K. Krista

DNA


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jemand etwas Verdächtiges bemerkt hat. Es ist davon auszugehen, dass dies nicht die Tat eines Einzeltäters war, vielleicht wurde die Villa auch vorher bereits beobachtet und dies ist einem Nachbarn aufgefallen. Eher unwahrscheinlich, da es sich bei dem Anwesen um ein freistehendes Haus handelt, die nächsten Nachbarhäuser befinden sich in mehr als 100 Metern Entfernung, aber Krämer möchte nichts unversucht lassen. Vielleicht hilft ihm „Kommissar Zufall.“

      Nicole bestimmt seine Gedanken und da er sich nur noch mit Mühe auf den Tatort konzentrieren kann, beschließt er, für heute Schluss zu machen und seine Schwester im Sanatorium zu besuchen.

      FÜNF

      Lisa Krämer ist die acht Jahre alte Schwester von Maximilian Krämer und befindet sich seit fünf Jahren in psychiatrischer Behandlung. Seit dem plötzlichen Tod ihrer beider Eltern, vor fünf Jahren, ist Lisa in eine schwere Depression verfallen. Obwohl Maximilian sofort seinen Dienst als Offizier bei der Deutschen Bundeswehr, aus persönlichen Gründen gekündigt hat, um sich nur noch ausschließlich um seine Schwester zu kümmern, ist es ihm nicht gelungen, sie aus ihrer Isolation heraus zu holen. Da sich Lisa immer mehr in sich selbst zurückzieht und Maximilian mit der Situation völlig überfordert ist, gibt er dem Drängen der Ärzte nach und weist sie in ein Münchner Sanatorium ein.

      Die Ärzte behandeln sie mit Antidepressiva gegen ihre Erkrankung und Max erscheint seine Schwester bei seinen wöchentlichen Besuchen wesentlich lebendiger als kurz nach dem tragischen Unglück. Die Ärzte erklären ihm allerdings, dass dies nur die Wirkung der Antidepressiva ist, die bei vielen Patienten, vor allem am Behandlungsbeginn, Stimmung aufhellend wirken und noch ein weiter Weg vor ihnen liegt, da die Behandlung nur durch therapeutische Betreuung zum Erfolg führt, die Medikamente lediglich begleitend eingesetzt werden können. Trotzdem hat Max das Gefühl, dass Lisa sich hier wohl fühlt und besser aufgehoben ist, als bei ihm zu Hause, wo sie alles an ihre Eltern erinnert. Ihre Eltern haben ihnen eine größere Summe Geld hinterlassen, so muss sich Maximilian keine Sorgen um die Finanzierung des privat geführten Sanatoriums machen.

      Die erste Zeit besucht er Lisa täglich, macht lange Spaziergänge mit ihr und glaubt fest daran, dass sie bald wieder gesund wird und er sie schnell mit nach Hause nehmen kann. Doch leider verschlechtert sich der Zustand von Lisa plötzlich von Monat zu Monat, sie zieht sich abermals immer mehr in sich zurück, der einzige Mensch, der sie überhaupt noch ab und zu erreicht, ist ihr Bruder Max.

      Vor etwa zwei Jahren, baten die Ärzte Maximilian Krämer zu einem Gespräch. Sie klärten ihn darüber auf, dass sie befürchten, Lisa könnte an Schizophrenie leiden. Ihm wird erklärt, dass dies die Diagnose für eine psychische Störung des Denkens oder der Wahrnehmung ist. Eine solche Störung ist bei Kindern meist erst ab dem 8. Lebensjahr zu diagnostizieren, deshalb wurde Lisa bis heute für stark depressiv gehalten. Die Ärzte gehen jetzt davon aus, dass die Psychose durch den plötzlichen Tod ihrer Eltern ausgelöst wurde.

      Die Verabreichung der Antidepressiva unterdrückten noch zusätzlich die Symptome einer Schizophrenie, so dass diese Krankheit erst jetzt diagnostiziert wurde.

      Schizophrenie, so wird Max weiter erklärt, ist bei Kindern vor dem Schulalter kaum oder nicht diagnostizierbar, da die Anzeichen, wie die Beeinträchtigung des Denkens, Sprechens, der Wahrnehmung und der Gefühlswelt vorausgesetzt werden und diese Fähigkeiten im Vorschulalter noch nicht vollständig ausgebildet sind.

      Vielleicht hätte es sogar noch länger gedauert, ihre Psychose festzustellen, wenn Lisa nicht, entgegen ihrer verschlossenen Art, plötzlich kommunikativ geworden wäre. Allerdings sprach Lisa nicht mit im Raum anwesenden Personen, sondern wie sie selbst mitteilte, höre sie Stimmen in ihrem Kopf. Dies veranlasste die behandelnden Ärzte, die gesamte Krankheitsgeschichte von Lisa neu zu überdenken und sie sind zu der Diagnose – paranoide Schizophrenie gelangt.

      Die Diagnose ist jetzt beinahe zwei Jahre her, doch jedes Mal, wenn ich dieses Sanatorium betrete habe ich das Gefühl meine kleine Schwester im Stich gelassen zu haben. Sicher, seit Lisa Neuroleptika erhält und regelmäßig an Ergo- und Arbeitstherapien teilnimmt, hat sich ihr Zustand in kleinen Schritten verbessert, aber obwohl ich das Gefühl habe, ihr fehlt es hier an nichts, kann ich doch das Gefühl nicht loswerden, nicht alles für sie getan zu haben, oder besser gesagt, sie nicht wirklich zu verstehen.

      Manchmal habe ich das Gefühl, sie fühlt genau wie es in mir aussieht und obwohl sie immer noch nicht viel spricht, so denke ich doch, wenn sie mich mit ihren tief blauen Augen ansieht, sie sieht direkt in mein Herz.

      Lisa hat mir nie einen Vorwurf gemacht, mir nie zu verstehen gegeben, dass sie sich hier nicht wohl fühlt, aber ich kann das Gefühl, dass sie mir irgendetwas sagen möchte, sich jedoch nicht traut, nicht loswerden.

      Um meiner Schwester nahe zu sein, verließ ich die Bundeswehr und bin in den Polizeidienst eingetreten. Mit irgendetwas musste ich mich beschäftigen, die ständigen Gedanken um das Wohlergehen meiner kleinen Schwester zerrten an meinen Nerven. Ich stehe auch heute noch oft völlig hilflos vor ihrem Schicksal, sie ist das einzige was ich an Familie noch habe und ich kann ihr nicht helfen, muss auf die Fähigkeit der Ärzte vertrauen. Diese Hilflosigkeit macht mich fertig.

      Da das hinterlassene Geld meiner Eltern nicht ewig reichen wird, entschloss ich mich, mein Glück bei der Polizei zu versuchen, wo ich innerhalb weniger Jahre zum ersten Ermittler der Raubkommission in München aufgestiegen bin. Zurzeit stehe ich kurz vor der Beförderung zum Kriminalhauptkommissar, was mich besonders deshalb freut, da ich dann weniger Einsätze „Undercover“ übernehmen muss, die es mir immer unmöglich machen meine Schwester zu besuchen.

      Heute ist ein herrlich sonniger Tag und ich freue mich darauf, ein paar Stunden mit Lisa im Park des Sanatoriums verbringen zu können, als ich sie auch schon freudig auf mich zu laufen sehe.

      ***

      Lisa ist nicht krank, sie ist eine Telepatin und Empathin. Diese Begriffe sind ihr natürlich nicht geläufig, aber sie weiß sehr genau, dass sie nicht krank ist, obwohl alle dies denken. Lange Zeit hat sie versucht, den Ärzten, die eigentlich sehr nett sind, zu erklären, dass sie sich die Stimmen nicht einbildet und dass sie manchmal Gedanken von Personen aufnehmen kann, hat jedoch sehr schnell gemerkt, dass sie nicht verstanden wird, dass ihr, sobald sie diese Dinge anspricht mehr Tabletten als üblich verabreicht werden und das möchte sie nicht. Sicher anfangs war sie sehr traurig über den Tod ihrer Eltern, ist sie heute noch, sie wollte mit niemandem sprechen. Keiner hätte sie mit Worten trösten können, also hat sie sich zurückgezogen, hat die Außenwelt für ein paar Wochen einfach ausgeschaltet. Sie spürte, wie sehr ihr Bruder leidet, wie überfordert er mit der Situation ist und war froh, als er sie in dieses schöne große Haus gebracht hat. Hier hatte sie zunächst Ruhe, die Ruhe, die sie dringend brauchte. Doch irgendwann war es mit der Ruhe vorbei, die Stimmen haben angefangen in ihrem Kopf zu sprechen, was ihr zunächst sehr viel Angst gemacht hat. Die Ärzte haben ihr dann Medikamente gegeben und die Stimmen waren fort.

      Als sie das nächste Mal wiederkamen, hatte Lisa nicht mehr so viel Angst, sie war eher neugierig, wollte wissen, woher diese Stimmen kommen und stellte mit der Zeit fest, dass es die Gedanken von Menschen waren, die sich in ihrer Nähe befanden und nicht nur Gedanken, mit der Zeit konnte sie auch Gefühle wahrnehmen.

      Da sie immer sofort mit Tabletten ruhig gestellt wurde, sobald sie auch nur eine An-deutung über ihre Fähigkeiten machte, beschloss sie, dass es etwas schlechtes sein muss und behielt es zukünftig für sich, wenn sie die Gedanken oder Gefühle anderer Menschen wahrnahm. Sie lernte es sogar, ihre Fähigkeit insoweit zu steuern, dass sie ihre Fähigkeit abstellen konnte.

      Nur ihrem Bruder würde sie sehr gerne davon erzählen, aber sie hat Angst, dass er sie nicht versteht und aus Sorge um sie, den Ärzten davon erzählt. Größer noch ist ihre Angst, dass er sie dann vielleicht nicht mehr sehen möchte, weil er Angst vor ihr hat. Zweimal ist das passiert, sie hatte nicht darauf geachtet, dass keiner Wissen durfte, dass sie Gedanken