J.D. David

Sonnenfeuer


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von Tandor. Obwohl er nur aus einer Handwerkerfamilie Taarls stammte, genoss er hohes Ansehen.

      „Natürlich, Euer Gnaden.“, antwortete er schroff. Dolf war in der Tat eine Person, vor der man Angst haben konnte. Die meisten Männer überragte er deutlich, seine Arme waren stark und dick, wie die eines Schmiedes, und sein Gesicht war durch den grau-braunen Vollbart untermalt stets hart und bedrohlich.

      „Siehst du. Und, glaubst du, es wird dir gefallen?“, fragte Sylvius dann Lerke abschließend.

      „Ich bin bereit, es kennen zu lernen.“, gab sie mit einem fast frechen Grinsen zurück. „Dann muss mich nur noch dein Bruder von sich überzeugen.“

      Sylvius nickte bedächtig. Das würde wohl die schwierigere Aufgabe. Lumos war nicht gerade die Person, die man als liebenswert bezeichnen konnte. Er war äußerst still, abweisend und kalt. In seiner Kindheit hatte Sylvius immer lieber Zeit mit seinem anderen älteren Bruder, Vincent, verbracht. Aber vielleicht konnte das sonnige Gemüt von Lerke ja den Erben von Tandor erwärmen.

      Auf einmal blieb die Kutsche mit einem Ruck stehen.

      „Was is…?“, wollte Lerke fragen, als von draußen auf einmal Rufe zu hören waren. Schreie. Und Kampfgeräusche.

      „Haltet euch von der Tür der Kutsche fern!“, befahl Dolf und zog, beengt vom Innenraum des Gefährts, seine Klinge aus dem Gürtel, um sich direkt vor der Kutschtür zu positionieren. Dann wartete er.

      Lautlos lief Arthur durch den Wald. Ihm folgten die Männer der Schwarzen Pfeile, wobei immer wieder einer stehen blieb und sich im Unterholz versteckte. Als nur noch er und Rogard übrig waren, hielt er kurz inne und schlich dann geduckt in Richtung der Straße, bis er direkt am Rand des Waldes war. Er hockte sich hinter einen Busch und lauschte. Absolute Stille. Selbst er, der wusste, dass die Männer in Stellung waren, konnte sie nicht sehen, schon gar nicht hören. Nur aus der Ferne hörte man schon die Hufschläge der Pferde und das ratternde Geräusch der fahrenden Kutsche.

      „Wir sind bereit und warten auf deinen Befehl.“, flüsterte Rogard. Arthur nickte dem jungen Mann zu. Der Sohn seines Cousins Hagen hatte nach dessen Tod an einem Fieber eine wichtige Rolle bei den Schwarzen Pfeilen eingenommen und war stets an Arthurs Seite gewesen. Jedoch kam er mit seinen dunkelbraunen, lockigen Haaren mehr nach der Mutter, denn dem Vater, der doch Arthur so ähnlich gewesen war.

      „In Ordnung. Geh nach vorne zum Tau und zieh es fest wenn die Eskorte die Stelle erreicht.“, befahl der Ritter dem jungen Mann. Das Seil auf der Straße war mit Blättern und Erde bedeckt und für einen unwissenden Beobachter so gut wie unsichtbar. In Spannung über der Straße würde es aber zu einem unüberwindbaren Hindernis für die Reiter aus Tandor werden.

      Dann galt es zu warten. Obwohl die Geräusche aus der Ferne schon zu hören waren, würde es noch einige Momente dauern. Am Boden kauernd atmete Arthur tief aus, um Kraft zu sammeln. Dies war ein entscheidender Tag, ein entscheidender Moment für ihren Kampf um Freital, wenn nicht gar um Rethas oder gar ganz Valorien.

      Die letzten Jahre waren mehr durch Rückschläge denn durch Siege gekennzeichnet gewesen. Nachdem sie aus Freital geflohen waren, hatte es erste Priorität gehabt, einen sicheren Unterschlupf zu finden. Zwei Jahre hatte sie in den Alrinnen verbracht, ungestört von den Häschern der Herzöge aus Grünburg oder Taarl. Doch dann hatte sich der Freiheitstrieb in Arthur wieder breitgemacht. Und der Drang nach Rache, für die Ungerechtigkeit und den Verrat von Celan. Schließlich galt es noch, die Heimat zurück zu erobern.

      Es war ein erbitterter Kampf seitdem. Auf der einen Seite die Soldaten von Herzog Celan, die unter der Zustimmung Herzog Helmbrechts in Rethas stationiert waren, um für Sicherheit zu sorgen. So zumindest die offizielle Aussage. Sie waren in den wichtigsten Burgen und Städten stationiert und patrouillierten die großen Straßen. Fast überall regierten nun de facto Adelige aus Tandor.

      Als Gegenseite hatte Arthur eine kleine Anzahl von Männern geführt, denen es wie ihm nach Freiheit und Rache gierte. Sie hatten immer wieder zugeschlagen. Transporte überfallen. Kleine Dörfer befreit. Tandorische Adelige bestraft. Anfangs hatte Arthur noch Skrupel gehabt, die brutalen Angriffe zu befehlen. Immerhin waren auch die Feinde Valoren, viele sogar wie er aus Rethas. Diese waren gewichen, als er die ersten Dörfer gesehen hatte, die von Herzog Celans Männern ausgelöscht worden waren. Die Bewohner inklusive Frauen und Kinder massakriert. Gewalt konnte man nur mit Gewalt beantworten und wenn der Feind keine Skrupel hatte, durfte man sich selbst kein Gewissen erlauben. Das war die traurige Realität des Krieges.

      Trotz der ersten Erfolge waren sie immer wieder zurückgeschlagen worden. Befreite Dörfer waren in Flammen aufgegangen. Unterschlüpfe von ihnen gefunden und ausgelöscht. Während immer wieder neue junge Männer hinzukamen, fielen die alten Weggefährten Arthurs den ständigen Scharmützeln zum Opfer. Jorgen. Hagen. Wulf. Sie alle waren nicht mehr. Oft fühlte er sich einsam, im Alter, das ihn doch so deutlich kennzeichnete. Doch dann gaben ihm die Jungen wieder Stärke und Zuversicht. Vielleicht würde sich ihre Beharrlichkeit endlich auszahlen.

      Ein Spion in Grünburg war an äußerst interessante Informationen gekommen. Die Enkelin von Herzog Helmbrecht sollte Lumos von Tandor heiraten. Da sie auch die letzte Erbin Rethas war, wäre dies das endgültige Ende des freien Herzogtums und der Beginn einer Personalunion mit Tandor. Doch hierin lag ihre Chance, denn zusammen mit einem anderen Sohn Celans reiste die junge Frau von Grünburg nach Taarl. Und Arthur kannte ihre Route.

      Die lauteren Geräusche schreckten ihn aus seinen Gedanken. Der Ritter blickte auf und schaute die Straße hinunter. Hinter einer Biegung kamen die ersten Reiter zum Vorschein, dann die Kutsche und schließlich noch mehr Reiter. Insgesamt waren es zwei Dutzend Soldaten, vielleicht einige mehr. Die Eskorte war also keine große Herausforderung. Anscheinend hatte es sich ausgezahlt, dass sie sich in den letzten Monaten bedeckt gehalten hatten. Vielleicht hatte Celan schon geglaubt, sie in die Knie gezwungen zu haben. Eine fatale Fehleinschätzung.

      Arthur zog vier Pfeile aus dem Köcher und steckte sie vor sich in den Boden. Dann nahm er einen weiteren und legte ihn auf die Sehne seines Bogens. Er atmete ruhig ein und aus und konzentrierte sich. Der Erfolg des Angriffs hing vom Überraschungsmoment ab. Und von dem ersten Schlag, der vernichtend sein musste. Im besten Fall waren alle Soldaten tot, bevor sie richtig bemerkt hatten, dass sie angegriffen wurden.

      Die Reiter kamen näher. Nicht mehr lange. Arthur suchte Sichtkontakt zu Rogard, der hinter ihm im Unterholz ausharrte, das schwere Tau in der Hand. Ein dicker Knoten im Tau war in eine Astgabel gelegt, sodass die Pferde das Tau nicht durchlaufen konnten. Schließlich nickte Arthur. Und Rogard zog am Seil.

      Von da an ging alles blitzschnell. Die vordersten Pferde scheuten und warfen ihre Reiter ab, die Kutsche und Reiter dahinter kamen ebenfalls abrupt zum Stehen. An beiden Seiten der Straße erhoben sich Schwarze Pfeile und ließen einen tödlichen Hagel auf den Feind hinabprasseln. Die Männer waren wortlos, standen in ihren dunklen Umhängen da und schickten einen Pfeil nach dem nächsten auf die Eskorte. Arthur selbst ließ den ersten Pfeil auf den Kutscher nieder, den er perfekt ins Herz traf. Auch die anderen vier Pfeile zog er blitzschnell und schickte sie auf die Tandorer. Dann hielt er inne.

      Beim Anblick des Werkes stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Obwohl er schon zu oft in Schlachten gewesen war, zu oft getötet hatte, war es kein einfacher Anblick. Überall lagen die von Pfeilen gespickten Leichen der Soldaten. Einige kämpften am Boden liegend noch mit dem Tod, aber nur wenige machten noch lautere Geräusche als das Röcheln eines Sterbenden. Einige der Pferde rannten in verschiedene Richtungen davon, andere lagen wie ihre Reiter tot oder sterbend am Boden. Rings um den Ort des Geschehens standen die Schwarzen Pfeile ruhig und verharrten wie er.

      Mit einem Schritt nach vorne durchbrach er den Moment der Regungslosigkeit. Er hängte sich seinen Bogen um und lief auf die Kutsche zu. Seine Männer taten es ihm gleich. Einige traten zu ihm, andere kümmerten sich um die noch Lebenden, um diesen ein gnädiges Ende zu schenken. Dann erreichte der Ritter die Tür der Kutsche, die auch von einigen Pfeilen getroffen war. Von innen hörte er geflüsterte Worte der Insassen.

      „Öffnen!“, befahl Arthur einem seiner Männer und baute sich vor der Tür der Kutsche auf.

      Lerke