Bridget Sabeth

Sandy - Entwurzelt zwischen den Kontinenten


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Sie trat dem Lakaien zwischen die Beine. Der Kerl gab sie mit einem lauten Stöhnen abrupt frei. Mary stolperte und schlug hart am Boden auf. »Um Gottes willen!«, kreischte sie, als eine Hand ihren Knöchel erfasste und sie grob zurückzog.

      Eine große Pranke legte sich auf ihre Stirn, drückte den Kopf an seinen breiten Brustkorb, und der Stahl durchtrennte ihre Haut am Hals. Der Schmerz war ein kurzes Aufflackern im Gehirn, ehe sie mit einem gurgelnden Laut auf die Fliesen prallte. Ein metallischer Ton erklang. Das Medaillon, das auf einer Kette um ihren Hals gebaumelt hatte, kullerte zur Seite.

      »Bist du verrückt, mein schönes Druckmittel!« Aufgebracht warf Kurt seine Zigarre achtlos auf den Boden.

      »Mary! Mary!« Manfred riss sich los, er stürzte zu ihr hin. Hilflos hob er Marys Kopf. Ihr Blick ging starr nach oben. Obwohl er ihre Wärme fühlte, war kein Leben mehr in ihr. Seine Hände wurden vom Blut besudelt, das unaufhörlich aus der Wunde schoss. Ihre Kehle und die Halsschlagader waren durchtrennt. Ungläubig starrte er sekundenlang die rote Flüssigkeit an, die sich um ihn herum ausbreitete. Jäh fuhr er empor, stürzte sich in seiner Wut auf Kurt. »Mörder!«

      Manfred war kein ausgebildeter Kämpfer, sondern ein Forscher. Mühelos ging der maskierte Kerl dazwischen, nahm ihn erneut in seine Gewalt, ehe er Kurt richtig getroffen hatte. Manfreds Beine sackten unter ihm weg. Er kniete auf dem Boden, starrte auf seine tote Frau, während er an den Armen fixiert wurde.

      »Eigentlich wollte ich länger mit Mary spielen. Dennoch, allein für ihre Anzeige, damals bei der Polizei, hat sie den Tod verdient. Wir werden diese Farce hier besser abkürzen, es fängt an zu nerven. Ich gebe dir eine letzte Chance. Wenn du mir die Formel verrätst, verzichte ich auf Sandy.« Kurt grinste. »Das ist fair, oder?«

      »Sandy ist nicht hier, und die Aufzeichnungen sind zerstört!«, spie Manfred heftig aus.

      Kurt packte seinen Bruder an dessen Hemdkragen. »Glaub mir«, zischte er bedrohlich, »dein Widerstand mag dir im Moment edel vorkommen, aber ich kenne Alternativen, die mich für dein absurdes Schweigen entschädigen werden!«

      »Alternativen, welche Alternativen?«, flüsterte Manfred verwirrt.

      »Deine Tochter. Ähm … meine Tochter, zum Beispiel.«

      »Die ist nicht da!«

      »Hast du eine Ahnung, wie viel Geld gewisse Männer mir für eine kleine Jungfrau bieten?«

      Manfred biss sich auf die Unterlippe. Bald schmeckte er sein eigenes Blut auf der Zunge. »Du willst Sandy meistbietend verkaufen? Darum geht es dir? Du bist krank!«

      »Du kannst also damit leben, oder sollte ich sagen, mit dem Wissen sterben, dass du mit der Forschung deine Familie ins Verderben gestürzt hast?«

      Manfreds Blick flackerte wehmütig. Mary lag mit gespenstisch fahlem Gesicht auf dem Boden. Die Blutlache um sie herum hatte sich ausgebreitet, fing an zu stocken. »Du bist ein zu großer Hosenscheißer, um mich eigenhändig umzubringen, da tief in dir die Gewissheit steckt, dass wir Brüder sind.«

      Kurt holte aus, schlug Manfred hart ins Gesicht. »Deine Predigt wird dir nicht mehr helfen! Glaub mir, ich werde höchstpersönlich dafür sorgen, dass die süße Sandy die richtigen Lektionen lernt. Verlass … dich … drauf! Sie soll auf dieselbe Weise leiden, wie ich als Kind gelitten habe. Und weißt du wieso? Weil ich dich hasse! Du warst stets der gut behütete, kleine Prinz. Sobald du den Mund aufgemacht hast, standest du im Mittelpunkt. Statt dich ausgiebig zu quälen, gefällt mir der Gedanke, dass Sandy bald in meiner Gewalt ist, bedeutend besser. Und ich weiß, dass dich das von allen Dingen am meisten peinigen wird.«

      »Sie kann nichts dafür. Sie ist unschuldig!«

      »So unschuldig, wie ich einst war!« Kurt stieß ihn weg, strich seine Jacke glatt, als könnte er damit den inneren emporsteigenden Ekel ebenfalls entfernen.

      »In Ordnung, ich gebe dir die Aufzeichnungen, alles. Bloß nicht das Mädchen!«

      Kurt blickte auf seine goldene Armbanduhr. »Deine Zeit ist abgelaufen. Ich habe kein Interesse mehr daran.«

      »Die Formel ist nicht weit entfernt, ein paar hundert Meter …«

      »Du willst mich aus dem Haus locken, damit das Mädchen fliehen kann. Glaub mir, egal welches Angebot du in deinen letzten Lebensminuten aussprechen würdest, es wird mich nicht mehr umstimmen.«

      »Du vergisst, wie viel du damit verdienen könntest! Ob als Arznei oder für … für deine Drogengeschäfte. Alles, was neu ist, verkauft sich fast von selbst.«

      Kurt lachte. »Geld habe ich mehr, als ich in zwanzig Leben ausgeben könnte. Obwohl, vielleicht tröstet es dich, dass ich dir anfangs bloß eines auswischen wollte. Aber hier, in diesem Haus, prasseln so viele Erinnerungen auf mich ein.«

      »Du lehnst es ab, um mich weiter zu quälen!«

      »Erfasst Bruder, endlich hast du es erfasst!« Kurt trat nah heran.

      Verächtlich starrten sie einander an. Sie waren Feinde. Manfred spürte Kurts Atem, der ihm heiß ins Gesicht wehte. Er wich nicht ab. Obwohl sein gesamter Körper schmerzte, versuchte er, sich aufzurichten. Manfred wusste, dass es kein Erbarmen gab. Er konnte höchstens darauf hoffen, dass sie Sandy nicht finden würden. Er liebte das Mädchen wie sein eigenes Kind. Allerdings ist Kurts Jagdinstinkt geweckt, das verheißt nichts Gutes. Und er hat recht, allein daran zu denken, quält mich mehr, als ich jemals in Worte fassen könnte.

      »Gib mir das Messer!«, wies Kurt den verletzten Lakaien an, der mittlerweile einen Stoffstreifen aus seinem schwarzen T-Shirt herausgeschnitten und über die blutende Wunde geschlungen hatte.

      Kurt umklammerte hart den Griff, setzte die Klinge an Manfreds Hals an. »Übrigens, niemand nennt mich ungestraft einen Hosenscheißer!« Er ritzte die Haut auf, sogleich floss Blut in Rinnsalen aus der kleinen Wunde.

      Manfred hielt still, obwohl die Klinge scharf in sein Fleisch schnitt. »Du wirst für alles büßen, dessen bin ich mir sicher.«

      »Denkst du, ich hätte mich ganz nach oben gearbeitet, wenn es in meinem Leben Skrupel gäbe?« Kurt lachte freudlos. »Ich bin vielleicht ein kleinwenig aus der Übung. Falls du etwas sagen möchtest, dann sag es jetzt, oder schweige für immer.«

      »Weißt du, was ich wirklich bereue? Dir als Kind das Leben gerettet zu haben. Damals hätte ich dich in der eingestürzten Höhle verrotten lassen sollen. Bruder.«

      Kurt stach zu. Manfred rang nach Luft, Angst überflutete ihn. Instinktiv wollte er mit den Händen nach oben fassen. Er wurde eisern festgehalten. Noch lebte er, spürte den Schmerz, der durch den Körper raste. Sein Bruder war blass zurückgetreten. Er hielt kein Messer in der Hand, also steckte es in seinem Hals. Unaufhörlich näherte sich die Schwärze. »Hosenscheißer«, presste Manfred mit einem letzten Atemstoß aus.

      Der Komplize erledigte den Rest. Mit einer gezielten Bewegung brach er Manfreds Genick. Der Körper fiel nach vorne, zuckte ein paar Mal unkontrolliert.

      »Sichert die Ausgänge!«, rief Kurt wütend. Er brauchte einen Augenblick alleine. Die maskierten Kerle folgten sogleich seiner Anweisung. Tief atmete er durch, als die Lakaien den Raum verlassen hatten.

      »Warum hast du es dir bloß so schwergemacht?« Kurt kniete neben dem Bruder nieder, strich das aschblonde Haar zurück, das dieselbe Farbe wie seines hatte. »Ja, du hättest mich verrotten lassen sollen. Dann wäre ich Vater und all meinen beschissenen Erinnerungen entflohen. Du wusstest es nicht, oder? Mutter schon. Nacht für Nacht kam der pädophile Arschficker in mein Bett gekrochen und steckte sein Ding in mich rein. Bei dir hat er sich nie getraut. Du warst ja so arm und krank. Mamas Prinz …« Kurt ächzte verstimmt, entdeckte auf dem Boden die Brasil.

      Er hob die Zigarre auf, befand sie für gut und entzündete sie neu mit einem Streichholz. Er inhalierte den Rauch und versuchte, seine aufkeimenden Emotionen zu vertreiben. Das Leben hatte ihn gelehrt, dass Gefühle einen schwach werden ließen. Niemals hätte ich es sonst geschafft, mir als Mister Night einen Namen zu machen. Ich – Kurt – aus einem mickrigen Nest