Ava Lennart

Mädchenname


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Sandhagen, meine Assistentin.“

      Pierre nickte Julia freundlich interessiert zu. Nachdem alles verstaut war, setzte Pierre das Cart in Bewegung und sie erklommen rappelnd einen bekiesten Weg, der in sanften Serpentinen den Hügel hinaufführte.

      Nach der letzten Kehre, die sich um eine eindrucksvolle Pinie wand, blieb Julia abermals vor Staunen der Mund offen stehen. Vor ihr lag ein verwinkeltes, großes Haus, das mit seinen unzähligen Balkonen, pflanzenbeschatteten Treppchen, kleinen Terrassen und Türmen wie ein kleines Schloss anmutete. Blaue Fensterläden umrahmten die unzähligen Fenster und Balkontüren. Sie erkannte das Haus vom Bild in de Bertrands Büro wieder, doch in natura wirkte alles noch viel imposanter. Julia assoziierte sofort eine Villa aus dem alten Rom. Ehrwürdig gewachsene Bäume, vornehmlich gigantische Schirmpinien, Zypressen und Palmen, warfen ihre Schatten auf einen Vorplatz. Auf der Eingangstreppe hatte sich das Personal für den Empfang des Hausherrn versammelt. Wie bei Downton Abbey, ihrer Lieblingsserie um einen englischen Landsitz, dachte Julia entzückt.

      Als die Reifen des Carts im Kies knirschend zum Stehen kamen, holte Charles de Bertrand tief Luft. „Ah, tut das gut, wieder hier zu sein.“

      Schon stürmte eine etwa sechzigjährige Frau auf den Wagen zu. „Oh, Monsieur Charles, wie schön, Sie zu sehen. Eine solche Freude!“, rief sie. Ihr Gesicht zeigte mütterliche Freude.

      Charles de Bertrands Gesicht leuchtete ebenfalls freudig auf, und Julia vermutete, er musste sich zurückhalten, die rundliche Frau nicht zur Begrüßung in seine Arme zu schließen. Er wandte sich zu Julia. „Darf ich vorstellen, das ist Estelle. Seit ich denken kann, die gute Seele dieses Hauses. Estelle, das ist meine Assistentin für diesen Sommer – Julia. Sie spricht übrigens fließend Französisch, Sie müssen sich also nicht auf Deutsch abmühen“, zwinkerte Charles ihr vertraulich zu.

      Als hätte Charles seine lange verlorene Tochter vorgestellt, umfasste Estelle Julias Hand mit beiden Händen und drückte diese herzlich. „Oui, wir haben Sie bereits erwartet und das Dahlienzimmer für Sie hergerichtet. Sie wollen sicherlich erst einmal ankommen und sich nach der Reise ausruhen.“ Freundlich zwinkerte sie Julia zu und zog sie leicht Richtung Eingang.

      Julia folgte ihr verblüfft. „Ja … aber … ich muss mich um Monsieur de Bertrand kümmern.“

      „Ach was, das können Sie auch später noch. Hier sind genug eifrige Helfer. Sie sollen doch ein wenig Freizeit haben.“

      Julia stellte nach einem Blick über ihre Schulter beruhigt fest, wie Charles de Bertrand ihr entspannt nachwinkte. Am Eingang knickste eine junge Frau vor ihr und stellte sich als Virginie vor. Julia schätzte sie auf Anfang zwanzig.

      „Ich bringe Sie zu Ihrem Zimmer, Madame.“ Sie winkte Pierre. „Pierre, du holst bitte das Gepäck von Madame und trägst es ins Dahlienzimmer hoch, und sobald Gerard da ist, bringst du den Rest.“

      Der Junge machte sich eifrig an seine Aufgabe. Julia fühlte sich wie in einem Traum: das Personal, der Knicks, die Kiesauffahrt. Das durfte doch alles nicht wahr sein, schmunzelte sie innerlich über diese Klischee-Wunderwelt, die ihr Zuhause für die nächsten Wochen sein sollte.

      Virginie führte Julia über mehrere Treppchen und Wandelgänge zu einem Wohntrakt, der in einem ruhigen Teil des Hauses lag. Das Innere des Hauses schien vollständig modernisiert und war geschmackvoll im mediterranen Stil eingerichtet. Die Ausstattung war zu schlicht, um billig zu sein. Julia war erleichtert, dass sie weder die kühle Atmosphäre der Sechzigerjahre noch die Seidentapeten-Opulenz, die sie von einer französischen Villa an der Côte d’Azur erwartet hatte, umgab.

      Julia folgte Virginie, die eine große Flügeltür geöffnet hatte und sie hineinbat. Als sie den Raum betrat, musste sich Julia schon wieder ermahnen, rasch den Mund zu schließen, der sich beim Anblick des Dahlienzimmers staunend geöffnet hatte. Das war wohl eher eine Dahlien-Suite: ein hoher Raum, der auf der gesamten südlichen Wandfläche von Terrassentüren gesäumt war, vor denen lichte Vorhänge im Wind flatterten. Vor einem der Fenster entdeckte sie einen großen Schreibtisch aus hellem Holz, auf dem ein MacBook mit Drucker stand. In der gegenüberliegenden Ecke neben der Tür lud eine Sitzkombination zum Ausruhen ein. Hinter dem Sofa hing ein großformatiges modernes Ölgemälde, das einen Dahlienstrauß andeutete.

      Das Hausmädchen hatte einen großen Schrank zu ihrer Rechten geöffnet, in den eine komplette kleine Küchenzeile integriert war. „Falls Sie sich mal einen Tee machen möchten, Madame. Selbstverständlich bringen wir Ihnen alles, was Sie wünschen, auch aufs Zimmer. Was es auch sein mag. Wählen Sie die Siebzehn.“ Virginie deutete auf ein Telefon beim Schreibtisch. Schnell durchquerte sie den Wohnraum und öffnete eine weitere Flügeltür zum angrenzenden Schlafzimmer.

      Julia holte tief Luft, so beeindruckt war sie. Ein Himmelbett in zarten mediterranen Blautönen nahm den halben Raum ein, und Julia hatte nicht übel Lust, wie ein junges Mädchen vor Freude darauf herumzuspringen. Vom Bett aus blickte man über die bodentiefen Fenster auf das blinkende Mittelmeer. Angrenzend erspähte Julia ein schickes Badezimmer in weiß-grauem Marmor und Glas mit einer riesigen Badewanne. Sowohl vom Bad als auch vom Schlafzimmer aus gelangte man in einen weiteren Raum, einen begehbaren Kleiderschrank. Ihr eigenes Kleiderzimmer!

      Virginie hatte Julias Staunen registriert und grinste. „Wunderschön, nicht? Ich finde, Sie haben das schönste Gästezimmer im Haus“, strahlte sie Julia nicht ohne Besitzerstolz an. In diesem Moment hörten sie ein leises Klopfen. „Das wird Pierre mit dem Handgepäck sein. Soll ich Ihnen später beim Auspacken helfen, wenn Gerard mit dem großen Gepäck angekommen ist, Madame?“

      Julia wurde bewusst, dass ihr Kofferinhalt den Kleiderraum gerade mal zu einem Zehntel füllen würde. Sie sandte einen stillen Dank an ihre Kölner Freundinnen Carmen, Stella und Elena, die sie immerhin mit der passenden Kleidung versorgt hatten. Da sie es nicht erwarten konnte, endlich die auf sie einstürmenden Eindrücke zu verarbeiten und allein zu sein, schüttelte sie den Kopf. „Das ist nicht nötig. Danke, Virginie.“

      „Wenn Sie eine Hausführung möchten, wählen Sie bitte ebenfalls die Siebzehn, und ich komme und zeige Ihnen alles. Ansonsten gibt es um acht Uhr ein leichtes Dîner im großen Speisezimmer. Die Terrasse ist die nächsten paar Tage noch im Umbau, deswegen wird im Moment noch drinnen serviert. Soll ich Sie um kurz vor acht hier abholen und Ihnen zeigen, wo es ist?“

      Julia schaute rasch auf ihre Armbanduhr. Sie hatte also noch drei Stunden Zeit für sich. Sie nickte dankbar und schloss die Tür hinter Virginie und Pierre. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür und starrte fassungslos auf ihr neues Reich. Vielleicht sollte sie sich kneifen, um aus diesem Prinzessinnentraum zu erwachen. Das war allerdings das Letzte, wonach ihr der Sinn stand.

      Beschwingt machte sie sich erst einmal daran, ihren kleinen Koffer zu öffnen. Wie vermutet: Ihre wenigen Kleider würden sich in dem riesigen Raum verlieren, auch wenn sie später noch den Inhalt des großen Koffers einräumte. Als Julia ihre Zahnbürste aus ihrem Kulturbeutel kramte, bemerkte sie, dass bereits ein elektrisches Dentalcenter für ihre Mundhygiene bereitstand. Schmunzelnd ließ sie dennoch ihre Zahnbürste in das Glas auf der Marmorkonsole plumpsen, um so ihr Territorium zu markieren. Ihr Blick streifte das in die Wand eingelassene Soundsystem, das – wie Virginie ihr erklärt hatte – via Bluetooth von allen Räumen aus bedient werden konnte.

      Kurzerhand streifte sie sich das Business-Outfit ab, das sie während der Reise getragen hatte, und öffnete die Glastür, die in das „Duschareal“ führte. Schmunzelnd erkundete sie die Funktionen der unzähligen Knöpfe in ihrer Dusche und gab einen spitzen Schrei von sich, als sich ein eiskalter Schwall blau illuminierten Wassers begleitet von Bossanova-Musik über ihr ergoss.

      Nach der Dusche wickelte sie sich zufrieden in ein flauschiges Badetuch und wischte ausgelassen mit einem Handtuch Teile des beschlagenen Spiegels frei. Zu ihrem verschwommenen Konterfei mit Handtuchturban hauchte sie auf Französisch: „Allo, Madame! Comment allez-vous?“

      „Mir geht es sehr gut!“, antwortete sich Julia, tanzte Richtung Himmelbett und gab endlich dem Drang nach, sich darauf zu werfen. Sie war allerdings zu aufgeputscht, um dort liegen zu bleiben, und sprang nach wenigen Minuten wieder auf.

      Inzwischen