Simon Lieb

Schienengüterverkehr in der Schweiz


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Verlagerungspolitik im alpenquerenden Güterverkehr

      Der alpenquerende Güterverkehr betrifft zwar vor allem den Transitverkehr. Da dort aber ein umfassendes Verlagerungsinstrumentarium besteht, ist es auch für den SGV in der Fläche interessant, diesen kurz zu betrachten.36

      1994 wurde die Alpeninitiative in einer Volksabstimmung angenommen. Im anschliessenden Gesetz wurde festgelegt, dass der Strassentransitverkehr 2009 (später auf 2018 verschoben) auf maximal 650`000 Fahrten reduziert werden muss. Grund war die stark steigende Umweltbelastung entlang der Gotthardverkehrsachse im Alpenraum in Folge des schnell zunehmenden Strassengüterverkehrs nach dem Bau der Gotthard-Autobahn mit dem Strassentunnel.

      Um dies zu erreichen, wurden verschiedene politische Massnahmen ergriffen: Mit der LSVA wurde eine Lenkungsabgabe eingeführt, um Strassentransporte zu verteuern. Doch da gleichzeitig aufgrund der EU im Rahmen der Bilateralen Abkommen die Gewichtslimite der Lkws von 28 auf 40 Tonnen angehoben werden musste, wurden deren Effekte fast vollständig kompensiert. Weiter werden Investitionsbeiträge an KV-Umschlagsanlagen gesprochen und nicht kostendeckende Angebote im KV an die Operateure abgegolten. Um zu verhindern, dass auf der Strasse die Arbeits-, Sicherheits- und Umweltstandards unterschritten werden, werden zudem sogenannte Schwerverkehrskontrollen durchgeführt, bei denen die Lkws kontrolliert werden.

      Eine der wichtigsten Massnahmen ist zudem der Bau der NEAT mit den Basistunneln am Gotthard, Ceneri und Lötschberg, welche die Transitachse zu einer Flachbahn machen. Die Folge sind höhere Kapazitäten für den SGV, kürzere Strecken und Fahrzeiten sowie das Entfallen der Schiebelok bei den steilen Bergstrecken, was zu Produktivitätssteigerungen führt. Weiter wird auch der Ausbau der Zulaufstrecken im Ausland finanziell gefördert, da die Verlagerung des Transitverkehrs stark von den Bedingungen im Ausland abhängt. Zudem wird momentan die Gotthardachse für Lkws mit Eckhöhen bis 4 Meter ausgebaut (4-Meter-Korridor), um für diese mehr Kapazitäten bereitstellen zu können.

      Weitere Massnahmen mit Wirkungen auf den Transitverkehr waren die Liberalisierung des SGVs und die Erhöhung der Interoperabilität (Harmonisierung technischer Standards) zwischen den nationalen Eisenbahnsystemen, welche im Transitverkehr für Effizienzgewinne und Qualitätszuwächse gesorgt haben.

      Auch wiederholt diskutiert wurde eine Alpentransitbörse, welche die Überfahrtsrechte beschränken und versteigern würde. In Folge würde sich der Preis am Markt bilden und die Anzahl Alpenquerungen begrenzt werden. Doch muss dies aufgrund dem Landverkehrsabkommen der Bilateralen mit der EU verhandelt werden.

      Trotz dieser Massnahmen wurden die Fahrtenziele wiederholt verfehlt (vgl. Abbildung 12). So wurden 2009 statt 650`000 Lastwagenfahrten 1,18 Millionen gezählt und auch 2018 waren es noch 941`000. In diesem Jahr wurden 39,6 Mio. Tonnen Güter durch die Alpen transportiert (1985: 16,7 Mio. Tonnen), davon 70,5% auf der Schiene, wovon wiederum die SBB Cargo einen Marktanteil von 65% hält.

Image Abbildung 12: Entwicklung alpenquerender Güterverkehr auf der Strasse37

      Um das heutige SGV-System zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück zu den Anfängen der Schweizer Eisenbahn. Denn die heutigen Probleme lassen sich nicht losgelöst von der Geschichte betrachten. Dieses Kapitel resümiert die Geschichte der Schweizer Eisenbahn, unterteilt in vier Zeitabschnitte: Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, die erste und die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie der Beginn des 21. Jahrhunderts. In jedem Zeitabschnitt wird jeweils die Entwicklung des Eisenbahnsystems, der Verkehrspolitik und des SGVs betrachtet. Dabei liegt der Fokus auf den Problemen und Schwierigkeiten sowie den Entwicklungen mit Auswirkungen auf den heutigen SGV.

Ein Bild, das Zug, draußen, Spur, alt enthält. Automatisch generierte Beschreibung Abbildung 13: Eine Lokomotive der Spanisch-Brötli-Bahn38

      Das Eisenbahnzeitalter begann in der Schweiz im Jahr 1847 vergleichsweise spät, als mit der «Spanisch-Brötli-Bahn» von Baden nach Zürich die erste vollständig auf Schweizer Boden verlaufende Eisenbahn fuhr (vgl. Abbildung 13).39 Nebst Personen wurden auch damals Güter transportiert. Die Gründung des Schweizerischen Bundesstaates 1848 verlieh dem Eisenbahnbau einen Schub. Dabei erfolgten Bau und Betrieb der Eisenbahnstrecken in den ersten 50 Jahren durch Privatunternehmen. In Folge ruinöser Konkurrenz, vieler Konkurse, Streiks und der Furcht vor ausländischen Spekulanten wurde 1898 die Verstaatlichung der fünf grossen Privatbahnen in einer Volksabstimmung hoch angenommen.

      Zu diesem Zeitpunkt ist der Bau des Eisenbahnnetzes, wie es auch heute noch besteht, Grossteils abgeschlossen. Bis 1913 folgt nur noch die Lötschberg-Simplon-Strecke. Neben dem Eisenbahnnetz existiert ein ausgebautes Poststrassennetz, welches die Feinverteilung der Güter an von Bahnstrecken abgelegene Orte übernimmt. Die dafür zuständige Post setzt Pferdefuhrwerke ein, die ihren Höhepunkt erst im 2. Weltkrieg erreichen.

      Die in diesem Jahrhundert entstandene Eisenbahn hat die Schweizer Siedlungsstruktur bis heute wesentlich geprägt. Auch konnte sich die Industrialisierung erst durch die Eisenbahn in diesem Umfang vollziehen, da die Güter um ein Vielfaches billiger, in grossen Mengen und stark beschleunigt transportiert werden konnten.

      Der Güterverkehr war in den ersten 120 Jahren der Schweizer Eisenbahnen der dominierende Verkehr und generierte die meisten Einnahmen. So gab es vor dem ersten Weltkrieg 20`000 Güterwagen gegenüber 5`000 Personenwagen. Zudem wurden Industrie und Landwirtschaft zulasten des Personenverkehrs begünstigt. Zu Beginn dominierten Stückgutverkehre, die in Packwagen an Personenzüge angehängt wurden oder als separate Güterzüge wie im Personenverkehr an allen Bahnhöfen hielten. Weiter wurden Eilgutverkehre und für grössere Sendungen Wagenladungsverkehre betrieben. Die Organisation erfolgte dabei über Briefe und auch der Betrieb war sehr personalintensiv. Als Kupplung hatte sich europaweit ein System mit Schraubenkupplungen durchgesetzt, während in Amerika bereits vor 1900 eine viel einfacher zu handhabende automatische Kupplung eingeführt wurde.

      Mit der Verstaatlichung und Zusammenführung der fünf grössten Privatbahnkonzerne zur neuen Schweizerischen Bundesbahn wurde zwar die ruinöse Konkurrenz beendet, doch waren die Probleme keineswegs gelöst.40 Denn die neue SBB erbte alle Schulden und Verpflichtungen gegenüber privaten Kapitalgebern sowie die veraltete Infrastruktur und das uneinheitliche Rollmaterial. Zudem bestanden politisch bedingt nicht kostendeckende Tarife. Die SBB musste nun nur aus ihren Einnahmen neben den Betriebskosten auch alle Schuldzinsen und Erneuerungsinvestitionen zahlen. In Folge wuchs der Schuldenberg in den ersten 40 Jahren stark an.

      Im ersten Weltkrieg zeigt sich erstmals die Abhängigkeit der Schweiz von teuren Kohleimporten. Um diese zu verringern, startet die Schweiz 1916 ein weltweit beispielloses Elektrifizierungsprogramm des Bahnnetzes. Bis 1928 wurden alle Hauptbahnen und bis 1960 praktisch das gesamte Bahnnetz elektrifiziert. Die umfangreichen Investitionen der SBB in die Elektrifizierung bewirkten eine starke Subventionierung und Umstrukturierung der Industrie.

      Aufgrund der hohen Investitionen erhöhten sich die bereits angehäuften Schulden weiter. Die resultierenden hohen Kapitalkosten im Umfang von 30% der Jahreseinnahmen führten zu einer sinkenden Eigenwirtschaftlichkeit der SBB, sodass sie nach dem zweiten Weltkrieg saniert und entschuldet werden musste. Trotzdem hatte sie weiterhin hohe Schulden, was die nach dem zweiten Weltkrieg durch die Konkurrenz der Strasse