John Marten Tailor

SINODIS


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habe ich noch nie getan, ehrlich. Mein Verlangen nach dir ist gewaltig, trotzdem habe ich Angst, dass es nicht genug sein könnte.«

      »Aber nein, was redest du da. Alles was du von Herzen gibst, ist genug.«

      »Ja, schon, aber ich bin ständig hungrig auf dich, und das kenne ich nicht von mir. Es macht mich nervös. Du machst mich nervös.«

      Es war kaum zu überhören, wie sich mehrere Gestalten um uns scharten und sich gar über uns lustig machten. Deren pöbelhafter Tonfall erregte meine Aufmerksamkeit.

      »Sind sie nicht süß, die beiden? Da seid ihr ja, ihr Turteltauben. Haben wir euch endlich gefunden!« Ich stand wie erstarrt, unfähig zu reagieren, aber wenigstens mein Mundwerk funktionierte noch.

      »Was wollen Sie? Ich kenne Sie nicht.«

      »Halt die Klappe!«, befahl einer von ihnen. Jack schätzte die Lage ab, griff dann nach meinem Ellenbogen, um mich vor einer Dummheit zu bewahren. Wir waren umringt von etlichen Herren, die uns vor den Blicken der Passanten abschirmten und dann wenig zimperlich zwei Seile um uns schlangen. »Vorsicht, mein Arm!«, fauchte ich, und dann geschah, was ich nie für möglich gehalten habe. Mit einem Ruck wurden wir über die Kaimauer gezerrt, dann sechs Meter in das brackige Wasser des Hafenbeckens hinabgelassen – und niemand scherte sich darum. Ich zappelte nach Leibeskräften, fügte mir aber nur selbst Schmerzen zu.

      »Jack! Hilfe!« Meine letzten Gedanken galten der Tatsache, dass ich den Gestank aus den Klamotten nie wieder herausbekommen würde, und dann ... erwachte ich mit dröhnendem Schädel in einer erbärmlich stinkenden Lagerhalle, in einer Affenhitze. Das Dach bestand aus einfachem Wellblech und hatte sich durch die Sonne aufgeheizt wie ein Backofen. Ich kannte solche Hallen, aber die Perspektive, aus der ich sie betrachtete, verwirrte mich. Ich drehte leicht den Kopf und stellte fest, dass man mich an Armen und Beinen aufgehängt hatte, wie in einem Schlachthaus. Der Schmerz von der Schusswunde, die wieder blutete, malträtierte mein Hirn. Über meine verhunzten Klamotten brauchte ich mir nicht mehr den Kopf zerbrechen, denn man hatte mich entblößt aufgehängt wie Schlachtvieh beim Metzger. Die Tatsache für sich genommen machte mich nur wütend. Als ich den Kopf anhob, sah ich Jack dort ebenso unbekleidet hängen – eineinhalb Meter von mir entfernt. Weit und breit war keine Menschenseele außer ihm zu sehen. Ich konnte aber nicht erkennen, ob er wach war. Die Halle war wohl seit langem verwaist, hatte etwas von einem in Vergessenheit geratenen Schrottplatz. Überall lagen leere Fässer, Kanister und Maschinenteile verstreut. Es gab Gruben für Maschinen wie beispielsweise monströse Pressen, die ein Betonbett benötigten. Damit kannte ich mich aus. Ich hatte ja Maschinenbau studiert. Den penetranten Geruch schrieb ich Diesel oder Altöl zu.

      »Jack!«, rief ich. »Sag, was haben die mit dir angestellt?« Er hob mühsam seinen Kopf. Wenigstens war er bei Bewusstsein. »Du meine Güte, was ist mit deinem Gesicht passiert? Was wollen die von dir?« Es kostete ihn Mühe, zu antworten.

      »Weiß nicht. Sie fragen ständig nach einer Rolle.«

      »Rolle? Was für eine verdammte Rolle?« Ich verstand nur Bahnhof. Sämtliches Blut staute sich mittlerweile in meinem Kopf.

      »Keine Ahnung. Wenn ich das wüsste. Wir müssen hier weg. Schaffst du es, dich mit den Armen aus den Gurten zu befreien? Es sind ungefähr drei Meter bis zum Boden. Wenn du deine Hände zusammenführen könntest, kannst du vielleicht die Schnalle öffnen.«

      »Unmöglich, das schaffe ich nicht.«

      »Komm, versuch es! Bitte, Amily, für uns. Bitte.« Ich atmete dreimal durch und hangelte mich dann an einer der Ketten hoch bis zur Schnalle. Mit dem kleinen Finger friemelte ich die Schnalle aus der Öse. Das tat weh. Und dann - fiel ich kraftlos in meine Ausgangsposition zurück. Auf diesen gewaltigen Ruck in den Handgelenken folgte ein heftiger Schmerz.

      Jack fand immer wieder die richtigen Worte, um mich anzutreiben:

      »Mach schon. Amily, du hast es gleich. Du bist ein starkes Mädchen«, sagte er, dann kam von ihm kein Laut mehr. »Nein, nein, Jack! Lass mich nicht im Stich.« Voller Verzweiflung entfesselte ich Kräfte, die mir bislang verborgen gewesen waren, packte die Kette, zog mich bis zur Schnalle hoch und schob den verdammten Stift aus dem Loch. Meine erste Hand war frei. Wenn ich eine Hand befreien konnte, dann auch die andere. Nach dem dritten Versuch konnte ich auch die zweite Schnalle lösen, holte Schwung und fiel, bis die Fußfessel mich stoppte. Was für eine blöde Idee, stellte ich schmerzerfüllt fest. Als ich da hing, sah ich das ganze Ausmaß von Jacks Verwundungen. Meine verletzte Seele schrie nach Vergeltung, wem auch immer diese galt. Mein Zorn überwand jegliche Grenzen der Physik. Den Oberkörper nach oben gestemmt, klammerte ich mich an der Kette fest. Mit letzter Kraftreserve – die Schusswunde blutete jetzt wieder stärker - öffnete ich die Schnalle, dabei glitt der Fuß heraus. Frei. Ich konnte mich nirgends mehr festhalten, die Ketten der Armfessel waren für mich nicht erreichbar, deshalb schnellte mein Körper nach unten. Es knackte heftig im Fußgelenk, doch die lederne Schnalle riss dabei ab. Aus einem Reflex heraus schützte ich meinen Kopf, krachte mit voller Wucht auf den harten Betonfußboden und verlor das Bewusstsein.

      Nach einer gefühlten Ewigkeit schlug ich die Augen auf, sah Jack bewusstlos in den Ketten hängen. Selber kaum in der Lage, mich zu rühren, probierte ich, meine Hände aufzustützen, aber mein Körper gehorchte mir nicht. Ich hörte eine Tür schlagen, versuchte wegzukriechen, doch es ging nicht, meine Gliedmaßen waren nicht bereit, den nächsten Schritt zu tun. Also entschied ich einfach, die Augen geschlossen zu halten. Tote Frau spielen. Ich atmete möglichst flach. Nach den Schritten zu urteilen, handelte es sich um zwei oder drei Personen. Sie blieben vor mir stehen, diskutierten in einer Sprache von der ich annahm, dass es Spanisch sei, ich aber kein Wort verstand. Zugern hätte ich gewusst, worum es ging. Es wurde immer anstrengender, meine Atmung zu kontrollieren. Hört auf zu palavern!

      Jemand schnappte meine Beine, schleifte meinen nackten, stark blutenden Körper über den schmirgelpapierartigen Betonfußboden. Nach einigen Metern ließen sie meine Füße fallen. Ich musste mich fürchterlich zusammenreißen, bei dieser zweifelhaften Methode keine Miene zu verziehen oder gar laut aufzuschreien. Kalter Schweiß benetzte jeden Quadratzentimeter meiner Haut. Mit geschlossenen Augen vernahm ich das Quietschen von Metallrollen, Ketten, die klirrend aneinanderschlugen. Daraus schloss ich, dass sie Jack herabließen, um wiederholt auf ihn einzuschlagen. Irgendetwas brach, ein dumpfes Geräusch, als würde ein Körper auf dem Beton aufschlagen. Einer der Männer murmelte:

      »Wer hätte das gedacht, er hat sie wohl doch nicht. Verflucht!«

      »Mist, wir haben die Falschen. Und nun?«

      »Lass mich nochmal versuchen.« Daraufhin brüllte der Kerl Jack in einem letzten Versuch an:

      »Wenn du die Rolle doch hast, töten wir jeden, der dir nahesteht, dann wirst du sehr, sehr einsam sterben, mein Freund.« Die Männer gingen zum Ausgang. Einer von ihnen drehte sich auf seinen Ledersohlen noch einmal um, Stoff raschelte, ich hörte das Entriegeln einer Schusswaffe und dann einen Knall. Mein Körper produzierte einen Hitzeschub, der in ein brachiales Brennen überging. Mein Oberschenkel fühlte sich an, als gehörte er nicht zu mir. Ich war viel zu entsetzt, um zu schreien.

      »Okay, vergiss es, die ist mausetot«, grölte einer der Männer, sie lachten lauthals.

      Hauptsache, ihr habt Spaß. Ich schwor, Rache zu nehmen. Für Jacks Qualen und die verlorene Liebe. Ich würde herausfinden, wer dahintersteckte und dann ... Ich weinte lautlos, ängstlich, nicht das Richtige zu tun. Die Tür schlug zu. Ich wartete regungslos, bis es dunkel wurde, um sicherzugehen, dass unser Überleben verborgen blieb, dann befahl ich mir:

      Komm, raff dich auf, kümmere dich um Jack! Du bist an der Reihe. Nur allzu schwerfällig gehorchten meine Arme, stemmten meinen geschwächten Oberkörper in die Höhe. Ich sah Jack in drei Metern Entfernung auf dem Boden liegen. Kein Lebenszeichen ging von ihm aus.

      »Los, Amily, auf die Beine!«, trieb ich mich unter unerträglichen Schmerzen an. Ich erlangte meinen Geruchssinn zurück, der schlug Alarm. Es stank bestialisch nach Öl und Benzin. Ich wankte zu dem Reglosen.

      »Steh auf, Jack! Steh auf!« Nur allmählich kehrte Leben in seinen geschundenen Körper