Laura Herges

Wer ist Clara?


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man nicht immer einer Meinung ist“, winke ich ab.

      „Ich wünschte nur, sie würden sich nicht ständig beschweren, wenn sie bei irgendwas helfen müssen. Unsere Eltern haben es schwer genug mit drei Kindern und dem Haus…“

      „Kann ich mir vorstellen“, erwidere ich leise und blicke zu Luchsi, die fröhlich vor uns her trottet. „Wie lange habt ihr Luchsi eigentlich schon?“, frage ich, um ihn ein wenig abzulenken.

      „Seit sieben Jahren“, entgegnet er, „Wir haben sie damals als Welpen bekommen und sie ist bei uns aufgewachsen.“

      „Und wie seid ihr auf den Namen gekommen?“

      Er lacht. „Das haben uns schon viele Leute gefragt. Ist ja auch nicht der typische Hundename… Irgendwie hat Johanna damals vorgeschlagen, dass wir sie ‚Luchs‘ nennen sollten. Keine Ahnung wieso, vielleicht waren das ihre Lieblingstiere. Jedenfalls dachten wir da noch, sie wäre ein Rüde. Kurz darauf haben wir dann aber festgestellt, dass sie doch ein Mädchen ist, und deshalb heißt sie jetzt Luchsi.“

      Ich muss lachen. „Das ist echt süß!“

      „Findest du?“, erwidert er ebenfalls lachend, „Ist zumindest besser als ‚Hasso‘ oder ‚Laika‘ oder so was…“

      Wir sind mittlerweile am Waldrand angekommen und ich zögere für einen Moment.

      „Ist das… okay für dich?“, fragt Jakob, der es sofort bemerkt.

      Doch ich nicke, fasse mir ein Herz und laufe weiter, während ich versuche, mich an irgendetwas zu erinnern. Doch da ist einfach nichts außer der gewohnten Leere, wenn ich versuche daran zu denken, was passiert ist, bevor Lukas mich hier gefunden hat.

      Ich blicke mich um, aber ich sehe keinerlei Hinweise auf irgendwas.

      „Vielleicht wenn wir uns ein bisschen vom Weg entfernen?“, meint Jakob.

      Ich schaue ihn zögernd an.

      „Du musst dir keine Sorgen machen, ich kenne die Gegend wie meine Westentasche.“

      „Okay, wenn du das sagst“, erwidere ich.

      „Vertrau mir“, meint er lächelnd und läuft mit Luchsi die Böschung hinauf in den Wald.

      Ich folge ihm zögernd. Das Gelände ist steiler als ich gedacht hätte und ich halte mich an einem dünnen Baumstamm fest, um nicht abzurutschen und mich vor Jakob zu blamieren. Er streckt mir seine Hand entgegen und ich ergreife sie dankbar.

      „Okay, lass uns zuerst auf dieser Seite suchen und dann auf der anderen“, meint er.

      Gemeinsam mit Luchsi suchen wir gefühlt jeden Quadratzentimeter ab, zuerst auf der linken, und dann auf der rechten Seite des Wegs, und gehen teilweise so tief in den Wald hinein, dass ich ohne Jakob überhaupt keine Orientierung mehr hätte. Doch außer für Luchsi, die zwischendurch immer wieder ihr Revier markiert, ohne Erfolg.

      „Wir müssen leider zurück, wir essen bald“, meint Jakob, als wir am Ende des Wegs, der bis zu einer Straße führt, angekommen sind.

      „Wie kann es sein, dass wir hier nichts finden? Das ist doch verrückt!“, stoße ich frustriert hervor.

      „Na ja…“ Jakob zögert. „Wenn dich jemand niedergeschlagen hat, wieso sollte dieser Jemand dann nicht auch deine Sachen mitgenommen haben?“

      „Du meinst, ich bin überfallen worden?“ Zum zweiten Mal an diesem Tag läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter.

      „Möglich wäre es“, meint er, „Hoffentlich wissen wir es bald…“

      „Ja, hoffentlich“, erwidere ich.

      Wir laufen zurück und schweigen. Der Gedanke scheint uns beide so zu bedrücken, dass wir keinen Ton mehr herausbekommen.

      Ganz anders ist es, als er die Tür aufschließt und wir das Haus wieder betreten. Bereits aus dem Flur schallen uns Lachen und Gesprächsfetzen entgegen. Luchsi kommt mit uns in die Küche, wo bereits Lukas, Johanna, Eva, Paul (ich habe Jakob bei unserem Spaziergang noch einmal nach den Namen seiner Eltern gefragt) und eine weitere Frau am Küchentisch sitzen.

      Luchsi rennt aufgeregt zu der Frau und springt an ihrem Stuhl hoch.

      „Hallo, Luchsi!“, sagt diese lachend und streichelt ihr über den Kopf. Dann steht sie auf, geht zu Jakob und begrüßt ihn mit einer Umarmung und irgendwas auf Pfälzisch.

      „Wie geht’s dir, alles gut?“, fragt sie.

      „Klar, und bei dir? Ich hab den Bericht in der Zeitung heute gelesen“, entgegnet er lächelnd.

      „Ach, der mit diesem schrecklichen Foto…“, winkt sie ab.

      „Quatsch, überhaupt nicht!“, erwidert Jakob.

      „Wenn du das sagst…“, meint sie lächelnd und wendet sich dann mir zu.

      „Und du musst Clara sein“, sagt sie in lupenreinem Hochdeutsch.

      „Genau“, erwidere ich und schüttele ihre Hand, die sie mir hinstreckt.

      „Ich bin Anna. Schön, dich kennenzulernen.“ Das strahlende Lächeln, mit dem sie mir begegnet, erklärt, warum jeder sie zu mögen scheint: Diese Frau hat eine unglaubliche Ausstrahlung.

      „Ebenso“, erwidere ich und setze mich auf den Platz neben ihr, während Jakob auf meiner anderen Seite Platz nimmt.

      „Eva hat mir schon alles erzählt, das muss schrecklich für dich sein, keine Erinnerungen mehr zu haben.“

      „Ja, es ist nicht besonders angenehm“, erwidere ich, „Aber zum Glück haben mich hier alle so nett aufgenommen…“

      „Das stimmt, unsere Familie hält immer zusammen“, entgegnet Anna. „Und falls du mal bei irgendwas Hilfe brauchst, kannst du auch immer gerne zu mir kommen, und das sage ich jetzt nicht nur so dahin!“

      „Danke, das ist wirklich nett“, erwidere ich.

      Während Eva das Essen auf den Tisch stellt – es gibt Schnitzel mit Bratkartoffeln – betrachte ich Anna verstohlen aus dem Augenwinkel. Sie hat braunes Haar mit blonden Strähnen und trägt schlichte, aber hochwertig wirkende Kleidung. Was sie wohl beruflich macht?

      „Anna hat übrigens das Haus hier gebaut“, sagt Jakob, als habe er meine Gedanken gehört.

      Überrascht blicke ich sie an. „Echt?“

      „M-hm, ich bin Bauunternehmerin“, erwidert sie lächelnd.

      „Und auch noch Bürgermeisterin“, sage ich anerkennend.

      „Ja, aber das mache ich ehrenamtlich.“ Mit jedem Satz beeindruckt sie mich mehr.

      „Und wie bist du auf den Job gekommen?“, frage ich.

      „Bauunternehmerin oder Bürgermeisterin?“, erwidert sie lächelnd.

      „Beides!“

      „Also, ich habe Bauingenieurswesen in München studiert und habe dann eine Zeitlang in den USA gearbeitet, aber dann haben mir meine Familie und meine Heimat so sehr gefehlt, dass ich wieder zurückgekommen bin. Und dann habe ich mich selbstständig gemacht.“

      „Das ist echt mutig“, sage ich, „Du warst da bestimmt noch jung.“

      „Dreißig“, erwidert sie, „Und ja, am Anfang hatte ich schon ein bisschen zu kämpfen, aber dann kamen nach und nach immer mehr Aufträge, und heute läuft es ziemlich gut.“ Sie strahlt übers ganze Gesicht, und es ist offensichtlich, wie stolz sie auf das Unternehmen ist, das sie selbst aufgebaut hat.

      „Und vor zwei Jahren wurde dann der Bürgermeister-Posten frei. Ehrlich gesagt war es Evas Idee, dass ich mich bewerben sollte – und das habe ich dann getan und die Stelle bekommen.“

      „Ich frage mich immer noch, wie du das alles unter einen Hut bekommst“, sagt Paul in diesem Moment. Ich bin überrascht: Das war das