Josef Mugler

Die Adria entlang von Görz bis Bar


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napoleonischen Kriege wieder in der Geschichte auf. Franzosen und Engländer lieferten sich vor der Küste Gefechte und beim Beschuss des Städtchens gingen wertvolle historische Dokumente verloren. Nach der Teilung des Friaul 1866 verblieb Grado als westlichstes adriatisches Küstenstädtchen bei Österreich. Der Florentiner Arzt Dr. Giuseppe Barellai wurde 1873 von Görzer Ärzten nach Grado eingeladen und er spielte in der Folge bei der Entdeckung der Heilwirkungen der Luft, des Sandes und des Meerwassers eine wichtige Rolle. Von da an ging es steil bergauf: 1883 entstand in Grado eine Kuranstalt und 1892 wurde es durch ein Dekret Kaiser Franz Josephs offiziell Kurort.

      Aber für größere Touristenströme fehlte noch etwas: Trinkwasser. Gegen Ende des Jahrhunderts setzte jemand seine Idee durch, auf dem Lido nach Wasser zu bohren, aber ohne sofortigen Erfolg – zum Gespött der Skeptiker. „…Da entschloss man sich zu einem letzten verzweifelten Versuch und mitten in der Nacht – vom 3. zum 4. April im Jahre des Heils 1900 – schoss plötzlich mit Brausen und Gepolter, Schlamm, Sand und Schotter schleudernd, ein mächtiger Wasserstrahl aus der ungeheuren Tiefe von 217 m.“ (Aus einem Reiseführer von 1907).

      Ein Jugendstil-Plakat mit dem Titel „Seebad Grado – Österreichisches Küstenland“ des Wiener Sezessionsmalers Josef Maria Auchentaller trug 1906 wesentlich zur Wahrnehmung von Grado als mondänes Seebad der Monarchie bei. Damals gab es erst einige wenige Unterkünfte, darunter die heute wieder renovierten Ville Bianchi oder das Hotel der Brüder Fonzari. Schräg gegenüber, direkt am Ufer, errichtete Auchentallers Frau Emma auf den Ruinen eines napoleonischen Forts ihre Pension „Fortino“. Das Gebäude täuschte vom Meer her die Silhouette eines Schiffes vor. Daher wählte Egyd Gstättner für seinen biografischen Roman, in dem er erzählt, warum Josef Maria Auchentaller nicht so berühmt wie Gustav Klimt wurde, den Titel „Das Geisterschiff“. An der betreffenden Stelle steht heute eine Wohnanlage, die nur entfernt an das „Geisterschiff“ erinnern kann, weil die Engländer ihre Radaranlage, die sie im Zweiten Weltkrieg hier installiert hatten, vor ihrem Abzug sprengten.

      Schon rund dreißig Jahre vorher mussten die Auchentallers und mit ihnen die Österreicher von Grado miterleben, wie ihr Badeparadies verloren ging. Im Mai 1915 landete auf der kleinen Laguneninsel Porto Buso die italienische Kriegsmarine. Zwei Jahre später wurde Grado „rückerobert“ und im November 1917 statteten Kaiser Karl und Kaiserin Zita Grado noch einen Besuch ab. Im Friedensvertrag von Saint Germain wurde Grado 1919 – ebenso wie das gesamte östliche Friaul und Triest – Italien zugesprochen. Die Jahrhunderte währende Hegemonie der Habsburger war zu Ende.

      Von Grado nach Triest

      Von Grado ostwärts überqueren wir bald auf einer Brücke einen Meeresarm, den man nicht mit dem Fluss Isonzo verwechseln darf – der kommt erst später. Die Landschaft ist hier wenig spektakulär, war aber Schauplatz für unheimliche, geradezu unfassbare Geschichten, die viel vom Leid und wenig vom Glück der Bewohner erzählen. Auf welchem der europäischen Schlachtfelder wurde so oft und erbittert gekämpft wie hier? Römer gegen Illyrer, Hunnen, Goten und Langobarden gegen Aquileia, Patriarchen von Aquileia gegen Grafen von Görz, Venezianer und später Italiener gegen Österreicher, Deutsche gegen Partisanen, mit Millionen von Opfern, an welche lautstarke Patrioten- und Heldendenkmäler neben leisen Gedenkstätten erinnern. Jeder dieser brutalen Kämpfe – einer zu viel!

      Kurz vor Monfalcone stoßen wir auf die lange Brücke über den Isonzo, den „Schicksalsfluss“, der mitten durch die ehemaligen Schlachtfelder aus dem Norden, wo er slowenisch Soča heißt, herunter fließt, hier sanft seiner Mündung ins Meer entgegen, durch ein Naturschutzgebiet mit über 300 Vogelarten, zahlreichen Wildarten und sogar Wildpferden aus der Camargue.

      Monfalcone ist heute ein Industriestädtchen mit knapp 30.000 Einwohnern und wird in Reiseführern nur am Rande erwähnt. Die Geschichte weiß aber Wichtiges zu vermelden: Hier standen einander im Jahr 489 der germanische Söldnerführer Odoaker, nachdem er 476 den letzten weströmischen Kaiser Romulus Augustulus abgesetzt und sich selbst zum Herrscher über Rom erklärt hatte, und der dem oströmischen Kaiser in Konstantinopel ergebene Ostgotenkönig Theoderich gegenüber. Sie schlugen eine dieser blutigen Schlachten, die sich bis ins 20. Jahrhundert so oft wiederholen sollten. Theoderich soll an einer strategisch wichtigen Stelle einen Turm, den „Falkenturm“ errichtet haben. Vom Falken, italienisch falcone, leiten sich daher der Name Monfalcone und seine deutsche Version Falkenstein ab.

      Monfalcone war auch einmal für seine Schwefeltherme berühmt. Schon in der Antike stand an ihrer Stelle ein Tempel, in welchem die Geheilten Dankopfer darbrachten. Plinius nennt das Wasser „aqua dei et vitae“, das Wasser Gottes und des Lebens. Erst im 15. Jahrhundert wurde die Quelle wiederentdeckt und 1840 wurde ein Badehaus errichtet, dessen Betrieb später die Fürsten Thurn und Taxis vom nahe gelegenen Schloss Duino übernahmen.

      chapter5Image1.jpeg Die römische Schwefeltherme (2009 in Renovierung)

      1908 gründeten die Brüder Cosulich hier in der nördlichsten Bucht des ganzen Mittelmeers, eine Schiffswerft und belieferten die Austro-Americana-Frachtschiffgesellschaft, ein Unternehmen der Spediteurfamilie Schenker. Heute gehört die Werft zum Fincantieri-Konzern, der große Kreuzfahrtschiffe baut, zum Beispiel für die englische Princess Line oder für die Luxusreederei Silversea Cruises. Man kann die Aufbauten, wenn sie schon ausreichend gewachsen sind, vom Strand von Grado aus in der Ferne sehen und mancher Badegast glaubt, ein Kreuzfahrtschiff habe gerade angelegt und wundert sich vielleicht, wieso gerade dort.

      Von Monfalcone landeinwärts, Richtung Görz, liegen makabre Schauplätze des Ersten Weltkriegs. Es war Monfalcone, von wo aus italienische Truppen im Sommer 1916 gegen Görz, dem durch Kanonenbeschuss bereits halb zerstörten „österreichischen Nizza“, vorrückten und es in der sechsten der insgesamt zwölf Isonzoschlachten eroberten. Allein diese eine Schlacht kostete fast 100.000 Soldaten das Leben.

      In der zwölften und letzten dieser irrsinnigen Schlachtenfolge gelang mit Unterstützung deutscher Truppen und dem Einsatz von Giftgas die Rückeroberung. Die Opferbilanz der Isonzofront 1915-1917 umfasst mehr als eine Million Tote und ungezählte Vermisste und Verwundete. Als es 1918 zu Ende ging, standen die Österreicher und Deutschen weit drinnen in Venezien am Fluss Piave. In den späten Oktobertagen 1918 gewannen die Italiener eine letzte Schlacht gegen die ausgelaugten, fast schon kampfunfähigen Truppen der Mittelmächte nahe jenem Städtchen, das sich seither in Würdigung dieses Sieges Vittorio Veneto nennen darf. Das Küstenland samt Triest und halb Istrien mit seiner slowenischen und kroatischen Bevölkerungsmehrheit wurde wenige Monate später in Saint Germain Italien angegliedert.

      Im September 1919, als manche meinten, der Eroberungsdrang sei nun endlich gestillt und die Landgewinne die hunderttausenden Opfer auf beiden Seiten vielleicht gar nicht wert gewesen, zog der Dichter Gabriele d’Annunzio mit einer Handvoll freiwilliger Legionäre, vom Flugfeld Ronchi gegen Osten und besetzte Fiume (Rijeka) für Italien. Dort führte er ein paar Monate das vor, was sich Benito Mussolini wenige Jahre später zum Vorbild nahm und von Rom aus über ganz Italien ausbreitete: eine faschistische Diktatur. In Erinnerung an den Handstreich d‘Annunzios heißt der Ort, der heute auch den Flughafen von Triest auf seinem Terrain hat, Ronchi dei Legionari. Mussolini ließ später, 1938, nebenan in Redipuglia eine monumentale Denkmalanlage für diese und andere Heldentaten bauen.

      Das alles liegt hier eng beisammen, von Monfalcone nur wenige Kilometer landeinwärts, ebenso wie der See von Doberdò, ein sogenanntes intermittierendes Gewässer, das von unterirdischen Karstflüssen gespeist wird und seinen Wasserstand je nach Niederschlagsmengen um mehrere Meter ändert. Bei Sprengungen im Ersten Weltkrieg dürfte jedoch der Felsboden durch die Erschütterungen Risse bekommen haben und seither ist diese „Hydraulik“ gestört.

      Östlich, an der Küste entlang, bald nach dem Stadtrand von Monfalcone, findet man, ein wenig im Auwald versteckt, ein anderes Naturphänomen: die „Quelle“ des Flusses Timavo, der von Škocjan in Slowenien 35 Kilometer unterirdisch durch das Karstgebiet fließt, hier ans Tageslicht stößt und wenig später ins Meer mündet. Nach dem römischen Dichter Vergil sollen hier die Argonauten des Jason und später die Gefährten des Aeneas nach ihrer Flucht