J.D. David

Sonnenfeuer


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hatte seine Gedanken schon gebildet, dessen war sich der alte Ritter sicher. Und dennoch fragten sie ihn nach seiner Meinung. Immerhin war noch immer er der Herzog von Rethas und traf seine eigenen Entscheidungen.

      „Mmh“, war seine erste Antwort. Er überlegte. Alois. Wer hätte gedacht, dass jener Mann, den man eigentlich als den am wenigsten mutigsten Ritter wahrgenommen hatte, derart für das Reich aufstehen würde. Und für die Linie St. Gilberts. Wenn, wie das Gerücht ging, diese nicht mit dem jungen König untergegangen war. Helmbrecht hörte noch immer die Spötter nachhallen, als Alois von Priovan zum Ritter geschlagen wurde. Ein prächtiger Turnierstreiter, der noch nie einen wahren Kampf geschlagen hatte. Auch in der Rebellion Berlans war er oft zögerlich gewesen. Doch nach dem Tod seiner beiden Ritterbrüder in der Schlacht zwischen Ulf und Lora hatte sich der Mann gewandelt. Das Auftreten des Ritters aus Fendron im folgenden Disput um Elorath hatte Helmbrecht beeindruckt und sein Bild des nun herrschenden Reichverwesers geändert. Auch die Beharrlichkeit, mit der er die Kronlande gegen Celan verteidigt hatte, war beeindruckend gewesen.

      „Was will er denn von uns?“, fragte Helmbrecht schließlich und schaute insbesondere zu Celan, der doch immer so gut informiert war. „Ich dachte, wir befänden uns bereits in einem Waffenstillstand.“

      Erneut war es Valentin, der für den Herzog aus Tandor antwortete. „Sein Bote war unklar. Zumindest will er alle verbliebenden Ritter vereinen, somit wird auch Forgat dort sein. Zumindest wenn er sich nicht gerade mit seiner Priesterin im Bett befindet, um der Trias zu huldigen.“, fügte er spitz hinzu.

      Helmbrecht zuckte schließlich mit den Schultern.

      „Ich habe keine Zweifel an der Ehrhaftigkeit Alois‘. Wenn es Belange des Reiches gibt, sollten die Ritter in Elorath zusammentreten, obwohl wir uns in den letzten Jahren bekämpften. Ich werde jedoch selber die Reise aus verständlichen Gründen nicht antreten können.“

      Celan nickte zustimmend. „Ja, so denke ich auch. Wir wollen uns anhören, was Alois zu sagen hat, während meine Männer Arthur jagen. Valentin wird dich bestimmt würdig vertreten.“

      Die Worte des Herzogs von Tandor hatten etwas Abschließendes. Helmbrecht seufzte erleichtert, diese Begegnung offensichtlich auch überstanden zu haben.

      „Also, meine Gäste, dann fühlt euch bis dahin in Grünburg willkommen. Ich werde mich nun aber zurückziehen.“, sagte der alte Herzog und wurde sofort von einem Diener gestützt, als er sich daran machte, aufzustehen.

      Mit ihm erhoben sich auch Valentin und Celan. Helmbrecht schaute dem anderen Herzog noch in die Augen. Ganz kurz glaubte er die gleiche Müdigkeit zu erkennen, die er spürte, seit Rainald die Krone verraten hatte. Doch es war nur für einen Moment. Dann wich diese wieder der bekannten Kälte. Und der Gewissheit, dass Rethas brennen würde, wenn Arthur den Sohn Tandors nicht frei lassen würde.

      „Wollt ihr euch nun hinlegen, Euer Gnaden?“, fragte der Diener den alten Herzog, als sie seine große Kammer betraten. Helmbrecht schüttelte den Kopf, jedoch mit einem milden Lächeln, das ihm etwas Großväterliches gab.

      „Nein, mein Junge. Begleite mich doch kurz noch auf den Balkon. Ich möchte noch die letzten Sonnenstrahlen des Tages genießen. Bald werde ich genug liegen können.“

      „Natürlich mein Herr.“, antwortete der junge Diener und führte Helmbrecht zu der kleinen Holztür, die auf einen Balkon führte, der einen Blick über Grünburg und die davorliegenden Wälder erlaubte.

      „Danke.“, sagte der Herzog und stützte sich dann an der Balustrade des Balkons ab, während er seinen Blick über sein Volk schweifen ließ. Je näher er den kalten Hauch des Todes spürte, desto mehr dachte er über sein langes Leben nach. Hatte er alles richtig gemacht? Würde er als guter Herzog Rethas‘ in die Geschichte einziehen? Oder als gescheiterter Letzter? Unter drei Königen hatte er gedient, nur um dann das Ende der Linie ansehen zu müssen. Sein Volk hatte zu oft gelitten. Doch was hätte er tun können?

      Im Nachhinein bereute er gar nicht mal viel. Er hatte stets versucht, die besten Entscheidungen in der jeweiligen Situation zu treffen. Nur eine Sache bereute er: Er hätte Arthur von Freital mehr vertrauen müssen, nicht Valentin, nicht Celan. Der Ritter aus dem kleinen Freital war ein aufrichtiger Mann, dem seine Loyalität zum Verhängnis geworden war. So war auch seine Sorge um Lerke kleiner, als die Sorge Celans um seinen Sohn. Nein, Arthur würde die junge Frau nicht zu Schaden kommen lassen. Natürlich war sie ein wertvolles Pfand, aber der Ritter würde niemals den ultimativen Preis verlangen. Nein, Lerke war im Moment sicher. Es war sein Herzogtum, um das er sich nun Sorgen machen musste.

      Kapitel 6

      Die Nacht war trotz des Frühlings kalt. Obwohl der Waldboden an vielen Stellen bereits von den ersten Frühblühern durchbrochen wurde, fühlte sich Taskor eher wie im Herbst. Oder gar im Winter. Denn Winter war es fürwahr für Kargat. Vielleicht der Winter eines sterbenden Reiches. Er schien den letzten Keim der Hoffnung in den Händen zu halten. Doch dieser war zerbrechlich, und selbst wenn er sprießen sollte, war es unklar, ob das Königreich Kargat wieder aus dem Winter erwachen konnte.

      „General, ich kann nun die Wache übernehmen.“, hörte Taskor die dunkle Stimme von Eggbert, der zu ihm ans Feuer trat.

      „Danke. Wieso nennst du mich noch so?“, fragte er den alten Veteranen.

      „Wie? General? Weil Ihr das doch seid. Ihr seid General der Streitkräfte Kargats und Anführer unserer Truppen. Obwohl ich meine Differenzen mit der Armee hatte, respektiere ich Euch noch immer. Und Euren Titel.“

      Taskor nickte gedankenversunken, den Blick ins Feuer gerichtet.

      „Ich glaube nicht mehr, mich General nennen zu können. Immerhin habe ich weder Armee noch Königreich. Noch trage ich eine Rüstung.“, sagte er. Er schaute an sich hinunter und dann zu den beiden schlafenden Frauen. Schnell nach ihrer Flucht aus Härengar hatten sie sich ihrer edlen Kleidung und der Rüstung entledigt. Auf der Flucht war beides nur störend, bei einem echten Angriff würde es kaum helfen, und die Gefahr erkannt zu werden war mit solch auffälligen Gewändern deutlich größer. Doch mit der Rüstung war auch das Gefühl gewichen, ein großer Heerführer zu sein. Taskor, der Schwarze General, hatte man ihn genannt. Nun sah er aus wie ein gewöhnlicher Landstreicher. Immerhin passte er somit zur Lage im Land. Er wusste nicht mal mehr, ob es noch eine kargatianische Armee gab. Große Teile waren in Härengar mit dem König untergegangen. Ob sich die überlebenden Soldaten irgendwo gesammelt hatten, wusste Taskor nicht. Im Moment galt seine Aufmerksamkeit auch etwas anderem.

      „Ich glaube nicht, dass man einen solchen Titel einfach abstreifen kann. Immerhin habt Ihr uns mehr als einmal erfolgreich in die Schlacht geführt. Man kann nicht jeden Kampf gewinnen. Dennoch seid Ihr hier und lebt noch. Genauso wie die Königin und Prinzessin“

      „Uns? Hast du in meinem Regiment gedient?“

      Der alte Veteran nickte, schaute aber wortlos ins Feuer.

      „In den Südlandkriegen?“, hakte Taskor nach.

      „Ja, gegen die Ylonier.“, antwortete Eggbert. „Und in Valorien.“, fügte er hinzu.

      Valorien. Taskor dachte all die Jahre zurück. Es hätte sein großer Triumph sein sollen. Bis zu jenen Tagen hatte er gedacht, die Niederlage mit Prinz Beorn wäre seine größte Schmach gewesen. Doch der Rückzug, der erneute Fall von Eisentor, die Demütigung, hatten dies übertroffen. Der Fall von Härengar bildete nun die dritte Niederlage in dieser Reihe. Doch wie Eggbert sagte, er lebte noch immer.

      „Als wir die Brücke in die Heimat wieder passiert hatten, habe ich mich für immer von der Armee davon gemacht. Mein Glauben in die Streitkräfte und ihre Führung war für immer verschwunden, und meine Tochter brauchte einen Vater. Vielleicht war ich nicht immer der beste Vater, aber ich bin stolz darauf, was aus ihr geworden ist.“

      „Du bist desertiert?“, fragte Taskor verwundert. Er hatte schon erfahren, dass Eggbert ein Veteran gewesen war, aber gegenüber einem General Kargats Desertation zuzugeben war in der Tat mutig. Immerhin stand darauf der Tod. Aber was hatte das in Zeiten wie diesen noch zu bedeuten.