Bernd Oei

Joseph Roth - Letzter Donauwalzer


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namenlosen Parfüm.“58

      In dieser Nacht entdeckt er den wahren Kern in sich, der nicht in der Routine eines Stationschefs aufgeht. Vom Augenblick ihrer Begegnung und ohne ein Wort verändert sich sein Leben: er gibt seine alte Existenz auf, lernt russisch, verlässt seine Frau und Kinder, zieht in den Krieg, schlägt sich zu ihrem Landgut durch, wird ihr Geliebter und verschwindet doch ohne Gegenwehr über Nacht, als ihr schwer verwundeter Gatte überraschend aus dem Kriegslazarett auftaucht. „Man hat nie mehr etwas von ihm gehört.“

      Wie in Stefan Zweigs Novelle Phantastische Nacht geht es um einen Mann, der seine wahren Gefühle in sich abgetötet hat, um gemächlich in den Tag hinein zu leben. Er stößt auf ein Geheimnis, das sich Liebenden selber sind und das durch die Verkettung mehrere Zufälle Macht über ihn gewinnt, so dass sie eine Rückkehr zur gewohnten Existenzform vereiteln. Wiederholt bei Roth ist es der slawische Typ Frau, der von animalischer Anziehungskraft ist. Eros mit seinem alles oder nichts-Prinzip vermag auf Dauer Rationalität nicht standzuhalten. Die mythische Begegnung (strömender Regen, entgleisender Zug, das Stufensteigen „in trockene, lichtvolle Wärme“) impliziert neben der physischen Handlung eine übertragene: nicht nur ein Zug, auch sein Leben ist entgleist. Aus der Bahn geworfen, sieht sich der biedere Mann zu einer neuen Lebensform gezwungen. Nichts mehr kann so sein, wie es vor der Begegnung war.

      Der Erste Weltkrieg wirkt nicht als Gefahr, sondern als Chance für eine neue Identität. Roth erinnert daran, wie viele junge Menschen, darunter sein Freund Ernst Toller, begeistert und freiwillig in den Krieg zogen. Er bietet Fallmerayer die Möglichkeit, seiner Familie und damit dem alten Trott zu entfliehen. An der russischen Front ringt er um die Klärung seiner Gefühle. Der Schwerpunkt liegt jeweils auf dem Bruch mit der in Routine erstarrten Alltagswelt durch die vehemente Sehnsucht nach einem leidenschaftlichen Gefühl voller Düfte und Farben, das ihnen in der grauen Welt und dem eintönigen Geruch verloren gegangen ist. Fallmerayer unterliegt der Faszination der aristokratischen Welt wie in Zweigs Erzählung der Baron dem Reiz plebejischer Vergnügungen. Schlüsselbegriff ist „das merkwürdige Schicksal“, das über den persönlichen Lebensplan in Kleist´scher Vollendung triumphiert.

      Im übergeordneten Kontext fällt der Brüche mit der traditionellen Welt mit traumatisierten Kriegsheimkehrern, politischem Machtvakuum und sich bildender Diktatur zusammen. Zehn Jahre liegen zwischen den beiden Erzählungen, der Resignation nach dem Untergang des Habsburger Reiches und dem Anspruch auf die totale Macht in einem großdeutschen Reich. Sie zeitigt eine Gesellschaft der Gestürzten und Orientierungslosen, eine Generation der sinnsuchenden Verlierer.

      Nomen est omen. Fallmerayer trägt den Namen bereits in sich; er muss fallen, denn er verkörpert einen Zeitgeist der Auflösung und der Orientierungslosigkeit, die auf eine festgelegte Ordnung folgt. Die alte Welt implodiert; auf den lauten Knall folgt eine Epoche des leisen Verschwindens.

      2. 2. 2. Symbolismus

      Die Geschichte ist trotz der Banalität ihrer Handlung: Mann verlässt Familie, wird Geliebter einer verheirateten Frau und räumt seinen Platz klaglos, als der Gatte heimkehrt, mehr als ein Sündenfall oder eine Liebesgeschichte. Schon der Name der Gräfin Walewska verweist auf eine historische Situation; Maria Walewska war die sechzehnjährig mit einem Greis zwangsverheiratete Tochter eines polnischen Grafen, die nach einem Ball in Warschau die mit zwanzig Jahren die Geliebte Napoleons wurde und einen Sohn mit ihm besaß. Der Name war seiner Generation vertraut und daher nicht absichtslos gewählt. Da die leidenschaftliche Beziehung abrupt endete, darf sie als prophetischer Hinweis gedeutet werden. Der Vorname Fallmerayer ist gleichfalls prägnant: Adam.

      Die Konstellation ist evident um Wahrung von Menschlichkeit bemüht; das Opfer des Stationschefs ist groß, doch er nimmt es klaglos hin, wie ein Spieler, der seinen Einsatz nicht bereut. Auch Roth bricht in ein neues Land auf, eine neue Existenz: Frankreich und das Los eines Exilautoren.

      „Obwohl die Sonne noch nicht untergegangen war, dämmerte es bereits, vom Regen kam es.“ Neben Zeit und Ort sind auch Naturphänomene symbolisch eingebettet. Bei allen wesentlichen Ereignissen, dem Zusammentreffen und dem Wiedersehen mit als auch dem Abschied von der Gräfin regnet es. Die Tropfen bzw. Bindfäden übernehmen die Funktion der Nornen, Parzen oder Moiren, nur dass anstelle der Geburt eine zweite, eine gewählte Wiedergeburt tritt und der physische Tod einem spurlosen Verschwinden weicht.

      Zum Dingsymbol wird der Pelz der Gräfin, nicht nur, weil er für die Welt der Fallmerayer unerschwinglich ist, sondern weil er Kultur und Natur vereint. Zudem verhüllt er das Substantielle. Die Entgleisung des Zugs – „die Katastrophe war da“ – verweist auf den Krieg und das Ende einer Ära. Überall Trümmer, Schreie, Verwundete, Tote, ganz wie auf einem Schlachtfeld.

      Das Grauen wird mit Ästhetik verbunden: „Die langen, weißen Hände lagen über dem Pelz, regungslos auch sie, zwei wunderbare Leichen.“59 Physische Katalepsie wird transformiert auf die psychische Starre des Stationschefs, dem erst der Geruch der schönen Frau Leben einflößt. Der Entgleisung des Zuges folgt die des Stationschefs.

      Sowohl Schicksal als auch Duft sehen sich mit dem Adjektiv merkwürdig assoziiert und damit verknüpft. Mit dem Duft verbindet der Mann Exotik und Freiheit, gleichzeitig mit dem Namen seiner Frau Klara Klarheit und Routine. Ebenso versieht Roth Länder und Herzen mit der Eigenschaft verschieden; er denkt nicht national sondern individuell. Zunächst erkennt ihn die Gräfin nicht: der Soldat ist auch nicht mehr der Stationschef, doch dieser vertraut darauf, dass eine solche Begegnung nicht ohne unwiderstehlichen Antrieb bleibt.

      Für das Wesentliche braucht es keine Worte: „Und ohne eine Zustimmung abzuwarten, stürzte er in sein Zimmer, kam mit dem Mantel zurück, legte ihn der Frau um die Schultern, wie er ihr einmal den Pelz umgelegt hatte, damals, an dem unvergeßlichen Abend der Katastrophe, und hierauf den Arm um den Mantel. Und so gingen sie in die Nacht und in den Regen.

      Das Wort Katastrophe taucht häufig auf, als ob zwischen dem Mantel und dem Regen gleichfalls ein Zusammenhang bestünde, unsichtbar, aber mit verehrenden Folgen. Der Aufbruch ins Ungewisse endet magisch mit einem Kuss. Somnambul haben sich zwei Menschen unter unwahrscheinlichen Umständen und entgegen aller Konventionen gefunden. Der Krieg erweist sich als Segen für die beiden, die in einem fast vergessenen Paradies nur für sich leben können, bis die Folgen des Krieges auch die russische Provinz erreichen. „Ein kluger Instinkt sagte den beiden Liebenden, daß in einer Zeit, in der das wahrhaftige Chaos auf der ganzen Erde herrschte, das ewige Meer die einzige Freiheit bedeuten müsse.“60

      2. 3. 1. Entstehung und Inhalt

      Die Novelle wird im September 1935 in der Zeitschrift Les Nouvelles littéraires unter dem Titel Le Triomphe de la Beauté publiziert. Roth, der für die wichtigste antifaschistische Zeitung in Paris schreibt, liefert selbst die Übersetzung seines in Deutsch verfassten Manuskripts von etwa 25 Seiten Länge. Die Erzählung entsteht in Sanary-sur-Mer nahe dem französischen Militärhafen Toulon, etwa 70 km in Marseille entfernt. In Buchform wird sie wie erst posthum bei Kiepenheuer gedruckt. Die Erzählung gehört zur Reihe der Geschichten aus der Habsburger Monarchie und spielt in der Zeit unmittelbar vor und nach dem Ersten Weltkrieg.

      Einige Figuren wie Dr. Skowronnek aus Radetzkymarsch oder der Ungar Laktatos aus Beichte eines Mörders kommen darin vor. Durch die Krankheit seine Frau Frederike (Friedl), die er in einer exklusiven Wiener Privatklinik hat zurücklassen müssen, spielt die Zerrüttung der Seele eine gewichtige Rolle für die Erzählung. Die Protagonistin Gwendolin leidet wie Friedl an hysterischer Neurose. Roth verarbeitet seine Schuldgefühle an ihrer Schizophrenie literarisch.

      Die Novelle, von dem Gespräch zwischen einem Arzt und dem Erzähler gerahmt und in 13 Kapitel gegliedert, handelt von einem sorglos in den Tag hineinlebenden Ingenieur, der sich in eine, wie sich herausstellt, neurotische Frau namens Gwendolin verliebt „Er fand sie tapfer, tollkühn, opfermutig und obendrein sehr gescheit.“ Die Braut stammt aus besseren englischen Adelskreisen, und ihr Markenzeichen sind Lächeln und blendend weiße Zähne. Schon an der Art, wie sie ein Monokel zum Auge führt,