Ava Lennart

Mädchenname


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Wie erwartet, blieb noch viel Platz für ausgiebige Shoppingtouren in Monaco. Sie konnte ja schließlich nicht ihr ganzes Gehalt für Notzeiten zurücklegen. Überwältigt von Carmens Kleidervielfalt verweilte sie einen Moment ratlos vor dem Regal. Dann entschied sie sich für ein zart geblümtes Sommerkleid und eine leichte Strickjacke. Prada las sie auf dem Etikett. Wie weich sich der Stoff anfühlte. Kein Vergleich mit ihren üblichen Sachen.

      Sie drehte sich um und staunte über ihr Abbild im Spiegel. Das Kleid endete knapp über ihren Knien. Der geblümte leichte Stoff war fast transparent und ließ ihre durch das eng anliegende Unterkleid geformte Figur im Gegenlicht erahnen. Die geflochtenen Spaghettiträger brachten ihr schönes Dekolleté zur Geltung. Wer hätte gedacht, dass sie so sexy aussehen könnte? Na, ja, ein wenig Sonnenbräune könnte nicht schaden. Julia konnte dem Drang nicht widerstehen, sich einmal um ihre eigene Achse zu drehen, um das Schwingen des Kleides auszulösen.

      Vergnügt trat sie mit nackten Füßen auf ihre Terrasse an das von der Juni-Sonne erwärmte Steingeländer. Während sie ihr feuchtes Haar kämmte, bewunderte sie die grandiose Aussicht auf das Mittelmeer. Eine stattliche Anzahl von großen Yachten dümpelte vor der Küste. Einzelne Wellenkämme blinkten in der Sonne. Ein hellblaues Glitzern durch die Pflanzen zu ihrer Linken ließ Julia vermuten, dass sich dort der Swimmingpool befand.

      Julia sog tief die nach Rosmarin und Pinien duftende Luft ein und genoss die friedliche Spätnachmittagsstimmung. Sie schloss lächelnd über ihr Glück die Augen und konnte es gar nicht erwarten, ihrer Freundin Stella von allem zu berichten.

      DER GÄRTNER IST IMMER...

      „Mathieu? Mathieu?!“

      Julia beugte sich leicht vor und sah Pierre unter sich. Die Hände zu einem Trichter geformt, wiederholte er sein Rufen. „Mathieu, wo bist du denn?“

      „Hier unten!“, antwortete eine tiefe Stimme aus dem dichten Buschwerk unterhalb Julias Terrasse.

      Pierre hastete auf einem Pfad aus Steinplatten, der von hohem Gras fast überwuchert war, in Richtung der Stimme. Ob dieser Mathieu der Gärtner war? Er musste ein rechter Faulpelz sein.

      Julia starrte stirnrunzelnd auf die struppigen Oleanderbüsche, zwischen denen Pierre verschwunden war. Der Garten machte, im Gegensatz zum Haus, einen eher ungepflegten, fast verwilderten Eindruck. Aber gerade diese Wildheit des Gartens erweckte in ihr den Entschluss, das Areal zu erkunden.

      Sie zog rasch weiße Stoffschuhe an und verließ ihr Zimmer. Vor der Tür musste sie sich erst einmal orientieren, aus welcher Richtung sie zuvor mit Virginie gekommen war. Leichtfüßig sprang sie eine Wendeltreppe aus Stein hinab, die auch tatsächlich in den Garten mündete. Sie befand sich unterhalb ihrer Terrasse an der Stelle, an der sie Pierre hatte rufen hören. Zufrieden folgte sie dem Pfad der Steinplatten und fühlte sich ein wenig wie Alice im Wunderland.

      Als sie den Weg ein paar Meter gegangen war, kam ihr Pierre entgegen. Er hatte den Gärtner Mathieu anscheinend gefunden, befand sich auf dem Rückweg und nickte ihr kurz zu.

      An der nächsten Weggabelung stand Julia tatsächlich vor einem Swimmingpool. Wie alles im Garten wirkte auch dieser leicht vernachlässigt. Das Becken war sicher zwanzig Meter lang, und einige der hellblauen Fliesen am Boden waren gesprungen. Das Wasser erschien allerdings klar und wurde offensichtlich gereinigt. Auf einer verwitterten Holzterrasse stand etwa ein halbes Dutzend verblichener Holzliegen. An der gegenüberliegenden Seite des Pools sah Julia ein einstöckiges Gebäude mit Flachdach, das sich als Poolhaus entpuppte, das Waschräume und Umkleidekabinen beherbergte. Flauschige Badetücher und -mäntel warteten auf Schwimmer. Aber auch hier herrschte ein eher gestriger Charme vor, wie Julia bei ihrer Inspektion feststellte.

      „Merkwürdig“, murmelte sie.

      Sie drehte sich um. Das Haupthaus war von hier aus betrachtet fast vollständig von Bäumen verdeckt. Wenn sie wie jetzt rechts vom Poolhaus stand, konnte sie gerade noch eine kleine Ecke des Geländers einer Terrasse ausmachen, und Julia nahm an, dass es sich um ihre vor dem Dahlienzimmer handelte. Rechts vom Poolhaus führte ein weiterer Pfad mit Steinplatten in die Büsche.

      Neugierig setzte Julia ihre Erkundungstour fort und passierte einen kleinen Gartenschuppen. Die in den Weg ragenden Zweige eines Feigenbaumes drückte sie zur Seite, dann bog sie in einen von einer Hecke umgebenen, leicht verrotteten Tennisplatz ohne Netz ein. Büschel von Unkraut hatten sich ihren Weg durch die vormals rote Asche zurückerobert. Tennis spielte hier wohl auch seit langer Zeit niemand mehr.

      „Das ist mir gleich, Antoine. Ich brauche die Lieferung spätestens morgen Vormittag.“

      Julia fuhr herum: Sie war nicht allein. Mit dem Rücken zu ihr nahe bei der Hecke stand ein schlanker Mann, der mit der einen Hand ein Handy ans Ohr hielt und sich mit der anderen Hand heftig durch braune halblange Locken fuhr. Er trug eine mit Erde verschmutzte Jeans und ein verblichenes olivfarbenes T-Shirt, das im Rücken eine Schweißspur aufwies. Seine Füße steckten in einer Art Bergsteigerstiefel. Neben dem Mann lagen eine Spitzhacke und ein Eimer.

      Julia wusste nicht, weshalb, aber sie konnte den Blick kaum von seinen breiten Schultern und der feuchten Spur, die sich vom Nacken bis zum Hosenbund zog, abwenden. Obwohl sie sein Gesicht noch nicht gesehen hatte, strahlte er eine enorme männliche Präsenz aus: Typ kerniger Naturbursche. Fasziniert starrte sie auf die definierten, braun gebrannten Unterarme und registrierte, wie perfekt die Jeans um seine Hüften saß.

      Ihr Herz klopfte aus unerfindlichen Gründen heftiger, als es in einer solchen Situation notwendig war. Der Mann – er mochte ungefähr vierzig Jahre alt sein – wandte ihr nun sein Profil zu, während er mit unzufrieden gekräuselter Stirn in sein Telefon lauschte. Er schien sie immer noch nicht bemerkt zu haben.

      Die Nachmittagssonne tauchte die ganze Szenerie in ein fast kitschiges orangenes Licht.

      „Ich meine es ernst, Antoine. Das ist ein wichtiger Auftrag. Vermassel es mir nicht.“

      Der unfreundliche Gesichtsausdruck, den er dabei aufsetzte, tat seinem guten Aussehen keinen Abbruch. Seine Stimme war trotz seines offensichtlichen Ärgers angenehm und tief und brachte Julias Sinne zur höchsten Anspannung.

      Julia folgte mit den Augen der markanten Linie seiner Wange und registrierte seinen leichten Bartschatten. Der Mann hatte etwas Herbes, Ungebändigtes an sich. Die Nase war ein wenig zu groß, das Kinn schroff, die Lippen ausdrucksstark und jetzt, wo er offensichtlich schlechter Stimmung war, an der ihr zugewandten Seite fast abweisend hochgezogen. Aus demselben Grund war seine Stirn gefurcht.

      Sein ganzes Äußeres strahlte Ablehnung aus.

      Sein ganzes Äußeres zog Julia magnetisch an.

      Irgendwie kam ihr seine Kinnpartie vage bekannt vor. Bevor sie noch weiter darüber nachdenken konnte, beendete der Mann sein Telefonat und bemerkte, wie Julia ihn anstarrte. Julia zuckte ertappt zusammen und spürte zu ihrem Ärger, wie Hitze in ihre Wangen stieg. Zugleich schossen ihr tausend Gedanken durch den Kopf.

      Wie lange sie ihn wohl so angegafft hatte? Was musste er von ihr denken? Ob das der Gärtner war? Wie hieß er noch mal? Ah, Mathieu. Was für eine Lieferung? Handelte der mit Drogen? Dürfen Gärtner so gut aussehen? Kernig. Männlich. Oh Gott, Julia, sag doch was! Plötzlich schienen ihre Französischkenntnisse zu versagen.

      Als hätte der Gärtner ihre Gedankensprünge an ihrem Gesicht ablesen können, begann er, zu grinsen. Er nahm seine Spitzhacke auf und stützte sich auf deren Stiel, während er unverhohlen zurückgaffte. Er musterte sie von oben bis unten und zog sie mit seinem Blick förmlich aus. Ihr wurde heiß.

      Oh weh, dachte Julia. Wie megapeinlich! Gleichzeitig fiel ihr auf, wie schön sein Mund wurde, wenn er lächelte. Das Lächeln glättete auch die Zornesfurche zwischen seinen Brauen, und Julia war von dieser Wandlung seiner Gesichtszüge hingerissen. Sie spürte einen impulsiven Drang, mit den Fingern seine Lachfältchen links und rechts des Mundes zu erkunden. Als seine eindringliche Inspektion endlich ihre Augen erreicht hatte, wurde es einen Moment ganz still in