J.D. David

Sonnenfeuer


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      „Und wieso ist er dann nicht der König?“

      Vincent zögerte kurz, bevor er antwortete. „Die Ritter und Herzöge des Reiches stimmten mit seinem Anspruch nicht überein. Wie wir heute stehen, herrscht mein Vater über die nördlichen Kronlande. Dies schließt Goldheim ein, die Heimat eines der Verräter. Außerdem hat er die nord-westlichen Teile Fendrons im Besitz, bis zur Hafenstadt Lyth Valor. Mit dem Herzog von Fendron und dem Verweser der Kronlande besteht ein brüchiger Waffenstillstand, Herzog Helmbrecht von Rethas erkennt den Anspruch meines Vaters an. Dafür stellt ihm Tandor Truppen zur Seite, um sich gegen Rebellen und Verbrecher zu wehren, die sein Herzogtum bedrohen.“

      „Interessant.“, gab Daron zurück. Denn in der Tat waren die genauen Begebenheiten, die Vincent preisgab, von höchstem Interesse für ihn. „Und was ist Eure Aufgabe?“, fragte er neugierig.

      „Mein Vater hat mich mit meinen Männern aus Taarl fortgeschickt, um sein Reich zu erkunden. Er gab mir den Auftrag zu verstehen, wie die Situation in den einzelnen Städten und Burgen ist. Meist reise ich verdeckt, deshalb auch nur die kleine Eskorte. Aber nun bist du an der Reihe, von deinen Ländern zu erzählen. Sag, wie war Kargat? Ich kenne das Königreich nur als Feind, doch habe es nie sehen können.“

      Daron lächelte ob des Interesses des jungen Adeligen. „Das werde ich gerne lang und breit erzählen. Allerdings bin ich im Moment recht erschöpft, aufgrund der Geschehnisse.“, gab er zu Bedenken.

      Doch Vincent winkte ab. „Dann eben später. Was hältst du davon: Du willst doch sowieso die Länder erkunden. Begleite mich auf meinen Reisen durch Tandor. Ich finde dich interessant, Daron. Und dann wird mir auf keinen Fall langweilig, während du unter meinem Schutz stehst. Wie hört sich das an?“

      Daron verneigte sich dankbar. „Vielen Dank, Euer Gnaden. Das hört sich sehr gut an, und ich würde den Vorschlag dankend annehmen.“

      „Sehr gut.“, antwortete der Sohn Tandors. „Ach, und Vincent ist ausreichend.“

      Kapitel 5

      Helmbrecht schaute auf seine zitternden Hände hinunter, als er die Seiten umschlug. Er blätterte vorsichtig nach hinten. Für ihn schien es wie eine kleine Reise in die Vergangenheit. Gerne hätte er sagen wollen, eine Reise in die Jugend. Aber so weit blätterte er nicht zurück. Nur einige Jahre, bis zu jenem Jahr, das als Jahr des Blutes in die Geschichte eingegangen war.

      Er seufzte und studierte die Worte, die doch die Grausamkeit der Realität kaum fassen konnten. König Priovan, der letzte Erbe St. Gilberts, wurde vom Verräter Heinrich von Goldheim getötet. Dieser wurde von Herzog Celan von Tandor niedergestreckt, doch das Leben des Königs konnte nicht mehr gerettet werden. Es war die offizielle Version der Geschehnisse in Elorath, die er in das Buch des Herzogtums geschrieben hatte. Noch immer zweifelte er an der Version des Herzogs, aber es spielte auch keine Rolle. Wahrheit war relativ, das hatte er Celan schon vor vielen Jahren geraten. Mit dem Alter wurde diese Erkenntnis immer deutlicher. Nun hatte er so viele Jahre hinter sich, wie kein Mensch, den er je gekannt hatte. Doch das Schicksal wollte noch immer nicht seinen Tod. Stattdessen hatte es das Leben aller anderer seiner Verwandten und Nachkommen beendet.

      Er erinnerte sich an jenes Jahr zurück. Nachdem er die Nachricht vom Tod des Königs erhalten hatte, hatte er sich persönlich auf die anstrengende Reise nach Elorath aufgemacht. Trotz seines Alters. Es war das letzte Mal gewesen, dass er Grünburg verlassen hatte. Doch es war seine Pflicht gewesen, als Herzog und Ritter. Denn das Reich wollte regiert werden, gerade in schweren Zeiten. Und dies konnte nur aus Elorath geschehen, aus dem Rittersaal. Damals schien ihm die Zukunft noch so gewiss. Celan würde König werden, als Nachfolger von Leodegar. Forgat würde sich diesem sowieso beugen, er wollte am liebsten Rethas in Sicherheit wissen, und die überlebenden Ritter würden sich fügen oder sterben. Schon bald, wenn seine Zeit abgelaufen war, würde sein junger Enkel Helmbrecht, Sohn seines zweitältesten Sohn, das Herzogtum führen. Es schien so einfach. Doch es sollte alles anders kommen.

      Er erinnerte sich noch wie gestern, als er bereits im Rittersaal saß. Die Banner der Verräter waren entfernt, die Schwerter von Eleonora, Ulf und Heinrich bereits an ihren Platz gebracht. Während er und Celan sprachen, waren Alois und Forgat in den Saal getreten. Was folgte, waren wüste Beschimpfungen, und nur seine beruhigenden Worte hatten verhindert, dass die Ritter direkt die Klingen kreuzten. Doch die Situation hatte sich schlagartig geändert.

      Forgat berichtete vom Wunder von Liamtal, von der Rückkehr des Boten der Trias, wie er Fürst Elian bezeichnete. Und von dem Erben St. Gilberts, der lebte und eines Tages unter dem Segen der Trias nach Valorien zurückkehren würde. Ein Tag, für den Forgat nun beten würde.

      Alois war in dieser Hinsicht strategischer. Er warf Celan den Verrat vor, dessen Heinrich bezichtigt war und erzählte von den Befehlen Ulfs, die junge Ritterin Eleonora zu töten. Doch viel wichtiger war: Er hatte mit seiner Streitmacht wichtige Posten der Kronlande besetzt und die Stadtwache Eloraths auf seine Seite gezogen, die alle Soldaten Tandors innerhalb der Stadt verhaftet hatten.

      Was folgte, war nicht mehr zu verhindern. Celan schaffte es noch, aus der Stadt zu fliehen, die er gerade noch als seine geglaubt hatte. Helmbrecht selbst hatte Alois und Forgat offen seine Unterstützung für Celan mitgeteilt. Weniger aus dem eigenen Wunsch, diesen auf dem Thron zu sehen, als vielmehr in der Angst um Rethas, in dem sich wohl mehr Tandorer und Urben als rethanische Soldaten aufhielten. Denn diese unterstanden zu der Zeit Alois. Doch er rief Rethas als neutral aus und zog sich zurück. Wenn er auf die Wirren dieses Jahres zurückschaute, war das wohl die beste Entscheidung gewesen. Denn so hatte sich der Krieg nicht nach Rethas ausgebreitet und er hatte nur gegen die Partisanen von Arthur kämpfen müssen.

      Seitdem war das Land nicht mehr zu Ruhe gekommen. Seine Hoffnungen in den Sohn von Eilert waren jäh durch dessen Tod zerbrochen worden. Ein Sturz vom Pferd hatte am Ende gereicht, eine Wunde zu schlagen, die den jungen Erben in den Tod gerissen hatte. So blieb dem alten Herzog nur mehr Lerke, die Tochter des jüngsten Sohn, Rainald, der einst in Elorath bei dem Versuch starb, den König zu ermorden. Nach deren geplanter Hochzeit mit dem Erben von Tandor würde seine Linie nun also erlöschen und das einstige stolze Herzogtum Rethas dann wohl auch de jure in Tandor aufgehen. Der Lauf der Geschichte war eben nicht aufzuhalten. Dennoch war es ein trauriges Ende für Rethas.

      Mit zittrigen Händen schloss Helmbrecht das Buch und lehnte sich in dem Holzstuhl zurück. Er betrachtete den schweren Band. Ob Lerke das Buch weiterfüllen würde? Selbst wenn Rethas als Herzogtum nicht mehr bestand, seine Menschen würden weiterleben, und die Geschicke ihrer Heimat bestimmen. Doch die junge Herzogin würde wohl in Taarl residieren, das große Buch von Rethas aber hier in Grünburg verweilen.

      „Euer Gnaden?“. Helmbrecht hörte die Stimme des Dieners. Er hätte ihn sonst nicht bemerkt. Seine Sinne waren wie die gesamten Kräfte seines Körpers geschwunden. Nur sein Blick war scharf wie eh und je.

      „Ja?“, sagte er mit schwacher Stimme und signalisierte dem Mann mit einem Winken, näher zu kommen. Doch seine Augen hielt er fest auf dem Buch, während sich der Diener in seinem Rücken näherte.

      „Euer Gnaden, der Herzog von Tandor ist angekommen und wünscht Euch zu sprechen.“

      Helmbrecht nickte. „Und wie gerne wäre er als König Valoriens angekündigt worden…“, antwortete er leise.

      „Wie meint Ihr, mein Herr?“

      „Schon gut.“, sagte Helmbrecht. „Hilf mir bitte.“, wies er den Diener an. Dieser trat sofort näher und reichte dem alten Herzog einen Arm um ihn zu stützen. In die freie rechte Hand des Herzogs gab er ihm einen Stock, auf dem sich der alte Mann zusätzlich stützen konnte. Erneut spürte Helmbrecht, wie viel Kraft es ihn kostete, nur aufzustehen. Der kurze Weg in die große Halle würde ungleich anstrengender werden.

      Eigentlich hätte er ob seines Alters und Gebrechens sein Leben im Bett verbringen müssen. Um langsam und siechend zu sterben. Aber er wollte nicht ein solches Bild abgeben. So war die kleine Schreibkammer ein willkommener Platz. Man konnte sitzen, stundenlang und lesen, oder sich einfach ausruhen. Und niemand störte einen. Doch jetzt