Bridget Sabeth

Sandy - Entwurzelt zwischen den Kontinenten


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ihr grob in die Wange. »Manfred ist kein richtiger Mann. Ihm sind all die Zahlen wichtiger als die fleischlichen Freuden. Dabei gab es einmal Zeiten, da war er diesen nicht abgeneigt, hat er dich doch auf einer seiner Forschungsreisen in einem netten, freizügigen Etablissement in London ge­funden. Und als Anhängsel gab es einen Sohn.«

      »Hör auf!«, flehte sie.

      »Ich finde deinen unüberhörbaren englischen Akzent süß. Weißt du noch damals, als ich es dir richtig besorgt habe? Ich erinnere mich gerne daran zurück, fand dich alleine im Haus vor, frisch aus der Badewanne gestiegen, so ahnungslos … Zuerst dachtest du, ich wäre Manfred …«

      »Lass sie ihn Ruhe!« Unwirsch stieß Manfred seinen Bruder weg. Wenige Momente später wurde er von den beiden Lakaien eisern umklammert, er schaffte es nicht, sich loszureißen.

      Höhnisch lachte Kurt auf, trat selbstgefällig heran, versetzte seinem Bruder einen kräftigen Schlag in die Magengegend, traf präzise den Solar Plexus. Manfred blieb die Luft weg, er sackte zusammen.

      Mary fiel neben ihrem Mann auf die Knie. »Manfred«, wisperte sie ängstlich.

      »Keine Sorge, meine Liebe. Du bekommst auch noch, was dir zusteht«, warf Kurt ein.

      Marys Hände zitterten, ein Schluchzer entfloh ihrer Kehle. Sie wich zurück, rappelte sich zittrig an der Wand empor.

      »Nun, Bruderherz, wo ist die Formel?«

      Manfred kauerte am Boden, erholte sich langsam vom gezielten Hieb. Abwehrend schüttelte er den Kopf.

      »Ich will deine Aufzeichnungen!«

      Manfred sah schwer atmend zum Bruder empor. Kurts kühle graue Augen musterten ihn scheinbar bis in die letzte Pore hinein. Wie können wir derart einander ähneln, und im Wesen grundverschieden sein? »Ich hab sie … zerstört, an Markus’ Todestag. Du hättest dir etwas Besseres, als eine Überdosis einfallen lassen sollen. Vielleicht einen Autounfall … Darin hast du mehr Übung, zumindest in Österreich.«

      »Längst nicht genug! Du hättest damals mit im Wagen sitzen sollen! Nicht nur unsere Eltern!«

      Wie bitte? Ich auch!? »Monster!«, stieß Manfred entrüstet aus.

      Kurt riss ihn an den Haaren hoch.

      Mary schrie auf. Ein Lakai schlug ihr heftig ins Gesicht und brachte sie zum Schweigen. Sie prallte besinnungslos auf den grünen Fliesenboden.

      »Mary!«, rief Manfred entsetzt. Er wollte zu ihr, wurde vom zweiten Kerl zurück­gehalten.

      »Was findet sie bloß an dir?« Kurt verzog den Mund.

      »Das wirst du nie verstehen.«

      »Das will ich auch nicht. Glaub mir, Familie spült einen weich. Darauf kann ich verzichten. Dein Freund Markus wollte ebenfalls das große Geld. Er hat leider nicht bedacht, dass ich nie teile. Mit niemandem.« Kurt lachte laut auf. Sein Lachen berührte weder das Herz, noch erreichte es die Augen. »Also, spiel keine Spielchen. Ich kenne dich! Niemals, mein edler Samariter, würdest du eine derartige Entdeckung der Menschheit vorenthalten. Außerdem warst du nie ein guter Lügner.« Sein Gesicht wurde verschlossen und unnahbar. »Ich bin mir sicher, dass du die Formel versteckt hältst. Sandy natürlich auch. Hast du dafür die Zeit genutzt – und bist selber nicht mehr rechtzeitig fortgekommen, um vor mir zu fliehen? Wo befinden sich die beiden Dinge, die ich haben möchte?«

      Mary japste, sie war zu sich gekommen. »Bitte, verschone das Mädchen … Bitte …«, bettelte sie im weinerlichen Ton.

      Wenn es nur so gewesen wäre … Ich Idiot, hab meine Familie ins offene Messer laufen lassen! Manfred biss sich auf die Lippen. Er schwieg. Abschätzend betrachteten die Brüder einander.

      »Sieh dir dein Weib an. Willst du, dass sie länger leidet? Ist das dein Beweis von Liebe?«, höhnte Kurt.

      »Du hast keine Ahnung davon, was Liebe bedeutet«, entgegnete Manfred rau. Ich ebenso wenig, sonst hätte ich nicht die Forschung an die erste Stelle meines Lebens gerückt. Nun ist es zu spät, diesen Fehler umzukehren.

      »Deine Liebe hat dich dumm und schwach gemacht. Wie fühlt es sich an, zu wissen, dass du weder von Mario noch von Sandy der Vater bist?«

      »Mary hat mich zum glücklichsten Mann gemacht.«

      »Du bist ein unfruchtbarer Waschlappen! Sag, wie lebt es sich mit einem leeren Sack zwischen den Beinen?«

      In Manfreds Gesicht zuckte ein Muskel. »Darüber hast du dich bereits in der Schule köstlich amüsiert. Jedem erzählt, dass ich ein Eunuch wäre.«

      »Meine Stichelei hat dich erst zur Forschertätigkeit getrieben. Deswegen hast du daraus eine wahre Affinität entwickelt. Der große Manfred Berger überlebte knapp seine Krebserkrankung, und durch seine herausragende Leistung wird er nun zum Heiler für Abertausende von Menschen. Bruder, mir kommt das Kotzen.«

      »Ach, ist der Artikel in Kanada erschienen?«

      Kurt prustete los. »Überschätz dich nicht. Dein Freund Markus war so nett, ihn mir zu­kommen zu lassen.«

      »Markus, niemals! Das glaube ich nicht!«

      »Bist du dir so sicher?«

      Manfred ließ den Kopf hängen. Markus? Ich hab ihm vertraut. Hat er tatsächlich …? Er wollte den Gedanken nicht weiterverfolgen. Das hat keine Relevanz mehr. Am besten wäre es gewesen, wenn niemand außer mir irgendwelche Details der Forschung gekannt hätte. Dann würde Markus noch leben und ich – wir – nicht dem Tod ins Auge blicken. Wäre ich bloß nie Forscher geworden … Kaum wahrnehmbar schüttelte Manfred den Kopf. Ein absurder Gedanke. Ich will Leben retten, wollte nie etwas anderes! Deshalb werde ich Kurt die Formel nicht wie auf einem Präsentierteller servieren. Niemals könnte ich es verantworten, dass weitere Menschen durch meine Schuld ihre Existenz aufs Spiel setzen, süchtig werden oder schlimmer noch: sterben …

      Mary fuhr sich über die Wange, sie spürte eine schmerzhafte Schwellung am Jochbein. Sie schluckte. Vorsichtig zog sie sich an der Holzkommode empor, fühlte ihre schwammigen Beine, die sie kaum zu tragen schienen. Keinesfalls werde ich kampflos sterben … Oder mich stundenlang quälen lassen!

      Sie lehnte an der Kommode, spürte im Rücken die Lade, in der die Messer lagerten. Die maskierten Kerle hielten ihre Waffen schussbereit. Einer zielte auf Manfred, der andere in ihre Richtung. Mary erinnerte sich an die schier endlosen Stunden, als Kurt sie brutal vergewaltigt hatte. Seine kalten durchdringenden Augen blieben unvergessen, waren in ihr wie eine Säure eingebrannt.

       Ohne Manfreds Beistand wäre ich tot, hätte mich ins Jenseits befördert, um die Erniedrigung zu vergessen. Wahllos kombinierte und schluckte ich sämtliche Medikamente, die ich finden konnte … Sogar noch eine alte Schachtel eines Schlafmedikaments der Ur-Oma gab es in den Tiefen einer Lade. Dass sie abgelaufen war, spielte keine Rolle. Manfred hat mich rechtzeitig entdeckt, seinen Finger in meinen Rachen gesteckt. Ich erbrach den Großteil der geschluckten Tabletten.

       Wie ich ihn anfangs dafür gehasst habe! Doch als mein kleiner Sohn mit tränennassem Gesicht mich am Krankenbett besuchen kam, wusste ich, dass ich mich nicht heimlich aus dieser Welt fortstehlen darf. Viele schöne Jahre haben Manfred und ich miteinander verbracht. Nach außen hin, denn im Hintergrund lauerte die Gefahr, schwelte in mir wie ein Geschwür mit der Gewissheit, dass Kurt wiederkommen würde. In all der Zeit ist Mario ein junger Mann sowie Sandra ein bildhübsches Mädchen geworden. Nur Sandys Augen erinnern mich manchmal an Kurt. Auch wenn sie weniger kühl und berechnend, sondern wissbegierig und voller Lebenslust sind. Kurt darf nicht gewinnen!

      Mary schaute zum Lakaien, der sein Augenmerk auf die anderen Männer gelegt hatte. Jetzt! Ihre Finger tasteten nach der Lade, das achtsame Öffnen ging im Geräusch ihres heftigen Atems unter. Mit der Klinge voraus stürzte sie auf den Kerl. Sie traf ihn am Oberarm.

      Mit einer raschen Bewegung entwendete der Gegner ihr das Messer. Blut tropfte von ihm herab. »Schlampe!«

      »Nein!