Gabrielle Jesberger

Mary und das geheimnisvolle Gemälde


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„Gottesmord“ begangen zu haben, sollte als Rechtfertigung dienen für die Hetzjagd und schließlich die Ermordung der Juden. Dass die Römer die Verantwortung für den Tod des Mannes aus Nazareth tragen, hätten die Historiker und Theologen aller­dings von Anfang an wissen können, wenn sie die Pas­sionsgeschichten kritischer auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft hätten. So räumte auch Luther nicht dieses Miss­verständnis aus.

      Die Verdrehungen der geschichtlichen Abläufe bis zur Hinrichtung Jesu am Kreuz hatten bereits durch die Auf­zeichnungen der vier Evangelisten begonnen, die nicht ahnen konnten, welche verheerenden Auswirkungen dies haben sollte. Wer sich die Botschaften Jesu, die er uns durch sein Beispiel hinterlassen hat, zu Herzen nimmt, wird erkennen, dass er die Nächstenliebe, die alle Lebewesen, die ganze Natur einschließt, furchtlos über alle irdischen Gesetze an die erste Stelle unseres Menschseins gestellt hat.

      Bereits in der Kindheit hatte Richard von den „Lügen der Juden“ und antijüdische Äußerungen gehört, über die Luther eine Schrift herausgegeben hatte. Von seinem Vater wusste er, dass Luther ursprünglich sich mit den Juden gegen die Katholiken verbünden wollte. Seine Bemühun­gen, die Juden zu bekehren, scheiterten. Er wollte ihnen die unsinnige Narrheit des jüdischen Glaubens beweisen und ließ ihnen nur die Wahl zwischen Taufe und Vertreibung. Zunächst beschrieb Luther den Hochmut der Juden. Sie hielten sich aufgrund ihrer Abstammung für Gottes auser­wähltes Volk, obwohl sie doch, wie alle Menschen, als Sünder unter Gottes Zorn stünden. Die Juden seien blut­dürstig, rachsüchtig, das geldgierigste Volk, leibhaftige Teufel, verstockt. Ihre verdammten Rabbiner verführten die christliche Jugend, sich vom wahren Glauben abzuwenden. Luther zitierte das Neue Testament Mt 12,34: Ihr Schlan­genbrut, wie könnt ihr Gutes reden, wenn ihr böse seid? Gutes tun sie aus Eigennutz, nicht aus Liebe […]. - Sie lassen uns in unserem eigenen Land gefangen und lassen uns arbeiten […] sind also unsere Herren, wir ihre Knechte. Er appellierte an den Sozialneid der Bevölkerung, um die „Schutzgeldzahlungen“ der Juden zu beenden. Dazu forderte er, ihre Synagogen niederzubrennen, ihre Häuser zu zerstören etc. Gleichzeitig betonte er jedoch, dass es den Christen verboten sei, die Juden zu verfluchen und persön­lich anzugreifen obwohl er sie gerne eigenhändig erwürgen würde. Falls sich seine sieben Schritte nicht durchführen ließen, so bleibe nur, die Juden aus den evangelischen Län­dern wie tolle Hunde zu verjagen. Damit sprach Luther den Juden die Menschenwürde ab, die er ihnen noch 1523 zu­gebilligt hatte. Er wies die evangelischen Pfarrer und Predi­ger an, seine Ratschläge unabhängig vom Verhalten der Obrigkeit zu befolgen, ihre Gemeinden vor jedem Kontakt mit Juden und jeder Nachbarschaftshilfe für sie zu warnen und verlangte die Weitergabe und ständige Aktualisierung seiner antijüdischen Schriften.

      1931 gab Karl-Otto v. d. Bach die Schrift „Luther als Judenfeind“ heraus, in der er in judenfeindlichen Lutherzi­taten eine völkische Bedeutung der Reformation gegen die jüdische Plage sah. Diese Ansichten wurden Gemeingut in völkischen und rassistischen Teilen des Protestantismus.

      Adolf Hitler stilisierte Luther beim NSDAP-Parteitag 1923 für den geplanten Hitlerputsch zum Vorbild des Füh­rerprinzips: Er habe seinen Kampf gegen „eine Welt von Feinden“ damals ohne jede Stütze gewagt. Dieses Wagnis zeichne einen echten heldischen Staatsmann und Diktator aus. Das NSDAP-Blatt „Der Stürmer“ vereinnahmte ab 1923 oft ausgewählte isolierte Zitate aus dem Neuen Tes­tament und von christlichen Autoren, darunter Luther.

      Aber es gab auch andere Stimmen: Pastor Hermann Steinlein (Innere Mission Nürnberg) erklärte, Luther sei keine unfehlbare Autorität. Eduard Lamparter erklärte 1928 für den Verein zur Abwehr des Antisemitismus, Luther sei parteipolitisch zum Kronzeugen des modernen Antisemitis­mus vereinnahmt worden und sei 1523, auf dem Höhepunkt seines reformatorischen Wirkens, für die Unterdrückten, Verachteten und Verfemten in so warmen Worten einge­treten und hätte der Christenheit die Nächstenliebe als die vornehmste Pflicht auch gegenüber den Juden eindringlich ans Herz gelegt. Prominente evangelische Theologen emp­fahlen allen Pastoren, die Erklärung als maßgebende Posi­tion der evangelischen Kirche zu verlesen: Antisemitismus sei eine Sünde gegen Christus und mit dem christlichen Glauben unvereinbar.

      Der Deutsche Evangelische Kirchenbund begrüßte den­noch die Machtergreifung des NS-Regimes am 30. Januar 1933 mit großer Begeisterung. Vertreter, wie Otto Dibelius - als glühender Monarchist, Antidemokrat und Antisemit - lobten beim „Tag von Potsdam“, am 21. März 1933, die Beseitigung der Weimarer Verfassung als „neue Reforma­tion“ und stilisierte Hitler zum gottgesandten Retter des deutschen Volkes. Dieser Tag ging in die Geschichte ein, da in der Garnisonskirche der erste Reichstag nach der Machtübernahme eröffnet wurde und der neue Reichs­kanzler Adolf Hitler sich vor Reichspräsident Hindenburg verneigte.

      In der NS-Zeit wurden Luthers Judentexte neu heraus­gegeben. 1937 und 38 bekräftigten zwei Artikel im „Stür­mer“, Luther müsse als unerbittlicher und rücksichtsloser Antisemit gelten und die evangelischen Pastoren müssten dies viel stärker predigen. Im November 1937 beim „Rezi­tationsabend“ im Residenztheater in München zur Propa­ganda-Ausstellung „Der ewige Jude“ wurden zuerst Aus­züge aus Luthers Schriften verlesen. Gegen die November-Pogrome protestierte keine Kirchenleitung. Landesbischof Walther Schultz forderte alle Pastoren Mecklenburgs in einem „Mahnwort zur Judenfrage“ am 16. November 1938 auf, Luthers „Vermächtnis“ zu erfüllen, damit die „deutsche Seele“ nun keinen Schaden erleide und die Deutschen […] alles daran setzten, eine Wiederholung der Zersetzung des deutschen Reiches durch den jüdischen Ungeist von innen her für alle Zeiten unmöglich zu machen. Adolf Hitler, nicht „der Jude“ habe am deutschen Volk Barmherzigkeit getan, so dass ihm und seinem – dem deutschen Volk auf­getragenen - Kampf gegen die Juden, die Nächstenliebe, Treue und Gefolgschaft der Christen zu gelten habe. Bi­schof Martin Sasse stellte in seinem weit verbreiteten Pamphlet Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen! am 23. November 1938 ausgewählte Lutherzitate so zusam­men, dass die nationalsozialistische Judenverfolgung als direkte Erfüllung von Luthers Forderungen erschien. Die von elf evangelischen Landeskirchen unterzeichneten „Leitlinien“ vom März 1939 behaupteten, der artgemäße Nationalsozialismus setze Luthers Reformen politisch fort. Der Theologe Theodor Pauls forderte, die Kirche müsse mit dem Evangelium für das deutsche Lebensgesetz gegen die jüdische Macht des Verderbens eintreten, der Staat müsse dieses Lebensgesetz durchsetzen und Gottes Zorn gegen die Juden vollstrecken und untermauerte dies mit Luther-Zita­ten. Am 17. Dezember 1941 erklärten sieben evangelische Landeskirchen, der Judenstern entspreche Luthers Forde­rung, schärfste Maßnahmen gegen die Juden zu ergreifen und sie aus deutschen Landen auszuweisen.

      Die evangelischen Kirchenführer ließen sich in voraus­eilendem Gehorsam bereitwillig zu Helfershelfern der Na­zis instrumentalisieren, tauschten das Neue Testament mit der Bergpredigt gegen „Mein Kampf“. Der frühere US-Präsident Wilson, der sich mehrmals während des Ersten Weltkrieges für Friedensverhandlungen eingesetzt hatte, wäre als herausragendes Vorbild für eine christlich orien­tierte Politik gewesen.

      Luthers Antisemitismus war in klerikalen Kreisen kein Einzelfall. Der ehemalige Zisterzienser-Mönch und Lands­mann von Adolf Hitler, Adolf J. Lanz aus Wien (Hoch­stapler Jörg Lanz von Liebenfels), gründete 1900 einen Zusammenschluss rassistischer Deutsch-Österreicher, den religiösen „Neutempler-Orden“, der die arische Rasse - als die von Gott auserwählten Herrenmenschen - glorifizierte. Als glühender Antisemit fühlte er sich den „Alldeutschen“ verbunden. Lanz legte den Sündenfall des Alten Testa­mentes so aus, dass die ursprünglich göttlichen Arier sich mit Tieren vermischt hätten und daraus minderwertige Rassen hervorgegangen seien, die zur Reinhaltung des Blutes zu eliminieren wären (Eugenik). Sein menschen­verachtendes Frauenbild drückte sich darin aus, dass ari­sche Frauen nur als „Zuchtmütter“ wertvoll seien. Inwie­weit sich Hitler von Lanz inspirieren ließ, ist unter Histori­kern umstritten. Bei SS-Chef Heinrich Himmler dürften neben dem Rassenwahn auch die okkulten Thesen von Lanz auf besonders fruchtbaren Boden gefallen sein (er glaubte die Reinkarnation König Heinrichs zu sein, suchte nach dem Heiligen Gral, gründete die „SS-Herrenmen­schen-Zuchtstation Lebensborn“, baute die Wewelsburg zu einer rituellen SS-Hochburg aus) und konnte in diesem