Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


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verneigte. In ihren Augen phosphoreszierte es grünlich; sie schüttelte die starren Löckchen, grinste und murmelte: »Herr Erzengel Gabriel – sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen! Jetzt erkenne ich Sie erst, mein Herr Erzengel: Sie sind ja der Teufel. Mes respects, Monsieur le Diable! Sehr geschmeichelt, Exzellenz Gottseibeiuns!« – Dazu Verneigungen und stolze Schritte.

      ›Sie ist endgültig wahnsinnig geworden.‹ David beobachtete an die Wand gepreßt, das makabre Schauspiel. ›Was soll ich tun? Ich muß einen Arzt kommen lassen. Aber sie darf doch keinen Augenblick allein im Zimmer bleiben … Kann ich in ihrer Gegenwart telefonieren? Vielleicht würde sie gar nichts merken. Vielleicht würde sie mißtrauisch werden und sich auf mich stürzen … Ich fürchte mich. Was für schlimme Lichter sie in den Augen hat! Wie sie selber satanisch wird, da sie sich vor dem Satan verneigt! Ich habe Angst. Das Böse ist stark – stärker, als wir es ahnten; furchtbar stark in unserer erschütterten Zeit … Wie komme ich von hier weg? Wenn sie nur aufhören wollte zu grinsen! – Oh, sie hat den Teufel im Leib!‹

      10

      Die Freunde in Paris überlegten sich: Wo ist Kikjou? Niemand kannte seinen Aufenthalt. In Wahrheit wußte er selber kaum, wo er sich befand – so sehr war er der Welt abhanden gekommen.

      Er wohnte irgendwo auf dem Lande. Gehörte dieses triste Dorf noch zu Frankreich? Oder war er weiter, bis nach Belgien, nach Holland gefahren? Er verließ sein Zimmer fast nie; es war kahl und eng, eine Zelle. Morgens ging er zur Kirche und beichtete. »Ich habe gesündigt – immer nur gesündigt … Ich muß furchtbar büßen …« Der fromme Vater wollte Einzelheiten. »Was hast du Böses getan, lieber Sohn?« – »Nur Böses, mein Vater, nur Böses! Ich habe nicht genug geliebt. Ich habe einen Menschen getötet – oder bin doch mitschuldig an seinem Tode. Den schwarzen Mächten habe ich ihn überlassen, weil es meine Neugier reizte und mich scheußlich lüstern machte, seine Verzauberung, seinen Verfall und Absturz zu beobachten. Es gibt keine Sünde, die ich nicht begangen hätte. Ich muß furchtbar büßen …« – »Das überlasse mir!« Der fromme Vater unterbrach ihn nicht ohne Strenge. Er fügte sanfter hinzu: »Du verwirrst dich! Was du sprichst, scheint phantastisch – auch klingt es nach Prahlerei. Es gibt eine Manier, sich selbst anzuklagen, welche an Prahlerei grenzt. Beichte deine Sünden der Reihe nach: dies kann ich dir nicht ersparen! Übertreibe sie nicht ins Maßlose – was nur eine andere Form ist, sie zu verkleinern und zu verwischen. Sei bescheidener! Der Teufel des Hochmutes sitzt dir im Leibe – wenngleich du erst wie ein Zerknirschter wirkst.« – »Ich will ins Kloster gehen«, brachte der Sünder hervor. »Ich will der Welt entsagen … mein Leben ganz dem Dienst des Herrn weihen …« Auf diese neue Unbescheidenheit hatte der Priester keine Antwort. Vielmehr bestimmte er trocken: »Komme morgen wieder! Heute bist du nicht in der Verfassung, eine ordentliche Beichte abzulegen. Gehe in dich! Bete! Sammle deine Gedanken! Komm morgen wieder!«

      Draußen schien es schon beinah Winter geworden. Das öd gebreitete Land verhüllte sich düster. Ein schwarzgrauer Himmel senkte sich betrübt zu den nassen Feldern. Auf den Wiesen, Pfaden und Büschen schmolz ein dünner, mißfarbener Schnee.

      Kikjou fror in seiner Kammer, er dachte: ›Die alte Patronne – diese verfluchte Hexe – sie könnte besser einheizen …‹ Aber dann beschloß er: ›Nein, ich beschwere mich nicht; es ist besser so. In einer Klosterzelle wird es auch nicht komfortabler sein. Mit nackten Füßen will ich über diesen eisigen Steinboden gehen – und wenn ich mir eine Erkältung hole, was tut’s? Ich muß büßen … Beten will ich und in mich gehen; der Priester hat recht: mir sitzt der Teufel des Hochmuts noch im Leibe. Herr Jesus, du kennst alle meine Sünden! Dein Gesicht ist menschlich – als des Menschen Sohn hast du unter uns gelebt und gelitten; du bist auch mit den Sünden der Menschen vertraut. Mein Herr Jesus – vor deinem Jammerbilde sink’ ich hin. Erbarme dich meiner! Habe Mitleid! Ayez pitié de moi, Seigneur! Christ – ayez pitié de nous!‹

      Knie nieder, Kikjou – der Fußboden ist kalt, in deinem Herzen aber rasen Feuerbrände. Knie hin, Knabe, halte still, sei geduldig! Lege dein kindliches, viel zu hübsches Gesicht in die Hände – dies erst ist die Stunde deiner Konfession. Dein Erlöser selbst, starr gereckt in seiner Leidenspose, hört dir zu. Siehe – sein Haupt voll Blut und Wunden ist ein wenig seitlich geglitten; seine Lippen haben sich geöffnet – du weißt es: er leidet Durst – sein brechendes Auge aber prüft deine Gestalt, die sich vor ihn hingekauert hat. Wie aufmerksam schaut dein Erlöser unter dem schaurigen Putz der Dornenkrone! Vor ihm kannst du nichts verbergen – des Menschen Sohn ist sehr klug. Keine Ausflüchte mehr, Kikjou, keine pathetischen Verallgemeinerungen! Schon dem frommen Vater im Beichtstuhl ist es äußerst peinlich aufgefallen, daß du es vermiedest, detailliert zu bekennen; dein Erlöser aber würde dir solche Flausen keinesfalls durchgehen lassen. Des Menschen Sohn ist sehr anspruchsvoll – gib das Äußerste, Knabe, deine ganze Wahrheit, sonst wendet er den Blick von dir ab, und es wird ihm langweilig, dir zuzuhören. Er ist durch alles Leid der irdischen Sphäre gegangen, hat auch die Schauder der Unterwelt gekostet, und als er schließlich auffuhr gen Himmel, kam ein harter Glanz von seinem Angesicht – ein bewegtes Leuchten, wie von ungeheurer Flamme, so daß es denen, die schauten, nicht nur wohltat, sondern sie auch blendete. Die Blicke, mit denen er Abschied nahm, waren unfaßbar milde und unfaßbar streng.

      Unfaßbar milde und unfaßbar streng mustert dich nun sein Blick – Knabe, der du zu beten versuchst! Strenge deine Erinnerung an! Sei nicht zimperlich, sei nicht träge! Denke an alles, was du falsch gemacht hast – es ist reichlich viel! Nimm dir Zeit! Übereile nichts! Sei umständlich! Sei exakt! Rühre dich nicht, wenngleich dir die Knie schon wehtun! Eine ganz enthüllte Seele will dein Erlöser sehen. Er kennt dich – ach, wie er dich kennt! Deine Verspieltheit; deine etwas feminine Tücke, die sich hinter frommen Redereien verbirgt; deine Eitelkeit; deinen Mangel an Energie; deine tierische Geilheit – wie war das mit dem jungen Engländer im »Boeuf sur le Toit«? Weh dir – und mit dem Araberjungen in Tunis – wehe, wehe! – und mit dem Piccolo in Lausanne, und mit dem kleinen weißen Hündchen bei deinem Onkel? O pfui über dich, du Stück Dreck und Laster, du Abhub, du hündisch-sündiges Gewächs! Gestehe! Bekenne! Parasit du – niemals hast du richtig arbeiten können; dein Vater in Rio – seinerseits freilich ein Menschenschinder, Wüstling ersten Ranges – hatte allen Anlaß, mißzufrieden mit dir zu sein. Tugendhaft warst du immer nur im falschen Moment, zum Beispiel, als du Martin alleine ließest mit der chose infernale; zunächst aber hattest du ihn zu seinen Exzessen eher ermutigt, auf deine hinterhältige Art. Als es zu spät war, irrtest du durch die Straßen: »Il n’est nulle part … il n’est nulle part …« Denn nun warst du es, der sich einsam fand.

      Armer kleiner Kikjou, Sünder auf den Knien – siehe, unfaßbar milde streifen dich Blick und Lächeln dessen, der dein Erlöser ist. Nicht nur über alle deine Schlechtigkeiten, großen und geringen Infamien weiß er so genauen Bescheid. Er vergißt nicht, was du ausgestanden hast. Er kennt deine Einsamkeit, deine geistigen Qualen, deine Ratlosigkeit, deine Verwirrtheit, deine Zärtlichkeit, alle Anstrengungen, Aufschwünge, Enttäuschungen deines empfindlichen Herzens. Er ist den Menschen nicht fremd – und du bist nur einer von ihnen, nicht schlimmer als die anderen; wohl auch kaum viel besser – ein Mensch, armer kleiner Kikjou, ein Menschensohn, auch du – halte deine Stirne dem Erlöser hin! Er verzeiht dir vielleicht; denn über deine Wangen fließen menschliche Tränen. Auch du trägst dein Kreuz, kniendes Kind auf dem kalten Boden, und deine Schultern schmerzen unter seiner Last.

      Wieviel Zeit vergeht, während du betest? Stunden, und es wird Nacht. Die Patronne tritt ein, sie bringt Schüsseln – das ist dein Abendessen – sieht es nicht ganz appetitlich aus? Aber du schaust kaum hin. Nicht essen und trinken jetzt! Es ist die Stunde der Konfession.

      Vielleicht hast du später ein klein wenig geschlafen – sicher nicht mehr als zwei oder drei Stunden lang, dein Erlöser verzeiht es dir. Der Morgen aber findet dich wieder vor dem Kruzifix, wieder kniend, und das petit déjeuner rührst du nicht an. Auch da es Mittag wird, magst du dich nicht erheben. Früh kommt die Dämmerung in diesen Tagen zwischen Herbst und Winter. Deine Knie sind wund – spürst du es nicht? Hast du nicht Schmerzen in allen Gliedern? Auf einen Fremden, der nun plötzlich ins Zimmer träte, müßtest du nun fast beängstigend wirken; du zeigst die Miene eines höchst Verzückten.

      Was