Simon Lieb

Schienengüterverkehr in der Schweiz


Скачать книгу

Abbau dürfte die Totalrevision des GüTGs mit Abbau von Subventionen sein. Nur wenige Jahre später, 2018/19, kam ein erneuter Abbau auf die heutigen 154 Bedienpunkte im Grundnetz und 131 Kundenlösungen hinzu, inklusive Streichung von rund einem Drittel der Arbeitsplätze bis 2023.

      Wie in den letzten Kapiteln beschrieben, gibt es sehr unterschiedliche Probleme im SGV in der Fläche, die von finanziellen Schwierigkeiten über schlechte Trassen bis zur Verunsicherung der Kunden führen und alle mit dazu beitragen, dass der Marktanteil abnahm. Meiner Auffassung nach ist bei genauer Betrachtung des SGVs in der Fläche keine einzelne eindeutige Ursache für die heute bestehenden Probleme erkennbar, sondern vielmehr müssen die Ursachen differenzierter betrachtet werden. Erstens führte der Strukturwandel der Wirtschaft aufgrund der in den 1970er-Jahren einsetzenden Deindustrialisierung und technologischer Entwicklungen wie der Digitalisierung zur Abnahme bahnaffiner Massenguttransporte. Zweitens führte die Konkurrenzierung durch den Strassengüterverkehr, der durch den Aufbau eines Autobahnnetzes massiv gefördert wurde, zu Ertragseinbussen, Modalsplit-Verschiebungen, Entbündelung von Verkehrsströmen und Veränderung der Raumstruktur. Grosse Teile der Logistik haben sich auf den Strassengüterverkehr ausgerichtet. Auch sanken die Transportkosten, während die Kosten der negativen Auswirkungen auf die Allgemeinheit abgewälzt wurden und werden. Drittens unterstützt zwar das politische Regulativ der Schweiz den SGV stärker als in den Nachbarländern, doch hat sich auch dieses zuungunsten des SGVs in der Fläche entwickelt. Und schliesslich hat die SBB die strukturellen Entwicklungen hin zum Konsumgütermarkt verpasst und über Jahrzehnte zu wenige Innovationen (sowohl technische wie auch organisatorische) umgesetzt. Auch wurde der SGV in der Fläche der Auffassung aller Interviewpartner nach lange vernachlässigt. So hat etwa die lange Zeit geltende Prioritätenordnung bei der Trassenvergabe die Zuverlässigkeit des SGVs verschlechtert. Zuletzt haben auch die wiederholt grossen Abbauschritte zu einer Verunsicherung der Kunden geführt, was für die Weiterentwicklung äusserst gefährlich ist.58 Das Vertrauen wiederzugewinnen ist sehr schwierig und stellt eine grosse Herausforderung dar. Auch ist ein Wiederaufbau sehr aufwändig.

      Diese Entwicklungen - besonders die Konkurrenz durch den aufkommenden Strassengüterverkehr ist meiner Meinung nach hervorzuheben - führten dazu, dass der Güterverkehrsbereich der SBB in finanzielle Probleme kam. Er verlor Marktanteile, seit Mitte der 2000er-Jahre nahmen die transportierten Mengen sogar absolut ab, während der Strassengüterverkehr zunahm. Folge der finanziellen Schwierigkeiten ist eine geschwächte Innovations- und Investitionskraft, was mit ein Grund für die technologische Rückständigkeit des SGVs ist. Wie der Abbau des EWLV-Netzes führt auch die geringe Innovationsfähigkeit wiederum zu geringeren transportierten Mengen und weniger Gewinnen: Die Gefahr einer Abwärtsspirale ist erkennbar. Doch hat sich dies in den letzten Jahren etwas geändert. «Es besteht eine grosse Dynamik»59, sowohl von Seiten der SBB Cargo als auch des Bundes und wichtige Innovationen sowie deren Förderung werden vorangetrieben.

      Meiner Meinung nach bestehen heute grosse Probleme im SGV in der Fläche und er steht vor grossen Herausforderungen. Es lässt sich ein grosser Handlungsbedarf erkennen, sowohl von Seiten der EVUs (insbesondere der SBB Cargo als wichtigstem Akteur) als auch der Politik. Die Lösung der Probleme und das erfolgreiche Bewältigen der Herausforderungen ist von besonderer Bedeutung, da der SGV in der Fläche zur Minimierung der negativen Auswirkungen des Güterverkehrs eine wichtige Rolle einnimmt (vgl. nächstes Kapitel).

      Im letzten Kapitel wurden die historische Entwicklung und die Probleme im SGV in der Fläche behandelt. Nun wird ein weiterer Aspekt des Güterverkehrs beleuchtet: Die negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt.

      Der Strassengüterverkehr stiess im Jahr 2018 3,03 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente60 aus (20% der Gesamtverkehrsemissionen), davon 1,88 Mio. t von Lkws mit über 3,5t Gewicht.61 Diese sind seit 1990 um 25% gestiegen. Die der schweren Lkws zwar nur um 7%, doch nahm der Verkehr mit Lieferwagen stark zu. Der durchschnittliche Ausstoss pro Fahrzeugkilometer beträgt 447g CO2 bzw. pro Tonnenkilometer (tkm) 171g. Die Bahn, Personenverkehr und Güterverkehr zusammengenommen, war mit 0,03 Mio. t für einen Bruchteil dieses Wertes verantwortlich. Der SGV bei der SBB Cargo stösst im Betrieb durchschnittlich 1,9g CO2 pro tkm aus. Bei einem Vergleich des Schienen- mit dem Strassengüterverkehr nach einer Studie von Infras62, bei der die Herstellung und Entsorgung miteinbezogen wurde, ergibt sich folgendes Bild: Der Ausstoss von Treibhausgasemissionen eines 34-40 Tonnen schweren Lastwagens beträgt 125g CO2-Äquivalente pro tkm, während es beim SGV etwa 11g/tkm sind. Dies ist auf die systembedingten Vorteile des Rad-Schiene-Systems (geringer Fahrwiderstand, Massenleistungsfähigkeit und effiziente Umwandlung des Stroms in Vortriebskraft) sowie auf das praktisch vollständig elektrifizierte und mit Wasserkraft versorgte Eisenbahnnetz zurückzuführen. Als Folge des Ausstosses von CO2-Emissionen erwärmt sich das Klima, was weitreichende Konsequenzen für die Umwelt und den Menschen nach sich zieht.63 Beispiele wären die Beeinträchtigung der Nahrungsmittelproduktion und Gesundheitsschäden aufgrund von Extremwetterereignissen.

      Eine weitere negative Konsequenz des Güterverkehrs sind Luftschadstoff-Emissionen. Im Jahr 2017 wurden rund 4`600 Tonnen Feinstaub durch Abrieb oder Ausstoss freigesetzt (Personen- und Güterverkehr). Diese - wie auch die Stickoxid-Emissionen - sind aber seit 1990 stark am Abnehmen, letztere bei schweren Güterfahrzeugen bis 2017 um 77%. Dies ist vor allem auf die LSVA und Emissionsgrenzwerte zurückzuführen. Auch bei den Luftschadstoff-Emission entfällt der grösste Teil auf den Strassenverkehr. Folgen sind Gesundheitsschädigungen mit Erkrankungen und Todesfällen (2`200 pro Jahr). Zudem werden Ökosysteme durch Überdüngung und Versauerung der Böden belastet und ein Biodiversitätsverlust ist festzustellen.

Image Abbildung 16: Aufteilung der Verkehrsflächen64

      Im Total bedeckt die Verkehrsinfrastruktur in der Schweiz eine Fläche von rund 950km2, was einem Drittel der Siedlungsfläche entspricht (vgl. Abbildung 16). Etwa 90% der Verkehrsflächen entfallen auf Strassen, 10% auf Bahnareale. Neben der Versiegelung von Böden ist auch die Habitat-Zerschneidung eine Folge der Verkehrsinfrastruktur. So hat die Schweiz eine Verkehrsnetzdichte von 1,7km Strassen und 0,34km Eisenbahngleise pro Quadratkilometer. Dabei beträgt der Flächenverbrauch zum Transport einer Tonne über 100 Kilometer auf der Strasse 560m2, während es auf der Schiene 80 sind. Als Konsequenz des Flächenverbrauches gehen Ökosysteme mit ihren wichtigen Dienstleistungen verloren, Habitate werden zerschnitten und landwirtschaftliche Nutzungen verunmöglicht.

      Wie im Kapitel 3.2 beschrieben, ist auch der Energieverbrauch des Rad-Schiene-Systems systembedingt viel geringer als der des Strassengüterverkehrs: Ein Lkw verbraucht etwa 31,4 kWh pro 100tkm, ein Güterzug nur 4,4. Zahlen aus Deutschland ergeben ein ähnliches Bild: Ein Güterzug verbraucht 0,3 Megajoule pro tkm, ein Lkw 1,6.65

      Weiter zu nennen sind die durch den Güterverkehr entstehenden Lärmemissionen, denen viele ausgesetzt sind. Auch wird oft vergessen, dass bei der Herstellung sowohl der Verkehrsmittel als auch der Verkehrsinfrastruktur Ressourcen verbraucht werden.

      Fazit: Durch den Güterverkehr resultieren negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Der Zustand von Ökosystemen verschlechtert sich, Ressourcen werden verbraucht und die Lebensqualität sowie das Wohlergehen wird beeinträchtig. Im Vergleich zwischen dem SGV und Strassengüterverkehr ist erkennbar, dass der SGV in Bezug auf die negativen Auswirkungen viel effizienter ist, also pro transportiertes Gut nur einen Bruchteil des Strassengüterverkehrs verursacht.

      E-Lkws setzen lokal keine CO2-Emissionen frei.66