Simon Lieb

Schienengüterverkehr in der Schweiz


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der Treibhausgasausstoss liegt sogar bereits heute praktisch bei null. Elektrisch betriebene Lkws haben zwar geringere negative Auswirkungen als konventionelle, doch sind sie im Vergleich zum SGV immer noch sehr hoch. Auch ändert sich am hohen Flächen- und Energiebedarf nur wenig. Ich denke zwar, dass sich die negativen Auswirkungen in Zukunft aufgrund technologischer Verbesserungen verringern werden, doch bleibt die Grundsystematik, dass der SGV viel effizienter ist, erhalten. Zudem würde ein hoher Mehrbedarf an Strom resultieren, wenn die heutige Lkw-Flotte vollständig elektrisch betrieben würde. Ich frage mich deshalb, ob dies überhaupt möglich ist, da auch für andere Bereiche wie dem Personenverkehr oder Wärmesektor Elektrifizierungsziele bestehen.

      Aus diesen Gründen führt eine Verlagerung von Gütertransporten von der Strasse auf die Schiene in jedem Fall zu einer Verringerung der negativen Auswirkungen des Güterverkehrs und ist meiner Meinung nach für ein Erreichen der definierten Ziele notwendig. Doch können eine Reduktion des Güterverkehrs und die technischen Massnahmen nicht als Alternative zur Verlagerung angesehen werden, da es für die Umwelt auch mit weniger Güterverkehr oder verbesserten Lkws immer noch besser ist, Gütertransporte von der Strasse auf die Schiene zu verlagern.

      Der Klimaschutz stellt einen Spezialfall dar und wird deshalb kurz separat betrachtet: Die CO2-Emissionen müssen im Gegensatz zu den anderen negativen Auswirkungen des Güterverkehrs nicht nur um einen bestimmten Prozentsatz, sondern vollständig um 100% reduziert werden. Auf dieses Ziel kann mit folgenden Strategien hingewirkt werden: Erstens durch Erhöhung der Effizienz. Zweitens durch Substitution, worunter das Ersetzen der fossilen Brennstoffe durch erneuerbare Energiequellen verstanden wird. Und drittens der Suffizienz, was einer Verringerung der Güternachfrage entsprechen würde. Um Klimaneutralität zu erreichen, müssen die fossilen Energieträger letztlich substituiert werden, also der Güterverkehr entweder verlagert oder auf Lkws mit alternativen Antrieben durchgeführt werden. Doch Effizienzmassnahmen und Suffizienz helfen der Substitution, da bei einer Steigerung der Effizienz oder einem Verkehrsrückgang weniger substituiert werden muss. Dabei stellt eine Verlagerung des Strassengüterverkehrs auf die Schiene gleichzeitig eine Effizienz- und eine Substitutionsmassnahme dar, da einerseits die negativen Auswirkungen pro transportiertes Gut geringer als auf der Strasse sind und der Transport praktisch emissionsfrei ist.

      Wie viele Gütertransporte genau verlagert werden müssen und wie stark der Güterverkehr zurückgehen müsste, um die Ziele zu erreichen, ist sehr schwierig abzuschätzen. Dies muss auch gar nicht genau bestimmt werden, da es der Umwelt letztlich egal ist, wie hoch der Modalsplit ist: Aus Sicht der Umwelt ist es nicht relevant, wie die negativen Auswirkungen reduziert werden, sondern dass sie reduziert werden.

      Wie der SGV in der Fläche von den EVUs weiterentwickelt und verbessert werden kann und welche politischen Massnahmen möglich sind, um die Ziele zu erreichen, wird in den Kapiteln 9 und 10 aufgezeigt und diskutiert. Es geht dabei nicht darum, eindeutig festzulegen, was genau zur Zielerreichung notwendig ist, da dies aufgrund der Komplexität und den verschiedensten Wirkungszusammenhängen sehr schwierig abschätzbar ist. Aus demselben Grund werden in dieser Maturaarbeit auch keine Verlagerungsziele oder sonstigen Zahlenwerte definiert. Vielmehr werden nur Möglichkeiten der EVUs und Politik aufgezeigt, analysiert und vorgeschlagen, die zur Zielerreichung beitragen können und die zeigen, in welche Richtung die Weiterentwicklung nach der Meinung des Autors gehen sollte.

      Bevor auf die einzelnen Weiterentwicklungsmöglichkeiten des SGV-Systems eingegangen wird, beschreibt dieses Kapitel, wie methodisch vorgegangen wurde, um die Fragestellungen dieser Maturaarbeit zu beantworten.

      Zur Erarbeitung des Grundlagenwissens und weiterführenden Informationen, sowohl zum heutigen Güterverkehr wie auch zur Weiterentwicklung, wurde eine umfassende Literaturrecherche durchgeführt (vgl. Kapitel 13). Es wurden Studien, Berichte und Positionspapiere verschiedenster Autoren vom Bund, über private Forschungsbüros und Hochschulen bis zu Interessengruppen gelesen, ausgewertet, im Hinblick auf die definierten Ziele analysiert und miteinander verglichen.

      Nach der Recherche wurden fünf Interviews mit Experten aus dem Bereich des SGVs durchgeführt. Es wurde insbesondere darauf geachtet, dass die Interviewpartner einen unterschiedlichen beruflichen Hintergrund und somit einen unterschiedlichen Bezug zum SGV haben. Im Folgenden sind Namen und Beruf der interviewten Experten nach Namen geordnet aufgelistet:

Peter Füglistaler Direktor des Bundesamtes für Verkehr (BAV)
Fabio Gassmann Koordinator Bundespolitik des Vereins Alpeninitiative
Philipp Hadorn Gewerkschaftssekretär SEV Bereich SBB Cargo
Albert Mancera Postdoktorand an der ETH Zürich (L2-FTS)84
Nicolas Perrin Verwaltungsrat der SBB Cargo, bis 2020 CEO

      Tabelle 3: Interviewpartner

      Ziel der Interviews war, die Einschätzung der Experten zu den vergangenen Entwicklungen wie auch zu den verschiedenen Weiterentwicklungsmöglichkeiten einzuholen und um ihre Vorstellungen, Ideen und Vorschläge zur Zukunft des SGVs in der Fläche. Ausserdem ging es um ihre persönlichen Meinungen zu verschiedenen politischen Massnahmen und deren Auswirkungen. Die Interviews sind zusammengefasst im Anhang aufgeführt.

      Die gesammelten Informationen aus der Literaturrecherche und den Interviews habe ich ausgewertet, in dieser Maturaarbeit zusammengeführt und in Folge eine eigene Meinung dazu gebildet, wie der SGV in der Fläche und der Güterverkehr allgemein von den EVUs und der Politik weiterentwickelt werden sollte.

      Nachdem bekannt ist, im Hinblick auf welche Ziele der SGV in der Fläche weiterentwickelt werden soll, geht es nun in diesem Kapitel um die Weiterentwicklungsmöglichkeiten, die von den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) umgesetzt werden können. Dies betrifft vor allem die SBB Cargo, da sie als grösster Anbieter alle Bereiche vom EWLV über die Ganzzugsverkehre bis zum KV abdeckt. Aus dem Ziel eines nachhaltigen Umgangs mit der Umwelt lässt sich für die EVUs folgende Zielsetzung ableiten:

      Das Schienengüterverkehrssystem in der Fläche soll so weiterentwickelt und verbessert werden, dass möglichst viele Gütertransporte von der Strasse auf die Schiene verlagert werden.

      Verlagerung wird grundsätzlich durch attraktivere Angebote erreicht, um gegenüber der Strasse konkurrenzfähiger zu werden. Dabei geht es um Faktoren wie Qualität (z. B. höhere Zuverlässigkeit), Preis, Serviceprofil, Flexibilität oder Zugang zur Schiene. Letztlich geht es darum, Hemmnisse abzubauen, die Kunden an der Verlagerung auf die Schiene hindern. Weiter ist es für einen langfristig erfolgreichen SGV notwendig, die im Kapitel 4.3 beschriebenen Probleme zu lösen und auf Herausforderungen wie den Wandel des Güterverkehrsmarkts zu reagieren. Dabei geht es insbesondere darum, Kosten zu senken und mehr Volumen auf die Schiene zu bringen.

      Auch wenn der SGV viel effizienter als der Strassengüterverkehr ist, verursacht auch er negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt, wie etwa Lärmemissionen. Deshalb besteht ein weiteres Ziel darin, diese weiter zu reduzieren.

      Attraktivere Angebote, geringere Probleme und weniger negative Auswirkungen erreicht man durch Innovationen. Doch was genau sind Innovationen? Es gibt verschiedene Definitionen, in dieser Arbeit wird folgende verwendet: «Innovation wird […] als Sammelbegriff für alles Neue und Verbesserte verwendet. Dabei kann das Spektrum […] von marginalen Detailänderung bis hin zu grundlegenden Neuerungen reichen.»85 Das heisst, bei Innovationen geht es nicht nur um komplette Veränderungen, sondern auch um kleinere Optimierungen. Dieses Kapitel behandelt also alles, was im SGV in der Fläche oder mit Auswirkungen auf diesen verbessert werden kann. Dabei erhebt dieses Kapitel nicht den Anspruch, genau zu sagen, was von den EVUs gemacht