Ava Lennart

Mädchenname


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eingerichtetes Arbeitszimmer. Linkerhand stand eine nüchtern wirkende Sitzgruppe aus Chromstahl und schwarzem Leder. Eine Längsseite des Raumes zierten Aktenschränke. Der einzige bunte Farbfleck des Zimmers war ein großes, gerahmtes Foto von einer mediterranen Villa auf der der Tür gegenüberliegenden Seite. War dies das Haus in Südfrankreich? Beim zweiten Hinsehen bemerkte sie, dass es sich nicht um ein Foto, sondern um ein sehr realistisches Gemälde handelte. Das Bild strahlte eine heitere, friedliche Stimmung aus.

      Vor der Fensterfront, die den Blick auf den nahen See öffnete, stand ein Glasschreibtisch, der ebenfalls von Chromträgern unterbaut war. Auf mehreren Monitoren auf einem seitlichen Tisch erkannte Julia Diagramme von Börsenbewegungen.

      Hinter dem Schreibtisch saß ein älterer Herr, den Julia auf etwa sechzig schätzte. Er trug einen dunklen, sicher maßgeschneiderten Anzug und wirkte äußerst gepflegt. Sein graues, noch volles Haar war akkurat geschnitten und von einem scharfen Seitenscheitel unterteilt. Sein Aussehen erinnerte Julia an Cary Grant. Charles de Bertrand hob bei ihrem Eintreten mit der Bitte um ein wenig Geduld die Hand. Er tippte rasch etwas in einen der Computer ein.

      Dann schaute er sie an. Die jung gebliebenen Augen, die Julia freundlich ansahen, und die schlanke Figur ließen sie darauf schließen, dass Charles de Bertrand in seiner Jugend ein umwerfend attraktiver Mann gewesen war. Charmant war er immer noch.

      „Frau Sandhagen. Wunderbar, dass Sie kommen konnten. Bitte, nehmen Sie doch Platz. Stéphane Parsdorf, meinen Assistenten, haben Sie ja bereits kennengelernt. Wie Sie sehen, bin ich etwas indisponiert, ansonsten hätte ich mich selbstverständlich erhoben.“ Charles de Bertrand deutete auf den Rollstuhl, in dem er saß. „Ein dummer Sportunfall. Nichts von Dauer, aber äußerst lästig im Alltag.“

      Er legte seine Fingerspitzen aneinander und musterte Julia, die ihn ebenso höflich begrüßt hatte, interessiert. „Ich lese aus Ihrer Vita, dass Sie eine recht erfolgreiche Anwältin waren. Warum möchten gerade Sie diesen Job als meine Assistentin?“

      Julia hatte sich im Vorfeld verschiedene Versionen als Antwort auf diese Frage, die unweigerlich kommen musste, zurechtgelegt. Sie war dennoch verblüfft, dass der Mann das Gespräch damit eröffnete. Letztlich entschied sich Julia für die Wahrheit. Gerade das stetige Taktieren, das von einer Juristin erwartet wurde, war sie leid. Mit einem kurzen Seitenblick auf Stéphane, der sich seitlich vom Schreibtisch auf einem freischwingenden Designerstuhl postiert hatte, beantwortete sie die Frage daher recht nüchtern.

      „Es war einfach Zeit für einen Wechsel.“

      Die knappe Aussage schien de Bertrand zu gefallen zu, denn er ließ das Thema ruhen. „Sprechen Sie Französisch?“, fragte er stattdessen auf Französisch.

      Julia, die während ihrer Tätigkeit in der Schweiz hauptsächlich Großkunden aus dem französischsprachigen Raum betreut hatte und ihre Sprachkenntnisse deshalb hatte perfektionieren können, wechselte mühelos ebenfalls ins Französische.

      Charles de Bertrand berichtete ihr, das Haus Mirabel an der Côte d’Azur befände sich schon lange im Besitz der Familie seiner Frau, und er würde seit seiner Verlobung dort die Sommer mit seiner Frau Inès verbringen. Er deutete mit der Hand auf das Bild der Villa und bestätigte Julias anfängliche Vermutung, dass dies ihr Wohnsitz für den Sommer sein könnte. Ihr Blick heftete sich auf die Blumen und die blauen Fensterläden, was eine unerklärliche Sehnsucht in ihr auslöste. Als würde das Haus sie rufen. Als sie sich Charles wieder zuwandte, sah dieser ihrem Gesicht wohl an, dass sie diesen Job wirklich wollte. Er lächelte nur und fuhr fort.

      „Dieses Jahr will ich meinen fünfundsechzigsten Geburtstag dort groß feiern.“

      Julias Bemerkung, sie hätte ihn jünger geschätzt, nahm er erfreut hin.

      „Stéphane hat in der Regel den Sommer über frei und ist auch dieses Jahr familiär verplant. Ich habe mich erst kürzlich entschieden, meinen Geburtstag so groß zu begehen. Ohne Assistenz geht es daher nicht.“

      Stéphane schüttelte bei diesen Worten betrübt den Kopf.

      „Ausgerechnet jetzt bin ich durch den Sportunfall zusätzlich eingeschränkt. Aber keine Sorge, ich brauche keine Pflege. Ich kann sogar laufen, soll mein Bein aber schonen. Der Job beinhaltet nur leichte organisatorische Aufgaben einer Assistentin. Eventuell Unterstützung bei der Planung der Feier. Obwohl sich selbstverständlich eine renommierte Eventagentur aus Paris um die komplette Organisation kümmern wird.“

      Julia hörte interessiert zu und konnte bislang keinen Grund erkennen, weshalb sie den Job ablehnen sollte. Insbesondere die auf das Wesentliche reduzierte Art Charles de Bertrands beeindruckte sie.

      „Und ich spiele mit dem Gedanken“, fuhr de Bertrand leise fort, „einige Ereignisse aus meinem Leben aufzuschreiben. Und ich gehe davon aus, dass Sie sicher im Umgang mit der deutschen Sprache sind und meine Erzählungen in eine gute Form bringen können.“

      Das wurde ja immer besser! Sie liebte es, Texte zu verfassen, die aber nach ihrem Geschmack immer etwas zu sachlich bleiben mussten – berufsbedingt. Hier bekäme sie die Chance, ihre Leidenschaft auf einer ganz anderen sprachlichen Ebene auszuleben.

      Freudig nickte sie. „Ja, das wäre kein Problem.“

      „Das Gehalt ist recht bescheiden. Sie bekommen dafür aber freie Kost und Logis. Und für die Reise werden Ihnen keine Kosten entstehen.“ Charles de Bertrand kritzelte eine Zahl auf einen Zettel, faltete diesen und reichte ihn Julia.

      Als sie den Betrag las, den er als monatliche Vergütung ihrer Tätigkeit vorgesehen hatte, stockte ihr kurz der Atem. Die Zahl reichte an ihr Einkommen als Anwältin für eine Sechzigstundenwoche heran. Sie runzelte die Stirn. Vielleicht hatte sie etwas falsch verstanden und ihre Assistenz sollte auch die Erfüllung von erotischen „Sonderwünschen“ umfassen?

      Als sie Charles de Bertrand anblickte, schien dieser ihren Gedankengang erraten zu haben. Amüsiert lächelnd lehnte er sich zurück und ließ sie augenscheinlich schmoren, um zu beobachten, wie sie eine entsprechende Frage formulierte.

      In diesem Moment klopfte es an der Tür. Charles de Bertrand blickte Richtung Eingang.

      „Ah, das wird mein Sohn Philippe sein. Das ist hervorragend, so können Sie ihn gleich kennenlernen, Frau Sandhagen. Er wird den Sommer über ebenfalls oft auf Mirabel sein.“

      Julia drehte sich leicht in ihrem Stuhl und erblickte im Türrahmen einen hochgewachsenen blonden Mann, der Charles de Bertrand wie aus dem Gesicht geschnitten war. Hätte er nicht ebenfalls einen eleganten, aber konservativen Anzug getragen, hätte Julia ihn für ein Model gehalten. Er kam auf sie zu, und Julia erhob sich. Seine blauen Augen richteten sich fragend auf sie, und als er ihr die Hand gab, bemerkte sie ein kleines Grübchen auf seinem Kinn.

      Charles de Bertrand begrüßte seinen Sohn: „Philippe, schön, dass du kommen konntest. Darf ich dir Julia Sandhagen vorstellen? Sie ist eine der Bewerberinnen für diese Stelle, die ich über die Agentur ausgeschrieben habe. Von Haus aus ist sie Juristin, und ich frage mich, ob sie für diese Tätigkeit nicht überqualifiziert ist.“

      Philippe de Bertrand, dessen warme, kräftige Hand Julias anscheinend nicht loslassen wollte, grinste. „Und da komme ich gerade recht, um dir diese zauberhafte Person einzureden? Das glaube ich nicht, Vater. Gib es zu, du hast dich längst für sie entschieden.“

      Julia stieg vor Verlegenheit eine leichte Röte in die Wangen. Gleichzeitig hatte sie keine Lust, sich wie ein kleines Mädchen behandeln zu lassen, und entzog Philippe de Bertrand energisch ihre Hand.

      „Es gibt noch eine klitzekleine Ungereimtheit wegen der Höhe der Vergütung“, fügte Charles de Bertrand hinzu.

      Ungereimtheit?, dachte Julia empört. Ein Blick in Charles de Bertrands schmunzelndes Gesicht zeigte ihr, dass er ihre Zweifel durchschaut hatte und immer noch eine Antwort von ihr erwartete. Na warte, dachte Julia, dieses Spiel kann ich auch.

      „Im Gegenteil, Monsieur de Bertrand, die Vergütung erscheint mir angemessen, und ich werde selbstverständlich sämtliche Ihrer Wünsche zu Ihrer vollsten Zufriedenheit erfüllen.“