Thomas Hoffmann

Blaues Feuer


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nickte. „Und dem Jungen auch. Essen wollen wir auch was.“

      „Ich bringe euch Eintopf und Bier. Wollt ihr auch Spanferkel?“

      Oh ja, bitte, bitte! dachte Norbert.

      Doch er wusste, dass der Vater kaum viel Geld ausgeben würde. In Wildenbruch achtete er stets genauestens darauf, dass niemand mit dem Essen verschwenderisch umging.

      „Ja,“ sagte Hans Lederer. „Und gib uns Brot dazu.“

      Norbert starrte den Vater mit großen Augen an.

      Der duftende Krustenbraten, der Kartoffeleintopf und das frische Brot ließen Norbert die Schrecken der Unterstadt und des Marktplatzes vergessen. Er war so mit Kauen und Schlucken beschäftigt, dass er den Wirtshauslärm kaum noch wahrnahm. Das Bier stieg ihm in den Kopf und machte ihn dösig. Die junge Frau bemerkte er erst, als sie sich zu ihnen an den Tisch setzte. Ihre Schürze war ausgebleicht und sie hatte Schwielen an den Händen, aber die Haut ihrer Unterarme, des Gesichts und des Halses, der bis zum Schlüsselbein zu sehen war, war sauber. Ihr brünettes Haar war gewaschen und ordentlich aufgesteckt. So viel Mühe um ihr Äußeres gaben sich die Wildenbrucher Frauen nur an Festtagen. Die junge Frau hatte ein hübsches Gesicht, fand Norbert. Er wunderte sich, warum sie ihr Kleid nicht bis oben zugeschnürt hatte.

      „Sonst kommst du immer im Herbst,“ sagte die Frau zu Hans Lederer.

      Sie war wohl die Rebekka, nach der der Vater gefragt hatte.

      Hans Lederer deutete auf Norbert. „Mein Sohn. Er ist geistersichtig. Es gibt Gerede darüber im Dorf. Ich bringe ihn zu den Armen Brüdern, damit sie über ihm beten.“

      Den Blick, mit dem die Frau, die wohl Rebekka war, ihn betrachtete, fand Norbert freundlich.

      „Glaubst du, die Gebete der Armen Brüder werden ihm helfen?“

      „Wehe, wenn nicht!“ grollte Hans Lederer. „Er soll sich bloß zusammenreißen!“

      Er sah Norbert drohend an. Norbert guckte auf seinen Teller und stopfte sich Spanferkel in den Mund, weil er nicht wusste, was er darauf für ein Gesicht machen sollte. Als er aufgekaut hatte, wischte er mit dem Finger den letzten Rest Suppe aus der Holzschale. Der Vater und Rebekka unterhielten sich leise. Rebekka nahm Norbert den Suppenteller aus der Hand.

      „Ich hole dir noch Eintopf. Du brauchst bei uns nicht zu hungern.“

      Norbert musste an die Kriegskrüppel draußen beim Markt denken. Plötzlich fühlte er sich schlecht.

      Als Rebekka mit dem vollen Teller Suppe zurück an den Tisch kam, fragte Norbert, obwohl sein Herz dabei zu pochen anfing: „Warum gibt niemand den Kriegskrüppeln was zu essen? Und den Bettelkindern?“

      Aus irgend einem Grund glaubte er, solange Rebekka am Tisch saß, würde er vom Vater keine Ohrfeigen kassieren. Der Vater schlug tatsächlich nicht zu.

      Statt dessen grollte er: „Weil die nichts haben, womit sie bezahlen können! Wer sollte ihnen da was geben wollen? Wenn du allen Krüppeln der Welt dein Geld geben willst, bist du bald selber Bettler! Glaub bloß nicht die Ammenmärchen, die die Weiber im Dorf erzählen: Wenn eine ihr letztes Hemd weggibt, regnen die Sterne Gold auf sie herab. Im Dreck landet sie, nirgends sonst!“

      Norbert musste wohl ein sehr bestürztes Gesicht gemacht haben, denn Rebekka legte ihm die Hand auf den Arm und sagte versöhnlich: „Die Armen Brüder betreiben ein Siechenhaus im Kloster. Da waschen sie den Kriegsversehrten die Wunden und verbinden sie. Sie geben ihnen auch etwas zu essen, aber dann schicken sie sie fort. Es heißt, es gibt einen Streit zwischen dem Abt und dem Markgrafen. Der Abt sagt, die Kriegsleute hätten dem Markgrafen gedient, zu dem sollen sie gehen, damit er sie versorgt.“

      Das verstand Norbert nicht, aber er hörte auch kaum zu, weil er es mochte, wie Rebekkas Hand auf seinem Arm lag. Er hätte ihre Berührung gerne noch länger gespürt, aber sie zog die Hand weg.

      Sie lächelte Hans Lederer an. „Du hast einen aufgeweckten Jungen, Hans.“

      Der Vater betrachtete seinen Sohn zweifelnd.

      „Noch ist er nicht klug, aber klug werden muss er, das rate ich ihm!“

      ***

      Norbert döste am Tisch, während der Vater und die junge Frau leise miteinander sprachen. Das Bier und das Essen machten ihn müde. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt so satt gewesen war. Lärm, Bierdunst und das Durcheinander der Menschenmenge in der Gaststube schwammen ihm im Kopf und er wusste nicht, ob er noch wach war, oder ob er bereits im Halbschlaf träumte.

      Irgendwann hörte er Rebekka sagen: „Dein Sohn schläft gleich ein, Hans, ihm fallen ja schon die Augen zu.“

      Norbert dachte, sie wollte ihm eine Ohrfeige geben, aber sie fuhr ihm bloß zärtlich durchs Haar. Er konnte sich nur noch schwer konzentrieren.

      „Ich bringe ihn nach oben in die kleine Kammer, da kann er schlafen, ohne dass die Betrunkenen ihn stören.“

      Der Vater nickte. Norbert hatte gedacht, Vater und er würden zusammen übernachten. Aber der Vater machte diese Miene, die er immer machte, wenn er der Verena eine Speckseite oder ein Ferkelchen brachte. Norbert sah sich in der Gaststube um. Mit einem Mal hatte er den Eindruck, dass es gar nicht wegen dem Bier oder dem Essen war, weswegen viele der Männer im Raum in den „frommen Pilger“ gekommen waren.

      Er folgte Rebekka zur Treppe neben der Küche. Rebekka brachte einen glimmenden Kienspan. Aus einer Truhe nahm sie Decken und ging ihm voraus nach oben. Neben dem Wäscheboden öffnete sie die Tür zu einer kleinen Kammer. Es gab einen schmalen mit Stroh gefüllten Bettkasten und eine Truhe. Die Dachluke war mit einem Laden verschlossen. Rebekka setzte den Kienspan in einen Ständer auf der Truhe.

      „So, hier kannst du dich ausruhen.“ Sie legte die Decken im Bettkasten zurecht. „Wenn du später noch mal Hunger bekommst, geh nur runter in die Küche und lass dir ein Stück Brot geben. Die Küchenmägde wissen alle, dass du Hans Lederers Sohn bist. Du brauchst hier keinen Hunger zu haben.“

      „Rebekka?“

      Sie sah ihn fragend an.

      „Bringt dir Vater auch ein Geschenk? Der Verena im Dorf bringt er immer eine Speckseite oder ein Stück Rauchfleisch oder so etwas, wenn er zu ihr geht.“

      Sie fuhr ihm durchs Haar. „Du redest wie ein dummer kleiner Junge. Erwachsene sprechen nicht über solche Dinge.“

       Sie reden nicht drüber, aber sie tun es trotzdem.

      „Und nun schlaf. Träum schön.“

      „Rebekka, ich hab Angst, dass ich von den Kriegskrüppeln träume.“

      In Rebekkas Augen lag eine traurige Zärtlichkeit, als sie ihn sanft in die Decken drückte. „Daran musst du nicht denken. Wenn wir alle Nase lang an den Tod dächten und das Elend, das einen erwischen kann, wie sollten wir das aushalten? Du bist ein gewitzter, gesunder Junge und hast einen fleißigen, hart arbeitenden Vater. Du wirst deinen Weg gehen. Du brauchst keine Angst zu haben vor dem Elend.“

      Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn und während Norbert sich noch darüber wunderte, ging sie hinaus und schloss die Tür leise hinter sich.

      Norbert lag im Lichtschimmer des Kienspans und starrte zu den schrägen Dachbalken hinauf. Die Ecken der Kammer lagen im Dunkeln. Sein Kopf drehte sich. Er fühlte sich unendlich fremd in dieser Stadt. Jetzt im trüben Schimmer des Kienspans jagte ihm alles, was er gestern und heute erlebt hatte, Angst ein. Er tastete in der Hosentasche nach dem Holzpüppchen.

       Petra, wenn ich groß bin, werde ich Krieger und räche alles, alles! Was sie den Elben angetan haben und der Smeta, dem Mädchen am Brunnen und den Kriegskrüppeln. Wenn ich erst ein Held geworden bin, dann werde ich...“

      Aber er wusste gar nicht mehr, was er denn unternehmen würde, um das alles gut zu machen, was ihn bedrängte. Er presste das Püppchen an seine Brust und weinte vor Wut und Verzweiflung.

      Ich