Bettina Reiter

Maggie


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hast sie … aber woher?“, stotterte Maggie und nahm sie vorsichtig heraus.

      „Als du damals geschlafen hast, bin ich mit einer Taschenlampe bewaffnet an den Strand gegangen und habe sie gesucht. Stundenlang übrigens.“ Er schloss das leere Kästchen und steckte es wieder ein. „Du hast mir leidgetan und ich schämte mich dafür, dass ich dich ausgelacht habe.“

      „Warum jetzt? Ich meine, wieso hast du sie mir nicht früher gegeben?“

      „Weil ich auf den perfekten Moment warten wollte.“

      Überwältigt von ihren Gefühlen blickte Maggie ihn an. „Ich habe keine Ahnung, was ich sagen soll“, gestand sie unter Tränen, denen sie nun freien Lauf ließ.

      Alec strich ihr das Haar aus der Stirn, dann nahm er sie behutsam in die Arme. So verharrten sie eine halbe Ewigkeit. Mitten in der Bucht. Mit dem endlosen Himmel über sich, der allmählich aufklarte. Zaghaft stahl sich ein Sonnenstrahl durch die Wolken, bis die Klippen und der Ozean plötzlich wie unter einer überirdischen Lichtflut vor ihnen lagen. Die Helligkeit schmerzte Maggie beinahe in den Augen. In diesem einen Moment schien die Welt stillzustehen und sie wusste, dass sie dieses Erlebnis niemals vergessen würde.

      Selbst am Abend war Maggie noch erfüllt von dem Eindruck, als sie mit Alec in eine Decke gehüllt vor dem flackernden Kamin saß. Zuerst war sie von seinem Vorschlag wenig begeistert gewesen, doch Alec versicherte ihr, dass er weder das Haus noch ihre Haare in Brand setzen würde. Außerdem wäre es nicht das erste Mal, dass er ihn beheizte, was ihr neu war. Aber nicht immer war sie mit der Familie hier gewesen. Doch erst nachdem sie die Armsessel ins Gästezimmer am Ende des Flures gebracht und die Couch bis zur Wand zurückgeschoben hatten, fügte sich Maggie ihrem Schicksal.

      Nun tranken sie einträchtig heiße Schokolade. Seit Kindheitstagen liebte Alec das Getränk. Maggie hätte indes nichts gegen einen kräftigen Kaffee gehabt, nur, was tat man nicht alles aus Liebe. Selbst diese Affenhitze ertrug sie. Eine Sauna war nichts dagegen, weshalb sie Alec irgendwann die ganze Decke überließ.

      „Exakt fünf Scheite. Mehr dürfen es nicht sein. Genauso hat es mir Dad eingebläut und ich finde, dass ich es fürs erste Mal ausgezeichnet gemacht habe“, mutierte Alec zum Angeber.

      „Fürs erste Mal?“ Mit Nachdruck stellte Maggie die fast volle Tasse auf den Tisch. Kakao schwappte über den Goldrand und zog dunkle Linien über das weiße Porzellan, zu dessen Fuß sich eine kleine Pfütze bildete. „Also doch! Ich habe mich schon gewundert, dass du das angeblich zigfach gemacht hast.“

      „Irgendwas musste ich sagen, um dich umzustimmen.“ Er trank einen Schluck.

      „Alec Campbell, ich bin schockiert!“, tat sie gespielt böse.

      „Tja, manchmal greift sogar jemand wie ich zu Notlügen.“ Er zwinkerte ihr zu. Dennoch hinterließ seine Aussage einen bitteren Beigeschmack. „Mir ist übrigens verdammt kalt.“

      „Das ist nicht dein Ernst.“ Maggie schob den Träger ihres kurzen Satinhemdes hoch, der über die rechte Schulter gerutscht war. Sogar der dünne Stoff klebte auf ihrer Haut. „Kann es sein, dass Hank Campbell dein Vater ist?“ Hoffentlich überhörte Alec den Totengräber-Ton. Zum Teufel, wie sie das hasste! Kaum sagte Alec etwas, das man zweideutig auffassen könnte, waren ihre guten Vorsätze dahin und dieses unangenehme Gefühl kehrte zurück.

      Grinsend stellte er ebenfalls seine Tasse ab und befreite sich von der Decke, die er achtlos auf den Boden warf. „In Wahrheit geht es mir ähnlich wie dir. Auch wenn ich glaube, dass es heute noch heißer werden könnte.“

      Ein bittersüßer Schmerz pochte in ihrem Unterleib, als sie Alec im Schein des Feuers betrachtete. Er trug nichts als Shorts. Bei jeder Bewegung zeigten sich seine Muskeln an Armen und Brust. Das Six-Pack kam nicht nur vom Sport, sondern war eher der harten Farmarbeit geschuldet. Keiner konnte so sexy Holzhacken wie er. Meist mit nacktem, verschwitztem Oberkörper und in seiner hautengen Arbeitsjeans, die wenig Raum für Fantasie ließ.

      Behalte Christin und Alec im Auge, drängte sich ausgerechnet jetzt Lydias Aussage auf!

      „Was ist mit dir?“, verscheuchte Alec das Bild dieser blutsaugenden Zecke.

      „Nichts, ich … äh … musste gerade an Mutter denken.“ Sehr einfallsreich!

      „Du denkst an Trudy? Jetzt?“, entsetzte sich Alec aus nachvollziehbaren Gründen. Der Abend glühte vor Romantik. Eltern waren da eher semi-optimal. Als würde man Eiswasser auf Feuer gießen oder mit nassen Fingern in eine Steckdose greifen, womit die schönste Stimmung dahin sein konnte.

      „Wegen unserer Hochzeit“, ratterte Maggie eine weitere Notlüge herunter. Soviel dazu! „In der kurzen Zeit muss noch einiges organisiert werden. Aber ich stimme dir zu. Im Augenblick gibt es Wichtigeres.“ Zärtlich fuhr sie mit den Fingern von seiner Schulter abwärts. Als sie unter den Bund seiner Shorts glitt, beschleunigte sich Alecs Atem, der sie ungestüm auf seinen Schoß zog. Was danach folgte, war mit nichts zu vergleichen, denn nie war Alec fordernder gewesen, als in dieser Nacht. Ausdauernder, einfallsreicher und hingebungsvoller. Gerade deswegen spürte Maggie umso deutlicher, dass sie etwas trennte. Etwas, das nicht greifbar war, wie ein unsichtbarer Feind. Dennoch wusste sie, dass er da war. Irgendwo.

      ♥♥♥

      Maggie glaubte den Geruch von Kaffee wahrzunehmen. Müde hob sie die Lider und blinzelte gegen das Tageslicht an. Dabei nahm sie hinter sich eine Bewegung wahr und rollte sich auf den Rücken. Alec stellte lächelnd das Tablett auf das Fußende des Bettes. Die schwarze Jeans musste neu sein und auch das grüne Holzfällerhemd hatte sie vorher nie an ihm gesehen. Lässig trug er es über den Hosenbund.

      „Du bist bereits angezogen?“, stellte sie überflüssigerweise fest.

      „Nur der frühe Vogel fängt den Wurm“, zitierte er den Lieblingssatz seines Vaters.

      „Es ist noch mitten in der Nacht!“ Mit Mühe hielt sie die Augen offen.

      „Irrtum. Bald ist es sieben Uhr.“

      „Sag ich doch. Du bist ein Sadist!“

      „Immerhin einer, der dir Frühstück ans Bett bringt.“

      „Das macht die Sache auch nicht besser.“

      „Wie du willst. Dann trinke ich den Kaffee eben selbst.“

      Schwerfällig richtete sich Maggie auf. „Untersteh dich. Davon abgesehen verabscheust du Kaffee.“ Ihr Blick fiel auf das Tablett. Er musste frische Brötchen und Croissants geholt haben.

      „Ich war bereits in der Bäckerei“, bestätigte er unbewusst ihre Vermutung. „Etwas Butter, deine geliebte Aronia-Marmelade, Ananasstücke und Blütenhonig. Ich hoffe, ich habe nichts vergessen.“

      „Der Honig ist wohl für dich.“ Sie rümpfte die Nase. „Wie kann man dieses Zeug nur essen?“

      Alec grinste nachsichtig, denn da war sie, eine von Maggies Schwächen: Sie gehörte zu den Morgenmuffeln, während er vor guter Laune nur so sprühte. „Tja, beim Honig hat sich wohl ein Fehler eingeschlichen.“ Seit sie ihn kannte, aß er mindestens ein Honigbrot zum Frühstück. „Übrigens habe ich uns Karten besorgt. Nächste Woche entführe ich dich nach Penzance in die Oper.“ Erwartungsvoll schaute er sie an.

      „In die Oper?“ Das seltsame Gefühl in ihrer Magengegend verstärkte sich. „Was hast du vor kurzem darüber gesagt? Keine zehn Pferde würden dich je in eine Vorstellung bringen, da die Sänger in Wahrheit Tarzans Kinder wären und für die unverständlichen Texte bräuchte man Untertitel.“ Prüfend musterte sie Alec. „Warum tust du das alles?“, forschte sie nach und fragte sich gleichzeitig, ob sie es nicht einfach auf sich beruhen lassen sollte.

      „Was meinst du?“

      Maggie deutete auf das Tablett. „Na, das hier. Oder die Oper.“ Du liebe Güte, worin verstrickte sie sich bloß? Wenn man jemanden liebte, brachte man ihm beizeiten ein Frühstück ans Bett oder tat Dinge, die man ansonsten mied. Kein Grund, derart überspannt zu