Laura Herges

Wer ist Clara?


Скачать книгу

zu unserem Opa und meine Eltern müssen sie überall rumkutschieren, dabei haben sie ja schon so viel Stress wegen dem Haus…“ Die Worte scheinen nun geradezu aus ihm herauszusprudeln. Ich bin überrascht über seine plötzliche Offenheit. „Und das will ich nicht. Ich will einfach, dass es allen wieder gut geht und ich… ich will nicht egoistisch sein.“

      Wir schweigen für einen Moment und er senkt beschämt den Blick. Das war so nicht geplant, da bin ich mir sicher.

      „Du fühlst dich deiner Familie verpflichtet“, sage ich einen Moment später.

      „Nein“, erwidert er schnell, „Nein, so war das gar nicht gemeint. Ist ja nicht so, als ob mir jemand sagen würde, dass ich irgendwas machen muss… Es ist nur, dass…“ Er seufzt. „Ach, ich weiß auch nicht.“

      „Ist schon gut, Jakob“, sage ich, „Du musst mir nichts erklären, ich verstehe dich.“

      Er blickt mich überrascht an.

      „Du solltest nicht so streng mit dir selbst sein“, sage ich, und er lächelt. Mein Herz macht einen Satz.

      Schnell sehe ich weg und widme mich lieber meinem späten Frühstück. Was mache ich da nur?

      „Liest du das Buch eigentlich für die Uni?“, frage ich, ohne ihn anzusehen, um das Thema zu wechseln.

      „Nein, das lese ich nur so“, erwidert er, „Ich muss jetzt in den Ferien zwei Hausarbeiten schreiben, aber für die habe ich zum Glück kein festes Abgabedatum.“

      „Worüber musst du die schreiben?“ Ich wage immer noch nicht, ihn anzusehen. Was ist denn plötzlich nur los mit mir?

      „Eine über den sozialen Aufstieg in einem Buch, das wir gelesen haben, und die andere über meinen Dialekt.“

      Ich blicke ihn überrascht an.

      „Ich habe eine Umfrage gemacht und will dadurch herausfinden, wie der Dialekt im Vergleich zur Standardsprache beurteilt wird.“

      „Und, was hast du bisher herausgefunden?“, frage ich interessiert.

      „Dass Pfälzisch nicht gerade den besten Ruf hat…“, meint er.

      „Inwiefern?“

      „Na ja, die meisten Leute finden, dass es sich anhört wie hinterwäldlerische Bauernsprache.“

      Ich muss lachen. „Wie gemein!“

      „Einer hat sogar geschrieben ‚Es klingt wie eine Vergewaltigung der deutschen Sprache.‘“

      Ich pruste los und auch Jakob stimmt in mein Lachen mit ein. Es dauert einen Moment, bis ich mich wieder beruhigt habe, und mir schnaufend die Lachtränen aus den Augen wische.

      „Freut mich ja sehr, dass das schlechte Gerede über meine Muttersprache dich so erheitert“, sagt Jakob mit affektiertem Blick, was mich nur noch mehr zum Lachen bringt, ebenso wie ihn.

      „Ich finde euren Dialekt süß“, sage ich, und füge noch ein „Ehrlich!“ hinzu, als ich seinen skeptischen Blick sehe.

      „Da bist du mit die Einzige“, meint er, „Wenn ich in Heidelberg Bus fahre und meine Mum mich anruft, und ich Pfälzisch mit ihr rede, werde ich immer angeschaut, als ob die Leute nicht glauben könnten, dass ich wirklich hier studiere.“ Er muss lachen. „Wie hat es dieser Bauerntrampel nur an die Uni geschafft?

      „Das ist so dumm!“, sage ich kopfschüttelnd, „Als ob das irgendwas über dich aussagen würde!“

      „Ich weiß“, erwidert er, „Aber die Vorurteile sind leider da, und werden sich auch nicht ändern. Alle Dialekte sterben früher oder später aus: In der Stadt reden mittlerweile so gut wie alle Hochdeutsch, und auch hier ist es so, dass mein Opa Wörter benutzt, die meine Eltern nicht benutzen, und meine Eltern benutzen Wörter, die ich nicht benutze. Und so geht nach und nach alles verloren…“

      „Das ist echt schade“, sage ich leise.

      Für eine Weile esse ich und keiner von uns sagt ein Wort. Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, dass er auf seinem Handy herumtippt. Ich würde ihn gerne so viele Dinge fragen, aber ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, und die Tatsache, dass ich ihm nichts über mich erzählen kann, macht das Ganze noch unangenehmer. Ich will nicht so neugierig wirken, auch wenn ich es in Wahrheit bin.

      „Hast du irgendwelche Lieblingsfilme?“, höre ich mich plötzlich fragen.

      Er blickt überrascht auf.

      „Ich frage nur, weil ich… ja im Moment nicht viel zu tun habe“, sage ich schulterzuckend und komme mir dabei ziemlich dämlich vor.

      „Also, ich glaube, mein Lieblingsfilm ist Inception. Hast du den mal gesehen?“, fragt er.

      „Ich bin mir nicht sicher“, erwidere ich, „Worum geht es da?“

      „Es geht um Leute, die die Träume von anderen manipulieren können.“

      „Klingt unheimlich“, erwidere ich.

      „Ja, der Gedanke ist ziemlich gruselig“, sagt er, „Aber der Film ist mega cool: Da ist diese Gruppe von Leuten, die versucht, einen Gedanken in die Psyche eines millionenschweren Erben einzupflanzen, sodass er die Firma seines Vaters verkauft. Also reisen sie in seine Träume und kommen dabei immer eine Ebene tiefer in sein Unterbewusstsein. Das ist total gut gemacht: Die erste Ebene ist eine Stadt, die zweite ein Hotel und die dritte eine Alpinlandschaft, und dabei werden sie die ganze Zeit von solchen Agenten verfolgt, die sein Unterbewusstsein repräsentieren. Es ist cooler, wenn man es im Film sieht.“ Seine dunklen Augen leuchten, als er mir davon erzählt. „Ich kann ihn dir ja mal zeigen, wenn du magst.“

      „Ja, gern“, erwidere ich.

      Während ich meinen Toast aufesse, erzählt Jakob mir noch von The Departed (habe ich ebenfalls nicht gesehen), Ocean’s Eleven (da klingelt was) und den Avengers-Filmen (von denen ich vielleicht einen oder zwei gesehen habe, aber mehr nicht).

      „Mir ist gerade etwas eingefallen, wie wir deinem Allgemeinwissen etwas auf die Sprünge helfen können“, meint er plötzlich, nachdem ich mein Geschirr zurück in die Küche gebracht, und mich danach wieder zu ihm gesetzt habe.

      Er steht auf, geht ins Haus und kehrt einen Moment später mit einem Handy zurück.

      „Das ist mein altes Handy, du kannst es haben“, sagt er, doch ich verstehe nicht ganz, wie mir ein Handy bei meinem Gedächtnis weiterhelfen soll.

      „Der Akku hält nicht mehr lange, vielleicht noch zwei oder drei Stunden, deshalb habe ich mir auch ein neues gekauft“, meint er, „Die PIN ist 1307 – mein Geburtstag.“ Er tippt auf dem Bildschirm herum, dann reicht er mir das Handy. ‚Das Quiz‘ steht auf dem Monitor.

      „Das ist eine App, auf der du gegen andere Leute spielen kannst. Warte kurz.“ Er nimmt sein neues Handy und tippt ein paarmal auf den Bildschirm. Plötzlich erscheint ein Pop-up auf meinem Bildschirm: ‚Jakob137 fordert dich zu einem Spiel auf‘.

      „Du musst auf ‚Annehmen‘ klicken“, sagt er, was ich auch tue.

      Nun kann ich zwischen verschiedenen Kategorien wählen und entscheide mich für ‚Kunst‘. ‚Welcher Künstler zählt zum Impressionismus?‘ lautet die Frage. Ich weiß, dass ‚Claude Monet‘ die richtige Antwort ist. Die Antworten zu den nächsten Fragen kenne ich zwar nicht, aber ich rate zumindest einmal richtig.

      „So, und jetzt bin ich dran“, meint Jakob, nachdem ich zu Ende gespielt habe. Er bekommt nun die gleichen Fragen wie ich gestellt und darf in der nächsten Runde die Kategorie der Fragen wählen. Die Idee ist wirklich nicht schlecht, und dazu macht es noch Spaß, sich ein bisschen mit ihm zu duellieren.

      Wir spielen einige Runden und necken uns gegenseitig, wenn mal einer eine Frage falsch beantwortet, die der andere richtig hat. Wir sind solange beschäftigt, bis plötzlich Luchsi angetrabt kommt und zu uns auf die Couch springt. Ich zucke zusammen und weiche reflexartig zurück.