John Marten Tailor

SINODIS


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starkem Kaffee zum Wachwerden.«

      »Herrje. In einer Stunde? Dann kommen Sie rein, stellen Sie das verdammte Frühstück da hin!« Träume hatten ihn in dieser Nacht heimgesucht und Spuren hinterlassen, was sich in einer morgendlichen Unausstehlichkeit äußerte.

      »Amily, aufwachen!« Die Stimme drang bis in mein Gehirn vor, doch der Tiefschlaf hielt mich fest im Griff. Einfach weiterschlafen. Er wird schon aufgeben.

      Jack rüttelte an mir und flüsterte:

      »Komm, meine zukünftige süße Ehefrau, aufstehen.« Die lieben Worte zauberten mir im Handumdrehen ein seliges Lächeln ins Gesicht, doch meine Augen wollten noch nicht so recht.

      »Ja doch. Es ist viel zu früh für mich.«

      »Ich weiß«, erwiderte Jack. »Denkst du, für mich nicht? Aber wir werden gleich abgeholt.«

      »Na toll.« Er drehte mich auf den Rücken, beugte sich über mich und gab mir einen Kuss.

      »Guten Morgen, meine Liebe. Na komm. Es hilft nichts, wir müssen uns beeilen.« Ich trottete ins Bad. Es war gerade genug Zeit für eine kurze Katzenwäsche. Ich zog mir frische Wäsche, Jeans, ein Shirt und Strümpfe über. Es gab ein paar leichte Sneakers oder Ballerinas. Meine Wahl fiel auf die Sneakers. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Jack aus dem Bad. Er hatte die Ruhe weg. Ich hingegen war schon ganz gespannt, was uns heute erwartete. Wohin ging die Reise diesmal? Alfons tat immer so geheimnisvoll.

      »Zieh dich an«, tadelte ich und fragte mich, was Transuse auf Englisch hieß. Ich befreite die Rolle aus ihrem Versteck hinter der Wandverkleidung, knotete sie an der Innenseite des Rucksacks fest, den wir von unserem Gastgeber bekommen hatten und legte noch die restliche Wäsche darüber, die ich nicht leiden mochte, die mir aber gute Dienste geleistet hatte. Schon klopfte es. Die Zeit war nur so verronnen.

      »Jack, wir müssen los. Bist du so weit? Und nimm dieses komische grüne Ding mit. Ich will wissen, was das ist. Eventuell kann uns jemand etwas dazu sagen.«

      »Ja, Sir!«, salutierte er und verstaute es in seiner Umhängetasche.

      Es klopfte erneut.

      »So, Leute, wir müssen los. Der Jeep wartet am Treffpunkt. Wir haben einen strammen Fußweg von zwei Stunden vor uns.«

      »Im Ernst?«, stöhnte ich. »Hat er wirklich zwei Stunden gesagt?«

      Wir pirschten aus dem Haus, vornweg Alfons. Der Weg führte weg vom Meer, durch eine schmale Schlucht, danach steil den Berg hinauf. In der Ferne konnte man den Jeep schon erahnen, aber es zog sich noch verdammt lang hin und ich war heute nicht gut drauf. Niemand sprach ein Wort, denn bei dem steilen Anstieg brauchten wir unsere Puste. In der Morgendämmerung waren die Umrisse von kleinen und großen Höhlen auszumachen. Alfons sagte:

      »Jetzt müsst ihr besonders vorsichtig sein, ab hier geht es gut zwanzig Grad nach oben, nur loses Geröll. Bitte achtet aufeinander.« Mit jedem Schritt spürte ich die Anstrengung in meinen Beinen. Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren, aber wir mussten da hoch, egal wie. Zwei Schritte vor, einer wieder zurück, es war deprimierend. Jack bewältigte den Anstieg anscheinend am mühelosesten. Nur langsam kamen wir voran, schließlich versperrte ein kleiner Felsvorsprung unseren Weg. Ich runzelte die Stirn.

      »So, wartet hier«, keuchte Alfons. »Ich klettere zuerst hinauf und ziehe euch hoch, okay?«

      Alfons hatte redlich Mühe, alleine dort hochzukommen und rutschte ab. Jack erwischte gerade noch dessen Arm. Alfons keuchte erleichtert und dankte ihm. Jack schlug vor, eine Räuberleiter zu bilden, indem er sich eng an den Felsen lehnte, damit der Franzose einen besseren Halt hatte. So funktionierte es gleich viel besser. Endlich hatte er es geschafft, den Vorsprung zu überwinden. Ein dickeres Seil, welches er sich um die Hüfte geschlungen hatte, sollte uns den Aufstieg erleichtern. Erst Jack, der diesen mit Leichtigkeit bezwang. Mir allerdings flößte dieser scharfkantige Fels Muffensausen ein, aber wen interessierte das? Ich musste tief durchatmen, wie ich es im Meditationskurs gelernt hatte, und dachte mir: Was Jack kann, schaffe ich auch. Aber die leichten Turnschuhe machten mir einen Strich durch die Rechnung. Bei jedem Schritt bohrten sich gnadenlos Steine in meine Fußsohlen. Die Schmerzen waren unbeschreiblich. Ich klammerte mich, so gut ich konnte, an dem Seil fest, ein leiser Hilfeschrei an Jack gerichtet unterstrich meine Angst.

      »Hilf mir, bitte.« Jack legte sich bäuchlings auf den Felsvorsprung, nahm mich bei den Handgelenken und hievte mich hoch. Alfons griff auch nach mir und schließlich war ich oben. Wir hatten ihn gemeinsam überwunden, einen der schwersten Abschnitte unseres Marsches. Völlig aus der Puste ruhten wir uns ein paar Minuten aus. Mir lief der Schweiß am ganzen Körper hinunter. Ich nahm die kleine Flasche aus dem Seitenfach des Rucksacks, trank ohne an Jack zu denken, was mir dann sofort leidtat, aber es war nicht mehr zu ändern.

      »So«, meinte Alfons. »Jetzt kommt der schwierigste Teil der Strecke, aber dann ist es geschafft. Es sind ungefähr achtzig Meter leicht links und anschließend scharf rechts. Wir müssen alle dicht hintereinander bleiben, damit wir uns gegenseitig einen besseren Halt geben können.« Ich brachte nur ein Nicken zu Stande. Alfons sagte: »D’accord, also los.« Dann bewegten wir uns im Gänsemarsch in einer Linkskurve steil nach oben. Es war verdammt anstrengend. Ich keuchte und hielt mich dabei an Jack fest. Er zog mich wie eine Lokomotive unermüdlich nach oben. Nach zwanzig Minuten sagte unser Anführer:

      »Achtung, jetzt scharf rechts. Es ist nicht mehr weit, aber sachte, nur einen Fuß vor den anderen. Achtet auf die losen Steine, denn die können einen schnell aus dem Gleichgewicht bringen.« Der Schweiß bahnte sich Wege in Regionen meines Körpers, die unaussprechlich waren. So geschwitzt hatte ich schon ewig nicht mehr. Früher als ich noch regelmäßig Laufen war, also bevor ich zur Schreibtischtäterin verkam, gehörte das zur Tagesordnung.

      Endlich waren wir angekommen. Dort parkte das Auto, von dem Alfons gesprochen hatte. Ich machte drei Kreuze und beugte mich vornüber, keuchte den letzten Rest Luft aus meiner Lunge. Schweiß strömte unentwegt über mein Gesicht. Alfons, der zwischenzeitlich Handtücher aus dem Jeep geholt hatte, reichte jedem eins. Ich zog die Jacke aus und trocknete mich unter dem T-Shirt notdürftig ab. Ein weiteres Handtuch wickelte ich mir um den Kopf. Jack nahm die Flasche Wasser aus dem Rucksack. Er ließ mir nur noch einen winzigen Schluck übrig, aber das war nicht so schlimm. Vorhin hatte ich ähnlich egoistisch gehandelt, was gar nicht in meiner Natur lag, aber unter Extrembedingungen tat man manchmal Unüberlegtes. Mit einem Zug war das Thema erledigt, und die Flasche leer.

      »Im Wagen findet ihr noch mehr Wasser«, beruhigte uns Alfons und nach ein paar Minuten: »Ich will Sie nicht antreiben, aber wir haben einen engen Zeitplan, liegen aber gut im Rennen.«

      »Wohin fahren wir denn?« Die Frage lag mir schon seit Stunden auf der Zunge. Aus der Ferne sah man ein Fahrzeug heranrasen, das stetig näher kam und genau neben dem ersten hielt.

      »Nur Geduld, Amily.«

      Eine rege Unterhaltung mit den Insassen des zweiten Wagens stellte die weitere Vorgehensweise infrage.

      Ich hatte nur Wortfetzen, die der Wind zu mir herüberwehte, verstanden und wollte daraufhin wissen:

      »Was ist denn los, Alfons?«

      Er meinte in seiner gewohnt ruhigen Art, ein paar Leute würden verschärft nach uns suchen. »Aber keine Sorge. Ihr seid in guten Händen. Wir fragen uns jedoch, ob wir euch getrennt fahren sollten, wegen der möglichen Gefahr.«

      »Oh nein. Jack!« Ein extrem ungutes Gefühl plagte mich, alleine mit Alfons die nächste Etappe in Angriff zu nehmen. Ich wollte meinen starken Mann an meiner Seite wissen. Dass ich so eine Mimose war, schob ich auf die Erschöpfung. Das frühe Aufstehen, der anstrengende Aufstieg in mehr oder weniger ungeeignetem Schuhwerk, Schmerzen von den frisch verheilten Verletzungen, das brachte mich an die Grenzen meiner Psyche. Jack strich sanft über mein Gesicht:

      »Komm, Kleines, ist doch nur für die Fahrt zum nächsten Treffpunkt, oder, Alfons?«

      »Oui, Monsieur.«

      Mein lieber