Laura Herges

Wer ist Clara?


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inne. „Wollen wir uns auf die Terrasse setzen?“, fragt er dann mit einem Blick zu mir.

      Ich nicke, Luchsi tapst in ihr Körbchen im Wohnzimmer, und wir beide machen es uns wieder auf dem Sofa draußen bequem.

      „Du denkst wahrscheinlich gleich, dass Anna total gestört ist, aber sie war mal mit Eddie zusammen.“

      „Was?“ Ich schreie das Wort beinahe heraus, so geschockt bin ich von dieser Enthüllung. Wie kann eine so elegante, hübsche, erfolgreiche Frau mal was mit diesem Freak gehabt haben?

      „So habe ich auch reagiert, als ich es erfahren habe“, sagt Jakob und kann sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen, „Aber du musst wissen, dass das alles seeeehr lange her ist. Die beiden waren Teenager – und Eddie muss damals noch normal gewesen sein. Das war, bevor er mit den Drogen angefangen hat…“

      Ich muss schlucken. „Warum hat er das getan?“, frage ich.

      Jakob zuckt mit den Schultern. „Er hatte es nicht leicht, hat Anna gemeint. Sein Vater ist jung gestorben, und seine Mutter muss ziemlich kalt zu ihm gewesen sein. Irgendwann hat er Depressionen bekommen, und deshalb eine Therapie begonnen, sie aber wieder abgebrochen und stattdessen angefangen, Drogen zu nehmen. Keiner konnte ihm helfen – nicht mal Anna, obwohl sie es versucht hat.“

      „Obwohl sie nicht mehr zusammen waren?“, frage ich.

      „Ja, sie hat, glaube ich, nie damit aufgehört, sich um ihn zu sorgen. Auch wenn man heute über Eddie spricht, und sie dabei ist, bekommt sie diesen schrecklich traurigen Ausdruck in ihren Augen.“

      Ich muss schlucken. Diese Geschichte ist wirklich schrecklich, und die Tatsache, dass alle Eddie als den Verrückten im Dorf betrachten, macht die Sache nur noch schlimmer. Er ist ein armer, gequälter Mensch, dem niemand helfen konnte. Und dennoch habe ich Angst vor ihm. Wenn ich nur zurückdenke an den Ausdruck in seinen Augen, als er mich angesehen hat, bekomme ich eine Gänsehaut…

      „Anna war ja ein paar Jahre in den USA, und als sie zurückkam, hat sie zunächst in Landau gewohnt, aber sie wollte unbedingt wieder zurück nach Völkersweiler, um näher bei uns zu sein. Unsere Familie hat das Grundstück da oben schon seit einer Ewigkeit besessen, und als sie mit ihrer Baufirma erfolgreich wurde, hat sie meinem Vater seinen Anteil ausbezahlt und dort ihr Haus gebaut.“

      Ich zögere. „Und hat sie keine… Angst vor diesem Eddie?“, frage ich vorsichtig.

      Doch Jakob schüttelt den Kopf. „Er würde ihr nie etwas tun. Ich glaube, dass er trotz allem nie vergessen kann, dass sie sozusagen seine erste Liebe war. Und wohl auch seine einzige…“

      Ich senke den Blick. Wenn die Geschichte nicht so grausam wäre, würde ich diesen Teil fast romantisch finden.

      „Manchmal schaut sie immer noch bei ihm vorbei und guckt, ob er seine Stromrechnungen bezahlt hat“, sagt Jakob.

      „Oh wow“, murmele ich. Ich bewundere Anna dafür, was sie tut. Mich würden keine zehn Pferde in das halb zerfallene Haus bringen…

      „Ja, ich schätze, als Bürgermeisterin muss sie so sozial sein… Aber für mich wäre es auch nichts.“ Er zwinkert mir zu, worauf ich mit einem Lächeln antworte. Der Schreck von vorhin ist fast wieder vergessen. Aber nur fast. Ich bekomme das Bild dieser Augen einfach nicht aus dem Kopf und befürchte, dass ich heute Nacht davon träumen werde…

      Ich lasse meinen Blick über den Garten schweifen: Bunte Blumenbeete, kleine Bäume und sogar einen kleinen Teich gibt es neben dem Pavillon, der mir schon am ersten Abend aufgefallen ist.

      „Euer Garten ist wirklich wunderschön“, sage ich.

      „Aber auch nur, weil sich der beste Rasenmäher der Welt darum kümmert.“

      Ich blicke ihn an und sehe das Grinsen in seinem Gesicht.

      „Du?“, frage ich und muss lachen, als er stolz nickt.

      „Hast du die Fische schon gesehen?“, fragt er einen Moment später.

      Ich schüttele den Kopf.

      „Na dann, komm mal mit“, meint Jakob und erhebt sich. Ich stehe ebenfalls auf und folge ihm zu dem kleinen Teich, an dessen Oberfläche sogar ein paar Seerosen schwimmen. Im Wasser kann ich einige Fische erkennen: Einer ist ganz orange, zwei andere weiß und orange gefleckt, ein vierter schwarz und orange. Ein weiterer Fisch, ganz weiß, taucht unter den Seerosen auf.

      „Sind das Koi-Karpfen?“, frage ich, woraufhin Jakob nickt. Wir gehen beide in die Hocke, um die Fische besser betrachten zu können.

      „Die sind wirklich schön“, sage ich, während ich die Fische beobachte, wie sie sich schnell und wendig durchs Wasser bewegen.

      „Der weiße heißt übrigens Daenerys.“

      Ich muss lachen.

      „War Johannas Idee“, erklärt er, „Der orangefarbene heißt Goldie – auch Johannas Idee.“

      „Sehr kreativ“, erwidere ich, während ich mein Lachen unterdrücke.

      „Nicht wahr?“, entgegnet er, „Genauso wie die Namen der Zwillinge“, er deutet auf die beiden weiß-orange gemusterten Fische, „Mario und Luigi.“

      Nun pruste ich vor Lachen. „Sind das überhaupt Männchen?“

      „Wer weiß, wer weiß…“, entgegnet Jakob, „Frag Lukas, der hat die Namen ausgesucht…“

      „Und durftest du auch einen Namen aussuchen?“, frage ich.

      „Oh ja, für mich blieb der orange-schwarze übrig“, erwidert er.

      „Und wie hast du ihn genannt?“

      „Nemo“, entgegnet er lächelnd.

      „Oh, das ist süß!“, erwidere ich und lächele ihn ebenfalls an.

      Einen Moment lang sieht keiner von uns weg, dann ertönt plötzlich das Geräusch der Terrassentür, die zufällt. Wir schauen beide zurück und sehen Eva, die von der Arbeit zurück ist.

      „Jakob, fährst du dann zu Opa?“, ruft sie.

      „Ja, mach ich“, erwidert Jakob und erhebt sich.

      „Kann ich mitkommen?“, frage ich.

      „Bist… du dir sicher?“, entgegnet er zögernd, „Er ist nicht immer gut drauf, und seine Demenz kann manchmal echt anstrengend sein…“

      Ich will aber noch mehr Zeit mit dir verbringen!, denke ich, aber sage stattdessen: „Ich würde gerne mitkommen, wenn ich darf.“

      „Okay“, erwidert er lächelnd.

      Wir gehen zurück ins Haus, wo Eva bereits eine Kühltasche mit Lebensmitteln vorbereitet hat.

      „Wie war euer Tag? Irgendwas Neues?“, fragt sie an mich gewandt, während sie ihre Einkäufe aus einer anderen Kühltasche in den Kühlschrank legt.

      „Nein, leider nicht“, erwidere ich und habe fast ein schlechtes Gewissen, weil ich keinerlei Fortschritte mache. Sie nickt abwesend und sagt dann an Jakob gewandt: „Das ist sein Abendessen für heute, und ich habe noch Kuchen für morgen gekauft. Jakob nickt und nimmt die Tasche, bevor wir wieder nach draußen gehen und in sein Auto steigen.

      „Funktioniert die Pumpe eigentlich?“, frage ich, als wir kurz darauf erneut an dem Brunnen auf dem Dorfplatz vorbeifahren.

      „Was?“

      „Die Pumpe am Brunnen, passiert etwas, wenn man sie betätigt?“

      „Nein“, lacht er, „Das ist nur Deko. Aber wir haben dort früher, als Kinder, die ein oder andere Wasserschlacht veranstaltet.“

      Ich lache.

      „Das Wasser ist aber eiskalt, also nicht unbedingt die beste Idee. Aber Spaß hat es trotzdem gemacht…“

      Ich lächele und frage mich im selben Moment,