebenfalls. Die Mitglieder vieler Fischerfamilien arbeiten heute auch in den Tourismusbetrieben – wenn gerade Saison ist. In der Hochsaison sind in den winkeligen Gassen Lokale aller Kategorien zu finden, gut besucht von Touristen, die überlegen, ob sie teuren Fisch oder billige Calamari oder gar Pasta oder Pizza bestellen sollen. Ortskundige wählen „Boreto“, den speziellen Gradeser Fisch-Eintopf, eine Variation des besser bekannten „Brodetto“.