Jörn Holtz

Paradies am Teich


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du hast ja Recht! Ich bin eine lausige Schauspielerin“, verzog Anne das Gesicht, wobei sie ihre Arme resignierend sinken ließ. „Ach, ich weiß auch nicht, Angela ist mir einfach zu extrem. Alles an ihr ist so…. Grrr!“, hob sie ihre Arme erneut in die Höhe, wobei ihre Finger eine krallenartige Stellung einnahmen. „Außerdem mag ich nicht, was sie mit Ole anstellt. Oh, …“, stockte sie mit einem Mal, wobei sie Leonora flehend ansah. „Das darfst du aber niemanden erzählen, versprochen? Und schon gar nicht Lotta!“

      „Warum sollte ich ihr etwas verraten, was doch ganz offensichtlich ist?“, strich Leonora kurz über Annes mittlerweile rötlich schimmernden Wangen.

      „Was, das ist jetzt schon offensichtlich?“, empörte sich Anne von neuen, während sie ihre Armmuskulatur anspannte.

      „Nein, woher denn?“, konnte Leonora sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Angela ist lediglich eine schöne und selbstbewusste junge Frau, die ihre Umwelt mit ihren Reizen zu dominieren weiß. Kein Wunder also, dass ihr die Männer zu Füßen liegen! Die Männer meinen zwar immer das starke Geschlecht zu sein, doch sind sie es wahrlich nicht.“

      „Tja, wenn das man alles wäre. Mit dieser Erkenntnis lebe ich schon lange!“, brummte Anne, bevor sie sich auf den Absatz umdrehte und die Küche ohne ein weiteres Wort verließ.

      Bizarrer Habitus

      Kurz sah Roswita sich verblüfft in ihrer Wohnung um, dann lächelte sie, als sie ihre Tochter und Martin im Badezimmer entdeckte: „¡Holà! Das ist ja schön, dass ihr euch schon miteinander bekannt gemacht habt. Ich will auch nicht weiter stören. Ich habe lediglich meine Athame vergessen und die brauche ich doch nachher“, lächelte sie entschuldigend, ehe sie zu einer Kommode ging und aus einer der Schubladen eine kunstvoll verzierte, hölzerne Schatulle herausholte.

      Dann ging sie zur Tür zurück und ergriff eine Leinentasche, die sie kurz zuvor dort abgestellt hatte, dabei lächelte sie den beiden erneut zu: „Ich muss jetzt leider gleich wieder los. Aber wir sehen uns ja Morgen, bei den anderen oben in der Siedlung zum Maitanz. Also gut bis dann, ich muss mich jetzt leider beeilen. Ach, und Martin, heute Nacht werde ich es wohl nicht mehr schaffen. Also steht es dir frei, wo und wie du sie verbringen willst!“, warf sie ihm einen entschuldigenden Blick zu und wandte sich von ihnen ab, um zu gehen.

      Dann stockte sie jedoch: „Ach was soll’s“, kam sie strahlend auf die beiden zu. „So viel Zeit muss sein! Schön, so ein erfrischendes Bad hätte ich jetzt auch gerne genommen!“, roch sie kurz an Martin, der immer noch stocksteif dasaß und sich nicht rührte. „Mm, riechst du gut!“, beugte sie sich weiter zu ihm runter und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Danach wandte sie sich ihrer Tochter zu, die im Gegensatz zu Martin völlig entspannt neben ihm saß. „Gut siehst du aus, mein Augenstern. Amüsiert euch ruhig weiter, ich muss jetzt leider wirklich los!“, gab sie auch ihrer Tochter einen Kuss, bevor sie ihre Nase kurz in Sophias krausen, nassen Haaren vergrub.

      „Buenas noches madre! Y pásatelo muy bien“, lächelte Sophia daraufhin ihre Mutter an.

      „Tambien!“, fuhr Roswita mit dem Handrücken über Sophias Gesicht, bevor sie etwas in Martins Blick entdeckte, als sie ihn erneut ansah. „Oh, ist alles in Ordnung?“, sah sie ihn daraufhin besorgt an.

      „Ja, mach dir bitte keine Sorgen. Wir beide verstehen uns blendend!“, legte Sophia zum Beweis ihre Hand auf Martins Oberschenkel. „Grüß bitte die anderen von mir und sag Lotta ich bin morgen auf jeden Fall dabei!“

      „Bien“, küsste Roswita ihrer Tochter noch einmal auf die Stirn und lächelte beim Gehen Martin zu, dessen Gesicht sich mittlerweile zu einer fragenden Fratze gewandelt hatte.

      Kaum hatte sich die Eingangstür hinter Roswita geschlossen, verließ Martin polternd das Badezimmer und kleidete sich wortlos an. Dabei wich er bewusst Sophias fragenden Blicken aus, während seine Gedanken Achterbahn fuhren. Denn als Lustobjekt für Mutter und Tochter herzuhalten, war selbst unter seiner kaum noch vorhandenen Würde. Alt 68‘er oder das was auch immer hier von der freien Liebe übriggeblieben ist, hin oder her: ‚Wie konnten die beiden nur so schamlos sein!‘. Oder vielmehr: ‚Wie konnte er nur so schamlos sein?‘.

      Nicht, dass das was er bisher getan hatte, nach westlichen Moralvorstellungen immer einwandfrei gewesen war. Immerhin hatte er ein Kind mit der Zwillingsschwester seiner verstorbenen, großen Liebe. Doch dies hier hatte eine andere Qualität und war selbst in seinem Wertesystem ein No-Go. Sicher, Roswitas Aufmerksamkeit tat ihm gut und ohne sie hätte er es vielleicht auch schon vor ein paar Tagen getan und wäre von den alten Kackfelsen in die selbstgewählte Erlösung gesprungen. Und obwohl sie vom Alter her gut seine Mutter sein konnte, hatte sie ihn begehrt und er sie, was er immer noch nicht glauben konnte. Hatte er vielleicht am Ende ein Mutterkomplex und stand auf Milfs?

      ‚So ein Quatsch!‘, huschte ihm ein schelmisches Lächeln übers Gesicht. Denn auf einmal musste er an Sophia denken, die hier einfach aufgetaucht war und ihn quasi in Vorbeigehen vernascht hatte, wie ein Erdbeereis an einem sonnigen Tag, und sie, hatte er ja auch begehrt. Doch je mehr er darüber nachdachte, umso benutzter fühlte er sich.

      Daher sehnte er sich in die vertraute Einsamkeit seiner Höhle zurück und nach dem Wahnsinnsgefühl, oben auf den Kackfelsen zu stehen, der ihm jederzeit die Möglichkeit bot, dies alles hier selbstbestimmt zu beenden. Denn nur dort oben fühlte er sich wirklich frei in der Entscheidung, was seine Zukunft betraf. So verabschiedete er sich Wortkarg von Sophia und verließ kurz darauf Roswitas Wohnung und machte sich auf, in seine Eremitage zurückzukehren.

      Schon von weitem konnte Martin flackernde, helle Lichter sehen, die seine geliebte Bucht erhellten. Missmutig, dort nicht die ersehnte Einsamkeit zu finden, ging er deswegen nicht hinunter zur Bucht, sondern um sie herum und zum alten Kackfelsen hinauf.

      Oben angekommen, hielt er erstaunt die Luft an, als er zur Bucht hinuntersah, ehe er sich im nächsten Moment bäuchlings nach vorne auf die noch warmen Steine fallen ließ, um nicht gesehen zu werden.

      Denn dort unten am Strand hatten sich nicht ein paar Touristen versammelt, wie er zunächst vermutet hatte. Sondern dort unten schritt eine Prozession aus Frauen, die lediglich mit einem Blumenkranz auf dem Kopf bekleidet waren, um einen Kreis aus grünen und roten Fackeln. Währenddessen rezitierten sie irgendwelche Verse in einer Art Singsang, die er nur kaum oder nur bruchstückhaft verstand und die wohl irgendetwas über einen Rundgang aussagten, den sie gerade beschritten.

      Ungläubig blinzelnd kniff er sich mit dem rechten Daumen und Zeigefinger in den linken Unterarm, um auszuschließen, dass er träumte. Doch der Schmerz war so real, wie dann wohl auch die Prozession der spärlich bekleideten Frauen, die er unter sich sah. So wagte er kaum zu atmen, während er sich die Szene unten am Strand genauer besah.

      In der Mitte des Kreises befanden sich zwei sorgsam geschichtete, unterschiedlich hohe Holzhaufen. Davor stand ein steinerner Tisch, der wie ein Altar aussah und auf dem zwei Kerzen brannten. Zwischen den Kerzen befand sich auf einer kleinen weißen Decke ein Kelch, sowie auf einer kleinen schwarzen Decke ein silberner Dolch. Davor standen in einer Reihe vier silberne Schalen.

      Außerhalb des Kreises entdeckte er links und rechts mehrere kleine Tische, die in einer Reihe standen und auf denen sich Früchte, Käse, Brote, sowie Flaschen mit rotem Inhalt befanden. Auf den Boden davor standen mehrere Stallleuchten, deren Kerzen im inneren jedoch nicht brannten.

      Nachdem er beobachtet hatte, wie die Damen den Kreis noch 2-mal abgeschritten waren, blieben sie mit einem Mal stehen und stellten sich mit den Rücken zum Holzhaufen auf, während sie vernehmlich summten. Dann lösten sich vier Frauen feierlich aus dem Kreis und schritten zu dem vermeintlichen Altar.

      Dort angekommen, ergriff sich jede der Frauen eine Schale und zündete deren Inhalt mit einem Streichholz an, der daraufhin so stark zu qualmen anfing, dass Martin einen Moment später meinte, Rosen, Weihrauch und Flieder zu riechen.

      Mit der vor sich hin räuchernden Schale in beiden Händen haltend, stellte sich jede der vier Frauen mit den Rücken den Holzstapeln zugewandt, in eine der vier