Gabrielle Jesberger

Mary und das geheimnisvolle Gemälde


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ein Fräulein Wohlgemuth, vierzig Lenze zählend, im Sinne, anzunehmen. […] dann wäre doch jemand da, der sich ganz alleine verantwortlich der Hausführung widmen würde. Ich bin nicht optimistisch, sehe aber ein, dass ich so jemanden haben muss.

       Gestern Abend war ich mit Else und Lu auf einem Kon­zert in Eschau, das der Musiklehrer Wolf am Klavier, be­gleitet von einem Cello und einer Sängerin, veranstaltete. Alle Größen waren vertreten und nach Schluss wurde bei Pfarrer Löffelholz weiter musiziert. Ich war zu trübe ge­stimmt, mir fehlte Euer Mutterle. Ich ging vorzeitig heim und las bis die anderen kamen. […] Ich muss ja jetzt doch die Stelle Eurer Mutter einnehmen und dabei die nötigen Briefe schreiben. So lang es geht, geht es, wie man sagt. Allmählich verkleinert sich ja auch der Kreis, um dann mit mir ganz aufzuhören …

      Im fernen Altona litt Hermi immer mehr unter Heim­weh. Im Haus des Onkels und der Tante fehlte die liebe­volle Atmosphäre, die sie von ihrer Mutter kannte. Sie waren zwar freundlich zu ihr, aber distanziert. Auch das Arbeiten in der Arztpraxis erfüllte Hermes nicht. Einzig die Abende, an denen sie mit Onkel Franz musizieren konnte, machten die Zeit erträglich. Nach einem halben Jahr war sie erleichtert, wieder abreisen zu können. Doch ohne Ma war auch die Villa Elsava nicht mehr ihr Zuhause. Durch die Unterstützung ihrer Mainzer Freundin begann sie bald eine Ausbildung zur Korsettmacherin und konnte nach kurzer Zeit ein eigenes kleines Geschäft eröffnen. Es sprach sich schnell in Mainz herum, wie geschickt sie Mieder nach Maß anfertigen konnte und die Damen der gehobenen Ge­sellschaft wurden bald gute Kundinnen.

       Frieden und Krieg

      Am 24. Juni 1922 ging eine Eilmeldung durch die Presse: Außenminister Walter Rathenau auf dem Weg ins Auswär­tige Amt ermordet! Am Abend zuvor hatte er noch bis in die frühen Morgenstunden bei einem Essen mit dem ameri­kanischen Botschafter Alanson Houghten den deutschen Standpunkt in der Reparationsfrage erläutert und über eine „Abkehr von der bisherigen Erfüllungspolitik“ diskutiert. Durch seine widerspruchsvolle politische Haltung wurde er von vielen Seiten angefeindet und hatte Mühe, Unterstüt­zung zu finden für seine neue entspannungsfördernde Poli­tik. Zwar war Berlin weit weg, doch die Erleichterung über den Frieden wurde allgemein getrübt durch den verlorenen Krieg und den erzwungenen Friedensvertrag von Versailles. Die tief empfundene Ungerechtigkeit heizte landesweit die Debatten im Volk an.

      Am 31. Januar 1922 war Rathenau zum Außenminister ernannt worden, um Deutschland bei der Weltwirtschafts­konferenz in Genua zu vertreten. In der Reparationsfrage gelangen ihm keine Fortschritte, aber er fand sich unter Bedenken bereit, am 16. April 1922 mit Sowjetrussland einen bilateralen Sondervertrag abzuschließen, um Deutschland außenpolitisch mehr Handlungsspielraum zu verschaffen. Obwohl dieser Schritt von nationaler Seite begrüßt wurde, hielt es die Organisation Consul nicht davon ab, später ein Attentat auf Rathenau zu verüben. Er wurde als ältester Sohn des deutsch-jüdischen Industriellen Emil Rathenau (des späteren Gründers der AEG) in Berlin gebo­ren. Rückblickend schrieb er über seine Jugendzeit: In den Jugendjahren eines jeden deutschen Juden gibt es einen schmerzlichen Augenblick, an den er sich zeitlebens erin­nert: wenn ihm zum ersten Male voll bewusst wird, dass er als Bürger zweiter Klasse in die Welt getreten ist und keine Tüchtigkeit und kein Verdienst ihn aus dieser Lage befreien kann. Die traumatisch erlebte Kluft zwischen Zugehörigkeit zur Elite und gleichzeitiger Diskriminierung begleitete ihn lebenslang und enthält vielleicht die Quintessenz der deutsch-jüdischen Geschichte, nämlich den - sich über Generationen hinstreckenden - Versuch, die jüdische und die deutsche Identität miteinander in Einklang zu bringen, ohne sich weder in der einen noch in der anderen wirklich zu Hause zu fühlen. Als Präsident der AEG reichte Rathe­naus Einfluss weit über den Konzern hinaus. Er war über­zeugt, eine Planwirtschaft wäre die notwendige Ergänzung zum Marktmechanismus und könne so dazu verhelfen, soziale Schieflagen und überzogene Profite zu vermeiden. Noch am Tag der Ermordung Rathenaus wurden die Funk­tionäre der rechtsextremen Organisation Consul festge­nommen. Die O. C. war eine nationalistisch und antisemi­tisch gesinnte terroristische Vereinigung während der Weimarer Republik, eine paramilitärische Organisation, die als Geheimbund aufgebaut war. Sie verübte politische Morde mit dem Ziel, das demokratische System der jungen Republik zu destabilisieren, eine Militärdiktatur zu errich­ten und die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges, insbeson­dere den Friedensvertrag von Versailles, zu revidieren. Bei der vorzeitigen Haftentlassung einer der Mörder Rathenaus wurde der Täter von einer Musikkapelle der paramilitäri­schen Wehr-Organisation „Stahlhelm“ begrüßt, dessen Ehrenmitglied Reichspräsident von Hindenburg war. Dies zeigte schon seine undemokratische, reaktionäre Einstel­lung. Im August 1921 wurde der bei den Rechten verhasste Zentrumspolitiker Matthias Erzberger im Schwarzwald von der O. C. ermordet. Der Mordversuch am 4. Juni 1922 an Philipp Scheidemann, der bereits 1883 in die verbotene SPD eingetreten war, scheiterte. Vermutlich war die Gruppe auch verantwortlich für die Ermordung von Karl Gareis, der überzeugter Sozialist und zuletzt als Lehrer in Aschaffenburg tätig war. Ihre etwa 5000 Mitglieder bestan­den zum größten Teil aus ehemaligen Offizieren des Deut­schen Heeres und der Kaiserlichen Marine sowie der Frei­korps. Ihr Motto war die Bekämpfung alles Antinationalen und Internationalen, des Judentums, der Sozialdemokratie und der linksradikalen Parteien, mit dem Ziel, durch die Ermordung von exponierten Personen der Demokratie, die Republik zu beseitigen. Vor allem Politiker jüdischer Ab­stammung zählten dazu, aber auch Politiker der demokrati­schen Parteien der Mitte, der Linken sowie Pazifisten und Politiker, die an den Verhandlungen des Versailler Vertra­ges beteiligt waren. In einer Hetzschrift der Freikorps hieß es: Auch Rathenau, der Walter, erreicht kein hohes Alter. Knallt ab den Walter Rathenau, die gottverdammte Juden­sau.

      Eines der bekanntesten O.-C.-Mitglieder war der Schriftsteller Ernst von Salomon, der als Rechtsterrorist (Für einige Historiker gilt er als Wegbereiter des National­sozialismus.) an der Vorbereitung von politischen Verbre­chen, wie dem Mord an Rathenau, beteiligt war. Anfangs war die Organisation sogar von der Reichsregierung und der Reichswehrführung geduldet, da sie hofften, mit ihrer Unterstützung die Rüstungsbeschränkungen des Versailler Vertrages unterlaufen zu können. Salomon erreichte mit seinen Büchern „Dokumente vom Kampf um die Wieder­geburt der Nation“ etc. im Nationalsozialismus sehr hohe Auflagen. Auf der Grundlage des im Juli 1922 erlassenen Republikschutz-Gesetzes wurde die O. C. verboten. Als Nachfolgeorganisation wurde der Bund Wiking gegründet. In der Zeit des Dritten Reiches wurden die Mitglieder der O. C. der SS unterstellt.

      Rathenau war lange Zeit einer beispiellosen antisemiti­schen Hetzkampagne ausgeliefert gewesen. Seine Aussage, wonach die Geschicke der Welt von etwa 300 mächtigen Männern geleitet würden, war zu der Denunziation umge­deutet worden, Rathenau selbst wäre einer der „300 Weisen von Zion“, die mit ihm an die Macht gelangt seien. 1920 wurde erstmals eine deutsche Fassung - der ursprünglich in Russland erschienenen - unter dem Titel „Die Geheimnisse der Weisen von Zion“ (von Ludwig Müller von Hausen) herausgegeben. Der Gründer und Vorsitzende des Verban­des gegen die „Überhebung des Judentums“ pflegte in Ber­lin intensive Kontakte zu rechtsextremen russischen Emig­ranten. Diese sogenannten Protokolle waren nur eine von vielen antisemitischen Veröffentlichungen, die das Land überschwemmten. Dennoch zeigte ihr publizistischer Er­folg, dass in der Weimarer Republik das Bedürfnis nach einem Sündenbock für den Sturz der Monarchie und für die Niederlage im Weltkrieg angesichts der eigenen rassischen Überlegenheit - die die völkische Bewegung immer ver­kündet hatte - groß war. Die „Protokolle“ vereinten eine Vielzahl von Klischees, die den antisemitischen Diskurs prägten. So wurden darin Juden grundsätzlich als Feinde der Christen dargestellt. Als Ziel der Juden wurde die weltweite Herrschaft - ihres Glaubens und des Glaubens an ihre „göttliche Auserwähltheit“ - in dem von ihnen be­herrschten „Universalstaat“ dargestellt. Zudem wurden ihnen Ehrgeiz, Rachsucht und Hass auf die Christen un­terstellt. Die Vorstellung, die Juden seien grundsätzlich feindlich gegen Christen eingestellt, wurzelt im Antiju­daismus (seit Beginn des Christentums), der ihnen „ver­stockte“ Verweigerung von Bekehrung und Taufe, Gottes­mord, Hostienschändung sowie angebliche Bündnisse mit dem Teufel vorwarf. Zweifel an der Echtheit der Protokolle kamen schon sehr früh auf. Es wurde vermutet, dass der gesamte Text ein böswilliges Phantasieprodukt war, wo­nach die Juden wegen ihrer angeblichen Rolle in der russi­schen Revolution 1905 verleumdet wurden.