John Marten Tailor

SINODIS


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rief ich unaufhörlich nach ihm ... Jack. Meine Worte hallten in den kargen Räumen und verdeutlichten bloß die Trostlosigkeit des Ortes. Ich verstand die Welt nicht mehr. Auf dem Weg zur Tür fand ich einen Zettel, nach dem ich mich bückte und auf dem stand:

      Ich werde dich finden, egal wo du bist. Versprochen. Kuss Jack.

      Mein Herz machte einen Hüpfer. Ich zog die Tür hinter mir zu, lief hurtig nach unten, und natürlich war ich immer noch auf Kuba, in meinem verdammten Traumurlaub. Die Sonne stand bedenklich tief und ich musste zusehen, dass ich in mein Hotel kam, bevor es dunkel wurde.

      Von meinem Traumurlaub zu Hause in Hamburg in meiner Zwei-Zimmer-Wohnung in bester Innenstadt-Lage angekommen, dachte ich darüber nach, den Mann meiner Träume gefunden und gleich wieder verloren zu haben. Kein Wunder, dass ich mich einfach nur hundsmiserabel fühlte und unsagbar enttäuscht war. Immer noch kämpfte ich gegen die Tränen an, betrat die kleine Wohnung, die ich mein Eigen nannte, warf vor Verzweiflung Koffer und Handtasche achtlos in den Flur, zerrte mir die Klamotten vom Leib und stieg erst einmal unter die Dusche. Der Schweiß der anstrengenden Reise wollte abgewaschen werden, aber die Enttäuschung blieb. Ich heulte mir die Seele aus dem Leib, wimmerte leise unter der Dusche:

      »Bitte, Jack, wo bist du? Bitte, bitte.« Mein Mantra der letzten Tage. Ich werde dich finden, egal wo du bist. Was hatte ich von einer Urlaubsliebelei erwartet? Den Mann fürs Leben? Dabei hatten wir noch nicht mal viel miteinander gesprochen. Was wusste er von mir? Was wusste ich von ihm? Nur seinen Vornamen. Ich stellte das Wasser ab und cremte mechanisch meinen Körper ein, dabei registrierte ich verspätet, dass in Deutschland mittlerweile der Frühsommer Einzug gehalten hatte. Der Kalender wies den Monat Mai aus, das Thermometer zeigte 26 Grad. Rasch verfasste ich eine SMS an meine Mutter Sophie im Elsass mit den Worten:

      Bin gut angekommen, habe Jetlag. LG.

      In Gedanken versunken räkelte ich mich auf meinem Bett. Die Erinnerungen wirbelten durch meinen Schädel wie ein Tornado, kreisten immer noch um den Einen, es war zum Verrücktwerden. Ich sehnte mich doch nach ihm, streichelte mich selbst, versuchte, meinen Bauch zu beruhigen, der allein bei der Erinnerung an Jack nervös wurde. Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn er hier bei mir wäre, mich glücklich machen könnte. Dann schlief ich unzufrieden ein.

      Am kommenden Morgen weckten mich die Düfte von Kaffee und warmen Brötchen. Ich schnupperte. Das konnte nicht stimmen, denn ich lebte alleine. Wer sollte mir Frühstück machen? Mir ging es miserabel, ich musste wohl im Schlaf geweint haben, denn meine Augen waren ganz verschwollen. So konnte das nicht weitergehen! Ich folgte dem Wohlgeruch in die Küche und erstarrte vor Schreck. Auf dem Tisch standen wahrhaftig dampfender Kaffee und Brötchen, frisch vom Bäcker. Mir schwante Böses. Ich schrie auf und rannte zur Tür, um zu schauen, ob diese verschlossen war. Dort klebte ein Zettel:

      Mach bitte immer deine Tür zu. Ich hoffe, das mit dem Kaffee und den Brötchen ist dir recht. Habe dich die ganze Nacht weinen gehört. Gruß Marten.

      Nicht doch. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Ich sackte zusammen. Was hatte Jack mit mir angestellt, dass ich sogar meine Wohnungstür offen stehen ließ? Mir fiel das Atmen schwer, mein Herz raste wie wild vor Aufregung, doch nach einer Weile hatte ich mich halbwegs beruhigt und ging zum Frühstücken in die Küche. In drei Tagen würde ich auf der Arbeit erwartet werden - in meinem jetzigen mentalen Zustand und mit den rot verquollenen Augen undenkbar. Ich konnte die Lästereien der Kollegen im Büro schon in meinen Ohren klingeln hören. Ich arbeitete in einem produzierenden Betrieb, der seine Eigenkonstruktionen in Sachen Anlagenbau vermarktete, als Maschinenbau-Ingenieurin und kämpfte mich erfolgreich durch diese rein von Männern dominierte Welt. Dabei gehörte meine eigentliche Leidenschaft der Archäologie. Von Kindesbeinen an wollte ich in die Fußstapfen großer Archäologen treten, forschen, mit den eigenen Händen etwas ausgraben, um einen der Funde schlechthin zu machen: den Schatz Alexander des Großen. Nur meiner alleinerziehenden Mutter Sophie zuliebe, die meinte, ich solle etwas Vernünftiges lernen, hatte ich Maschinenbau studiert und es machte mir Spaß.

      Ich zog mir einen Slip über, mehr nicht, denn es war mittlerweile brütend heiß geworden. Verträumt ging ich zur Balkontür, die Kaffeetasse in der Hand, schob die Gardine zur Seite, lugte vorsichtig durch die Scheibe. Von meinen Nachbarn war niemand zu sehen, was mir sehr entgegenkam. Ich öffnete die Balkontür vollständig, eine leichte Brise wehte in das stickige Wohnzimmer. Endlich ein Hauch Luft. Doch nicht nur das. Da war auch noch etwas anderes. Ich zog die Gardine zu und wandte meinen Blick in Richtung Geräuschquelle. Der Schreck fuhr mir erneut in die Glieder.

      »Du?« Jack stand in meiner Wohnung, als wäre es das Natürlichste der Welt. Als Nächstes wurde mir ganz schummrig.

      Ich fand mich auf dem Sofa wieder. Meine Sicht nahm an Schärfe zu. Wie kamen die Blumen auf den Tisch? Da stand ein wunderschöner Strauß, der einem das Herz aufgehen ließ. Ein mir bekanntes Gesicht beugte sich über das meine. Überrumpelt von diesem Anblick brachte ich kein Wort über die Lippen.

      »Hallo Amily!« Die Stimme passte zu dem Bild, aber wie hatte er ohne Schlüssel meine Wohnung betreten können?

      »Ich glaub, ich spinne! Wo kommst du denn her?« Die geballte Wut kam von ganz tief in mir hoch und ich schrie den Mann an, den ich so sehr mochte: »Du Schwein, was hast du getan? Ich war ganz alleine! Kuba war die Hölle für mich, nachdem du weg warst.« Ich sank in Jacks Arme und schluchzte.

      »Ich habe doch versprochen, ich finde dich«, murmelte er kleinlaut und streichelte über mein Haar. Sicher hatte er sich das Wiedersehen etwas anders vorgestellt, aber ich konnte nicht aus meiner Haut. »Wer konnte denn ahnen, dass du gleich umkippst, wenn du mich siehst.«

      »Das …, das lag nur daran, weil ich zu wenig getrunken habe«, log ich. »Da macht mein Kreislauf nicht mit.«

      Er brachte mich ins Schlafzimmer, entkleidete sich und schmiegte sich dicht an mich. Ich spürte die Hitze seines Körpers, wimmerte verletzt und verliebt zugleich:

      »Hast du überhaupt eine Ahnung, was du mir damit angetan hast, du Schuft? Weißt du das?« Wahrscheinlich wusste er es nicht. Wie konnte er ahnen, wie schrecklich die restlichen Urlaubstage nach unserer Begegnung für mich gewesen waren? Wie ich wie ein Zombie durch die Gegend gewandelt bin, mein Gesicht hinter einer riesigen Sonnenbrille aus dem Souvenirshop verborgen? Wie ich von Appetitlosigkeit geplagt vor dem ausladenden Buffet gestanden und zu einem Stückchen trockenem Baguette gelangt hatte? Wie konnte er auch? Ich schlug blindlings auf ihn ein, bekam einen Weinkrampf, aber er sagte noch immer keinen Ton, als hätte ihm jemand die Zunge rausgeschnitten.

      »Ich liebe dich und du verschwindest ohne ein Wort! Jetzt sag doch mal was! Du machst mich wahnsinnig.« Abermals sank ich schluchzend in seine Arme. Er hörte mir schweigend zu, küsste ganz zärtlich meine Schulter. Ich fauchte: »Lass das! Gib mir lieber endlich eine Antwort.« Stattdessen wiegte er mich beruhigend, gab mir ein Gefühl von Geborgenheit und letztendlich schlief ich ein.

      Jacks Schnarchen holte mich irgendwann aus dem Schlaf. Ich schaltete die Nachttischlampe ein und entdeckte eine frische Wunde an seinem Oberkörper, die mir bisher nicht aufgefallen war, weil ich mich viel zu sehr in meinen Schmerz hineingesteigert hatte. Wer hatte ihm so zugesetzt? Er flehte im Schlaf: »Tut ihr nichts!«, um dann zu verstummen. Ich streichelte vorsichtig über seinen geschundenen Körper, drehte ihn behutsam auf den Rücken, um zu sehen, wie viele Narben er noch davongetragen hatte. Verdammt, ich zählte fünf Wunden und faustgroße Blutergüsse. Ich schmiegte mich eng an, um ihm das Gefühl von Sicherheit zu geben. Die restliche Nacht schliefen wir tief und fest durch.

      Als ich erwachte, war es an der Zeit, Klartext zu reden.

      »Jack, aufwachen! Wir haben etwas zu klären!«, keifte ich ihn an. Er schaute mich aus verschlafenen Augen an.

      »Moment, Amily, bitte.« Er hielt mich eng an seinen Körper gepresst und flüsterte mir ins Ohr: »Ich liebe dich wie verrückt, das musst du mir glauben. Ich habe nur versucht, die Gefahr abzuwenden, aber das erkläre ich dir später. Ich kann dir nur eins sagen: Seitdem ich dich getroffen habe, ist alles anders für mich.«

      »Auf