J.D. David

Sonnenfeuer


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Boden zu legen. Sie zitterte am ganzen Körper. Es waren nur wenige Sekunden gewesen, aber wohl zweifellos die Schlimmsten ihres Lebens. Sie fürchtete, dass das wahre Grauen erst beginnen würde.

      Lerke fühlte sich vollkommen ohnmächtig. Alle drei hatten gehört, was draußen passiert war. Erst die Pferde, das abrupte Stoppen der Kutsche und dann die Schreie der sterbenden Männer, die schnell erstickt waren. Es hatte nicht wirklich Kampfgeräusche gegeben. Nun saßen sie hier drin und warteten auf ihr Schicksal. Obwohl Lerke viel Vertrauen in den Recken aus Tandor hatte, der sie beschützen sollte, glaubte sie nicht daran, dass er all die Feinde besiegen konnte. Dies hatte schon ihre Eskorte nicht gekonnt. Dann hörte sie Schritte von Stiefeln.

      „Öffnen!“, hörte sie die dunkle Stimme eines Mannes und im selben Moment wurde die Tür aufgerissen und Licht schien in die Kutsche hinein. Dolf schien auf diesen Moment gewartet zu haben und sprang mit der Klinge nach vorne hinaus, um den Mann zu töten, der die Tür geöffnet hatte. Aber direkt vor der Kutsche war kein Feind, den er erreichen konnte. Die Tür war seitlich geöffnet worden, und so stand Dolf direkt vor der Kutsche, umzingelt von mehreren Feinden, und schwenkte seine Klinge hektisch umher, um alle gleichzeitig in Schach zu halten. Ein auswegloses Vorhaben. Lerke versuchte einen Blick an dem Junker vorbei zu erhaschen.

      Sie musste ob des hellen Licht des Tages blinzeln, erkannte dann aber die Feinde. Alle waren in dunkle Umhänge gekleidet, in Braun- und Grüntönen. Sie trugen Bögen und Schwerter, viele hatten sogar ihr Gesicht verhüllt. Nur der Mann, der sich direkt vor Dolf aufbaute, war gut zu erkennen.

      Obwohl er nicht der größte Mann war, hatte er eine imposante Gestalt. Man erkannte noch die rotbraune Farbe seiner Haare und seines Bartes, doch mittlerweile waren diese weitestgehend grau. Sein Bart war ein wilder Vollbart, der doch auch die dunklen Augen hervorhob. Seine Gestalt war sehnig und in vielen Kämpfen gestählt. Doch am herausragendsten war das Schwert, das er auf dem Rücken trug, und von dem Lerke nur einen Teil sah. Die bronzene Scheide mit roten Edelsteinen war unverkennbar: Dies war Blutstein. Und der Mann vor der Kutsche damit Arthur von Freital. Der verräterische Ritter, Erzfeind ihres Großvaters und aller aufrichtigen Bürger Rethas und Valoriens. Der Mann, den selbst der mächtige Herzog Celan von Tandor nicht in die Knie hatte zwingen können.

      „Dolf Hammerstein nehme ich an?“, sagte Arthur herausfordernd zu dem letzten überlebenden Leibwächter. „Leg die Klinge nieder, dann werde ich mir überlegen, ob wir dich lebend zu Celan zurückschicken.“, fügte er dann kalt hinzu.

      Dolfs Blick fokussierte sich jetzt auf Arthur. Er konnte sowieso nicht gegen alle Männer gleichzeitig kämpfen, also war es nur sinnvoll, sich auf den wichtigsten Feind zu konzentrieren.

      „Ich glaube nicht, Arthur. Selbst wenn deine Männer mich töten, dich werde ich mitnehmen.“, warf er dem Ritter zurück und sprang dann mit blanker Klinge nach vorne gerichtet auf den Feind zu.

      Arthur zog kurz die Augenbraue hoch. Dann wich er mit einem Schritt nach hinten links dem Angriff aus und ließ Dolf so ins Leere laufen. Als dieser sich umdrehte hatte Arthur bereits die mächtige Klinge aus der Scheide gezogen und mit beiden Händen umfasst. Den nächsten Schlag des Junkers parierte er mit hochgerissener Klinge. Stahl schlug auf Stahl und mit einem Ruck des Schwertes stieß Arthur seinen Gegner zurück. Dann leitete er den Gegenangriff ein. Seine Schläge waren sowohl präzise als auch kräftig. Man hörte Dolf schon keuchen, nachdem er die ersten zwei Hiebe pariert hatte. Sein Arm begann zu zittern. Andere Männer hätten vielleicht Spott und Höhne über ihrem Feind ausgegossen, der nun langsam in die Enge getrieben wurde, aber Arthur blieb vollkommen still und ließ seinen Stahl sprechen. Ein von oben geführter Schlag wurde dem tandorischen Junker zum Verhängnis. Seine Klinge war noch nach unten gerichtet, nachdem er einen seitlichen Hieb abgewehrt hatte. Er versuchte das Schwert noch hochzureißen, doch Blutstein hatte den Punkt bereits passiert und fand seinen Weg.

      Dolfs Kopf wurde sauber vom Körper abgetrennt. Dolf sackte zusammen, als der Kopf bereits durch den Dreck rollte. Arthur schaute noch einmal auf den Feind hinunter und steckte dann sein Schwert zurück in die Scheide.

      Lerke spürte, wie Sylvius ihren Arm umklammert hielt. Eigentlich sollte der Knappe ja der Tapfere sein, aber angesichts der Übermacht des Feindes und der Tatsache, dass es sich um den gefürchteten Arthur von Freital handelte, war seine Reaktion verständlich. Als Dolf getötet wurde brachte sie einen spitzen Schrei hervor, hielt sich aber sofort selber die Hand vor den Mund, um nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aber natürlich waren sie bereits die ganze Zeit unter wachsamer Beobachtung gewesen.

      Als Arthur sich zu ihr drehte und ihr direkt in die Augen schaute, erschauderte sie. Das sowieso schon furchteinflößende Gesicht war von einem feinen Nebel aus Blut rot gefärbt. Der Ritter wirkte wie ein Unhold aus den Gruselgeschichten, die sie sich früher gegenseitig erzählt hatten. Doch es war Realität. Sie wollte irgendetwas sagen. Immerhin war sie die Erbin von Rethas. Sie musste doch auch tapfer sein. Doch auch sie brachte kein Wort über ihre Lippen. Was gab es nun auch schon zu sagen?

      „Arved, Rogard, holt die beiden aus der Kutsche. Dann verschwinden wir von hier.“, befahl Arthur mit kalter Stimme und wandte sich anschließend selber ab. Lerke sah, wie sich zwei Männer lösten und auf die Kutsche zugingen. Beide waren deutlich jünger als Arthur. Während der eine kräftiger war und wohl schon an die dreißig, war der andere ein junger Mann, vielleicht so alt wie sie.

      Seine Haare waren tief dunkelrot, ein Farbton, den sie noch nie gesehen hatte. Sein Körper war muskulös, athletisch und sein Gesicht glatt rasiert. Er erinnerte ganz leicht an Arthur, denn er hatte die gleichen, dunkelbraunen, fast schwarzen Augen. Dennoch war er natürlich um einiges jünger und attraktiver als der alte Ritter.

      „Lerke von Rethas, Sylvius von Tandor.“, sprach der Jüngere die beiden Insassen an. Seine Stimme war männlich und dennoch lieblich. Fast wie die Stimme eines Barden oder Sängers. „Dürfte ich euch bitten, aus der Kutsche zu steigen und uns zu begleiten?“

      Lerke war kurz etwas verwirrt ob der freundlichen Worte des Mannes. Der andere stand still neben ihm, seine Arme verschränkt. Sein Blick war kälter, dunkler, doch in den Augen des jungen Mannes konnte sie nichts Böses sehen.

      „Was wird mit uns passieren, mein Herr?“, fragte Lerke zurück, bevor sie sich regte.

      „Nennt mich einfach Arved, Euer Gnaden.“, antwortete dieser. „Ihr werdet uns in die Wälder der Alrinnen begleiten. Dann werden wir mit den Herzögen Helmbrecht und Celan über eure Freilassung verhandeln. Euch wird nichts geschehen. Beiden. Das verspreche ich bei meiner Ehre.“

      Dann ging er noch einen Schritt vor, verneigte sich leicht und hielt ihr seine Hand hin. „Darf ich Euch helfen?“

      Lerke verharrte noch kurz, immer noch überrascht über den Kontrast der Situation. Dort der brutale Angriff des gefürchteten Ritters und hier der freundliche junge Mann, der sie respektvoll behandelte.

      „Ich nehme dich beim Wort, Arved. Und sei gewiss, dass mein Großvater und alle ehrenhaften Männer Valoriens es vernehmen werden, wenn Sylvius oder mir etwas passiert. Dann wird der Tod eine gnadenvolle Erlösung sein.“, fügte sie so bedrohlich hinzu, wie sie konnte. Obwohl die Worte aus ihrem Mund und mit ihrer Stimme weit weniger einschüchternd wirkten, als sie gewünscht hatte.

      Arved lächelte ihr zu. „Dann wollen wir das lieber verhindern.“, sagte er mit einem Hauch von Schalk und half ihr dann aus der Kutsche, als sie seine Hand ergriff.

      Kapitel 4

      „Wo soll ich nur starten?“, überlegte Daron laut. Er schaute in die Runde der Menschen, die ihn erwartungsvoll anschauten. In seinem Rücken prasselte das Feuer des Kamins, der den großen Gastraum der Schenke erwärmte. Vor ihm saßen und standen die Bewohner des kleinen Dorfes, das er am Nachmittag erreicht hatte: Eschfurt. Ein kleines Dorf an der Furt, die einen Weg durch den großen Fluss, der Oberen Varna, ermöglichte.

      „Also, es ist fast ein ganzes Jahr her, als ich durch das Stadttor von Vadenfall getreten bin, mit einem Ziel: die Welt, wie sie heute ist, zu erkunden. Und noch mehr. Ich wollte überall Menschen kennen lernen, Geschichten und Mythen erfahren, und vielleicht sogar unentdeckte Orte erkunden.