Maxim Gorki

Das Leben des Klim Samgin


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war, lag etwas Furchterregendes. Seine kleinen Augen glühten wie die Kohlen. Vom Kopf der Mutter aber über ihren Rücken hinab floß in wundervollen goldenen Bächen ihr mondblondes Haar.

      »Ach du!« seufzte sie leise.

      In dieser Stellung war etwas, was Klim verwirrte. Er schrak zurück, trat auf seine Galosche, die Galosche schnellte hoch und klatschte auf den Fußboden.

      »Wer ist dort?« rief ärgerlich die Mutter und erschien mit unglaublicher Geschwindigkeit an der Tür.

      »Du? Bist du durch die Küche gekommen? Warum so spät? Bist du verfroren? Willst du Tee?«

      Sie sprach schnell, freundlich, scharrte aus irgendeinem Grunde mit den Füßen und ließ die Türangel kreischen. Dann faßte sie Klim um die Schulter, drängte ihn übertrieben heftig ins Eßzimmer und zündete eine Kerze an. Klim sah sich um. Im Eßzimmer war niemand und in der Tür des Nebenzimmers tiefe Dunkelheit.

      »Warum siehst du hin?« fragte die Mutter und blickte ihm ins Gesicht.

      Klim antwortete zögernd:

      »Mir schien, hier war jemand.«

       Die Mutter zog erstaunt die Brauen hoch und blickte ebenfalls in das Zimmer.

      »Wer sollte denn hier gewesen sein? Vater ist fort, Lidja, Mitja und die Somows sind zur Eisbahn gegangen, Timofej Stepanowitsch ist bei sich zu Hause – hörst du?«

      Tatsächlich polterten oben schwere Schritte. Die Mutter setzte sich an den Tisch, vor den Samowar, prüfte, ob er noch heiß war, goß Tee ein und fuhr dann fort, während sie ihr prachtvolles Haar aufsteckte:

      »Ich habe dort am Ofen gesessen und geträumt. Bist du eben erst gekommen?«

      »Ja« log Klim, da er begriff, daß es hier notwendig war, zu lügen.

      Die Mutter saß schweigend, mit einem feinen Lächeln, da, spielte mit der Zuckerzange und sah in das scheue Licht der Kerze, das sich im Kupferbauch des Samowars spiegelte.

      Dann legte sie die Zange aus der Hand, rückte den Spitzenausschnitt ihres Schlafrocks zurecht und erzählte unnötig laut, daß Warawka ihr Großmutters Gutshof abkaufen und dort ein großes Haus bauen wolle.

      »Er ist zwar eben nach Hause gekommen, aber ich gehe doch rasch mal hinauf, um mit ihm darüber zu sprechen.«

      Sie küßte Klim auf die Stirn und ging. Der Knabe stand auf, trat an den Ofen, setzte sich in den Sessel und streifte mit einer Handbewegung die Zigarrenasche von der Lehne.

      »Mama will ihren Mann wechseln, aber sie schämt sich noch«, erriet er. Auf den roten Kohlen sprangen blaue Flämmchen auf und erloschen. Er hatte davon gehört, daß Frauen ihre Ehegatten und Männer ihre Frauen häufig wechselten, Warawka gefiel ihm von jeher besser als der Vater, aber es war doch peinlich und betrübend, zu erfahren, daß auch Mama, die stets ernste und würdige Mama, die alle achteten und fürchteten, die Unwahrheit sprach und sich so ungeschickt herausredete. Da er die Notwendigkeit eines Trostes empfand, wiederholte er: »Sie schämt sich noch.« Das war die einzige Erklärung, die er finden konnte. Doch da rief ihm sein Gedächtnis jene Szene mit Tomilin zurück, er verlor sich in leeres Sinnen über die Bedeutung dieser Szene und schlief ein.

      Die häuslichen Ereignisse, so sehr sie Klim vom gründlichen Lernen ablenkten, erregten ihn nicht so heftig, wie das Gymnasium ihn ängstigte, wo er keinen seiner würdigen Platz finden konnte. Er unterschied drei Gruppen von Mitschülern: ein Dutzend Knaben, die musterhaft lernten und sich musterhaft betrugen, dann die bösen und unverbesserlichen Lausbuben, unter denen einige, wie Dronow, ebenfalls vorzüglich lernten. Die dritte Gruppe bestand aus kümmerlichen Knaben, matt, verängstigt und scheu, sowie aus Pechvögeln, die von der ganzen Klasse ausgelacht wurden.

      Dronow riet Klim:

      »Mit denen mußt du dich nicht anfreunden, es sind alles Feiglinge, Jammerlappen und Angeber. Dieser Rote dort ist ein Judenbengel. Jener Schielende wird bald fliegen, er ist arm und kann nicht bezahlen. Der älteste Bruder des Jungen dort hat Galoschen gestohlen und sitzt jetzt in der Verbrecherkolonie, und der dort, der aussieht wie ein Iltis, ist ein uneheliches Kind . . .«

      Klim Samgin lernte fleißig, doch ohne großen Erfolg. Streiche hielt er für unter seiner Würde, war dazu übrigens auch gar nicht fähig. So merkte er bald, daß alles ihn gerade zur Gruppe der Geächteten verurteilte. Aber unter ihnen fühlte er sich noch fremder als bei der frechen Kumpanei Dronows. Er sah, er war klüger als alle in seiner Klasse, er hatte schon viele Bücher gelesen, von denen seine Alterskameraden noch keine Ahnung hatten, er fühlte, daß auch die älteren Knaben mehr Kind waren als er. Erzählte er von den Büchern, die er gelesen hatte, hörten sie ihm ungläubig und ohne Interesse zu und verstanden oft gar nicht, was er sagte. Zuweilen begriff auch er selbst nicht, weshalb ein spannendes Buch bei seiner Wiedergabe alles verlor, was ihm daran gefallen hatte.

      Einmal fragte das uneheliche Kind, ein finsterer Bursche namens Inokow, Klim:

      »Hast du Iwan Hoé gelesen?«

      »Eiwenho«, verbesserte Klim, »von Walter Scott.«

      »Dummkopf«, sagte Inokow verächtlich. »Warum mußt du alles besser wissen?« und warnte ihn mit einem schiefen Grinsen:

      »Paß auf, aus dir wird bestimmt ein Pauker.«

      Die Jungen lachten. Sie achteten Inokow, er war zwei Klassen älter als sie, hielt aber Freundschaft mit ihnen und führte den Indianernamen »Feuerauge«. Vielleicht imponierte er ihnen auch durch sein finsteres Wesen und seinen durchdringenden Blick.

      Durch die liebevolle Beachtung, die man ihm zu Hause entgegenbrachte, verwöhnt, empfand Klim doppelt schwer die feindliche Geringschätzung von Seiten der Lehrer. Einige waren ihm auch körperlich widerwärtig: der Mathematiker litt an chronischem Schnupfen, nieste schallend und grimmig, wobei er die Schüler bespritzte, und blies hierauf pfeifend die Luft durch die Nase, wobei er das linke Auge zukniff. Der Geschichtslehrer tappte durch die Klasse wie ein Blinder und schlich mit einem Gesicht an die Bänke heran, als wolle er die Schüler der vorderen Reihen ohrfeigen. Während er sich ihnen langsam näherte, quäkte er mit feiner Stimme.

      Man nannte ihn daher »Quak«.

      Beinahe an jedem Lehrer entdeckte Klim einen ihm unsympathischen Zug. Alle die unordentlichen Menschen in abgetragenen Amtskleidern behandelten ihn, als sei er ihnen gegenüber schuldig, und obgleich er sich bald davon überzeugte, daß die Lehrer den meisten Schülern nicht anders begegneten, erinnerten ihre Grimassen ihn doch an den Ausdruck des Abscheus, mit dem die Mutter in der Küche die Krebse betrachtete, wenn der betrunkene Händler den Korb umstülpte und die Krebse, schmutzig und trocken raschelnd, nach allen Richtungen über den Fußboden krochen.

      Doch schon im Frühjahr bemerkte Klim, daß Xaweri Rziga, der Inspektor und Lehrer der alten Sprachen, und mit ihm einige andere Lehrer ihn milder zu beurteilen begannen. Dies geschah, nachdem jemand während der großen Pause zwei Steine ins Fenster des Kabinetts des Inspektors geworfen, die Scheibe eingeschlagen und eine seltene Blume, die auf der Fensterbank stand, zerknickt hatte. Man fahndete eifrig nach dem Schuldigen, ohne ihn zu finden.

      Am vierten Tage fragte Klim den allwissenden Dronow, wer die Scheibe eingeworfen habe.

      »Wozu willst du das wissen?« erkundigte sich mißtrauisch Dronow.

      Sie standen an der Biegung des Korridors, und Klim konnte sehen, wie der gehörnte Schatten des inspektorlichen Kopfes langsam an der weißen Wand entlang kroch. Dronow wandte dem Schatten den Rücken zu.

      »Du weißt es also nicht«, reizte Klim den Kameraden. »Und rühmst dich, alles zu wissen.«

      Der Schatten hörte auf, sich zu bewegen.

      »Natürlich weiß ich es, – es war Inokow«, sagte leise Dronow, als Klim ihn genügend gereizt hatte.

      »Er sollte es ehrlich gestehen, sonst müssen für ihn die anderen leiden«, belehrte Klim.

      Dronow sah ihn an, zwinkerte, spuckte aus und sagte:

      »Wenn