Laura Herges

Wer ist Clara?


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      „Wir waren auch bei der Polizei, aber bisher hat keiner eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Aber sie geben uns Bescheid, wenn sich daran was ändert“, sagt Jakob.

      Mir fällt auf, dass er mit seiner Mutter hochdeutsch redet, um Rücksicht auf mich zu nehmen.

      „Hey Mum, gibt’s noch…?“

      Wir alle drehen uns um und sehen Johanna, die jetzt in der Tür steht.

      „Sind das etwa meine Sachen?“, fragt sie, als sie mich sieht.

      „Ähm…“ Ich weiß nicht, was ich sagen soll; sie war gestern schon so wütend auf mich…

      „Was hätte sie denn sonst anziehen sollen?“, erwidert Jakob an meiner Stelle, „Ich habe ihr die Sachen gegeben. Dachte, das stört dich nicht, solange nichts in schwarz oder lila dabei ist?“

      „Soll das heißen, du warst an meinem Schrank?!“

      Sowohl Jakob als auch Johanna sind wieder zurück in ihr Pfälzisch verfallen. Unbehaglich blicke ich zwischen den beiden hin und her.

      „Nein, die Sachen sind mir zugeflogen. Also echt Johanna, was ist dein Problem?“

      „Dass du nicht einfach meine Sachen durchwühlen sollst! Du hättest mich fragen sollen und ich hätte dir was gegeben!“

      „Du warst aber zufällig gerade nicht da, und wir mussten zum Arzt!“

      „Hey, beruhigt euch!“, ihre Mutter dazwischen.

      „Frag sie das nächste Mal“, sagt sie dann an Jakob gewandt, „Und du“, sie schaut zu Johanna, „macht nicht immer so ein Drama aus allem.“

      Johanna ringt empört nach Luft.

      „Abgesehen davon muss heute noch einer von euch nach Opa sehen. Das gilt auch für dich Lukas!“

      Lukas, der am Küchentisch auf seinem Handy herumgetippt hat, blickt genervt auf.

      „Ich war erst letzte Woche!“, sagt er.

      „Und ich war erst gestern“, erwidert seine Mutter.

      Lukas seufzt auf. Johanna setzt sich zu ihm, während Jakob neben mir stehen bleibt und die Mutter der drei sich wieder dem Briefkasteninhalt widmet.

      „Also ich war vorgestern mit Vanessa dort“, sagt Johanna.

      Inzwischen scheint mich niemand mehr zu beachten, sodass alle wieder ausnahmslos Pfälzisch reden. Mir egal, ich verstehe es mittlerweile ganz gut – zumindest viel besser als gestern.

      „Du sollst keine Freunde mit zu Opa nehmen“, sagt Jakob.

      Ich blicke zurück zu seiner Mutter, damit ich mich nicht ganz so fehl am Platz fühle.

      „Wieso, er kennt sie doch!“, erwidert Johanna.

      Mittlerweile hat ihre Mutter einen Brief geöffnet.

      „Er ist dement, er tut so, als würde er jeden kennen“, meint Jakob.

      Sie überfliegt den Brief und ich kann sehen, wie sich ihre Finger um das Papier zusammenkrampfen.

      „Vanessa gehört sowieso fast zur Familie!“

      Plötzlich sieht sie mich an. Sie hat gemerkt, wie ich sie beobachtet habe. Ich fühle mich ertappt und senke schnell den Blick

      „Leute!“, fährt Lukas dazwischen und seufzt. „Wann warst du das letzte Mal?“, fragt er an Jakob gewandt.

      „Sonntag“, sagt dieser.

      Ich höre das Rascheln von Papier. Die Mutter der drei stapelt die Briefe und Werbeprospekte und wirft sie in den Müll. Der Brief von eben muss auch dabei sein.

      „Dann bin wohl doch ich dran. Super.“ Mit diesen Worten erhebt sich Lukas und stapft aus der Küche.

      „Ich bin dann auch mal wieder oben“, sagt Johanna und verschwindet ebenfalls.

      „Jemand müsste noch mit Luchsi rausgehen“, sagt ihre Mutter.

      „Okay, ich mache das“, erwidert Jakob unnötigerweise. Da wir als einzige noch da sind, ist es offensichtlich, dass es eher eine Aufforderung als eine Frage war.

      „Ich komme mit, wenn das okay ist“, sage ich.

      Jakob sieht mich an, als ob ihm eben erst wieder bewusst geworden ist, dass ich ja auch noch da bin.

      „Also, nur wenn du willst.“

      „Doch, klar“, meint er.

      „Gut, aber bleibt nicht zu lange weg. Anna kommt heute Abend zum Essen“, sagt seine Mutter und wendet sich wieder den Kartoffeln zu. Anna, Jakobs Tante, die Bürgermeisterin. Immerhin funktioniert mein Kurzzeitgedächtnis noch.

      Jakob verlässt die Küche und ich laufe ihm hinterher. Was habe ich da eben nur gesehen?

      Ich würde gerne den Brief aus dem Müll holen und nachschauen, was drin steht, aber dafür müsste ich schon ziemlich unhöflich sein. Und außerdem hat sie mir gerade erlaubt, zu bleiben bis ich mein Gedächtnis zurückhabe. Da kann ich nicht riskieren, mit so einer Aktion alles zu zerstören.

      „Luchsi!“, ruft Jakob, als wir im Flur stehen.

      Sofort kommt der Hund angerannt und springt freudig an ihm hoch.

      „Ja, das ist mein Mädchen!“, sagt er lächelnd und streichelt ihn.

      Nun wendet Luchsi sich mir zu und ich zucke zurück.

      „Nein, schön bei mir bleiben!“, sagt Jakob und zieht die Hundedame von mir weg. Er geht in die Hocke und streichelt ihr über den Kopf.

      „Du musst keine Angst vor ihr haben, sie tut nichts“, sagt er dabei an mich gewandt.

      „Sagen das nicht alle Hundebesitzer?“, erwidere ich zögernd.

      „Da hast du wahrscheinlich Recht“, lacht er und blickt mich jetzt zum ersten Mal wieder an. Seine Augen sind ganz dunkel in diesem Licht, und sie glänzen wie polierte Onyxe.

      „Komm, ich zeig’s dir!“

      Zögernd gehe ich ebenfalls in die Hocke.

      „Und jetzt streichle ihr mal über den Kopf.“ Jakob nimmt seine Hand weg und ich hebe zögernd meine Finger.

      Als ich kurz davor bin, den Hundekopf zu berühren, schaue ich noch einmal zu ihm. Er nickt mir ermutigend zu. Langsam lasse ich meine Hand sinken und spüre sogleich Luchsis Fell unter meinen Fingern. Es ist weicher als ich gedacht hätte. Vorsichtig bewege ich meine Finger zurück und wiederhole die Bewegung noch ein paarmal. Die Hundedame hat ihre Augen geschlossen und scheint meine Streicheleinheiten richtig zu genießen. Überrascht lächele ich Jakob zu.

      „Siehst du, sie mag dich“, meint er, erwidert mein Lächeln und steht wieder auf. Er nimmt eine Hundeleine von der Garderobe, legt sie Luchsi an und wir gehen zusammen nach draußen. Es ist immer noch perfektes Wetter und Luchsis Gegenwart hält uns zumindest nicht davon ab, uns alleine zu unterhalten. Einen Moment lang überlege ich, ob ich Jakob von dem Brief, der seine Mutter eben so schockiert zu haben scheint, erzählen sollte, oder von dem Menschen, den ich gestern im Garten gesehen habe. Doch dann wird mir wieder bewusst, dass ich ihn eigentlich gar nicht richtig kenne, und nur weil er nett zu mir war, bedeutet das nicht, dass wir Freunde sind.

      „Wir können ja dorthin gehen, wo Lukas dich gestern gefunden hat und schauen, ob wir dein Handy oder deinen Geldbeutel finden“, meint er in diesem Moment.

      „Das ist eine super Idee!“, erwidere ich. Daran hatte ich schon gar nicht mehr gedacht.

      Wir laufen denselben Weg zurück, den ich gestern mit Lukas gekommen bin und es ist komisch, nun alles im Tageslicht zu sehen. Zudem wird mir jetzt erst so richtig bewusst, wie hügelig das Dorf ist. Die Straße zum Haus der Sommers ist so steil, dass Fahrrad fahren hier der reinste Albtraum sein muss…

      „Tut