Bernd Oei

Joseph Roth - Letzter Donauwalzer


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Nacht zeigen unmissverständlich auf, warum die charmante, aber morbide Habsburger Monarchie untergehen musste: Sie war zersetzt von Doppelmoral und Scheinheiligkeit, einer Lähmung und Paralyse, die charakteristisch für jede Form von kultureller Agonie ist.

      Roth stilisiert den traditionsbeewussten Chronisten, der retardiv, nostalgisch und restaurierend die Schönheit des Verblassens und den Charme der Dekadenz besingt. Wiener Impressionismus, das sind Sittengemälde durch pointierte Beobachtung, Bonmots und Anekdoten. Das ist Caféhausliteratur, ein wenig Märchen, Rauch und Fantasie, ohne im Klischee zu erstarren. Die Trottas dieser Welt, tragen sie auch andere Namen, stehen wie ausgehöhlt und brüchig vor und an den Gräbern. Das religiöse Fundament der Habsburger Gesellschaft ist mit dem Kaiser, den alle kannten und wertschätzen, erloschen, die Auflösung beschlossene Sache. Auf die Erosion folgt: Nichts.

      Folgerichtig lässt Roth seine Anti-Helden Trotta, Eibenschütz und Taittinger sehenden Auges willentlich untergehen wie das System, aus dem sie stammen und von dem sie sich niemals lösen können. Neben der süßlich - morbiden Dekadenz, die tanzend und singend zugrunde gehen muss, bergen die k .u. k. Romane den unerfüllbaren Wunsch, die versunkene Heimat als heile Idealwelt mittels literarischer Erinnerung zurück zu erlangen, wie der eingangs zitierte Satz dokumentiert: „Es war eine kalte Sonne, aber es war (m)eine Sonne.“

      Neue Sachlichkeit

      Die Werke Roths einer bestimmten Richtung oder Gruppierung der zeitgenössischen Literatur wie dem Existentialismus oder Symbolismus zuzuordnen, fällt schwer. Am ehesten noch verbindet man ihn mit der Richtung Realismus der Neuen Sachlichkeit, und diese Zuordnung mag vor allem für seine frühen Romane auch zutreffend sein. So trägt Flucht ohne Ende nicht nur den Untertitel Ein Bericht, im Vorwort versichert der Autor auch: „Ich habe nichts erfunden, nichts komponiert.“ Fakten, Auswertung und das Objektive an die Stelle subjektiver Empfindung zu setzen, charakterisieren diesen Stil.

      Allerdings auch Schnörkellosigkeit, bewusster Verzicht des Dekorativen und dies kann einem Poeten nur prosaisch anmuten. So distanziert sich Roth 1930 in seinem Essay „Schluß mit der „Neuen Sachlichkeit“ (erstmals publiziert in der Literarischen Welt); unmissverständlich erteilt er dieser kühlen literarischen Richtung eine Absage. Kalt an sich muss nicht literarisch sein, wie Flaubert paradigmatisch exemplifiziert. Auch schließt Beobachtung Sentimentalität nicht aus.

      Roth kritisiert von einem journalistischen Standpunkt aus die Unförmigkeit einer Literatur, die sich auf nackte Tatsachen beschränken will, indem er der Zeugenaussage den (geformten) Bericht gegenüberstellt: „Das Faktum und das Detail sind der Inhalt der Zeugenaussage. Sie sind das Rohmaterial des Berichts. Das Ereignis „wiederzugeben“, vermag erst der geformte, also künstlerische Ausdruck, in dem das Rohmaterial enthalten ist wie Erz im Stahl, wie Quecksilber im Spiegel.“45

      Roth wirft den Autoren der Neuen Sachlichkeit vor, die Erwartung des naiven Lesers zu ignorieren: „Der primitive Leser will entweder ganz in der Wirklichkeit bleiben oder ganz aus ihr fliehen“. Damit rechtfertigt er seine Vorliebe für das subjektiv Authentische des Augenzeugen. Nackte Zahlen lernt man aus dem Geschichtsbuch, Mitgefühl nur aus dem Erleben. Der Journalist weiß um die Problematik der Objektivität, die Arbeit, aus Einzelaussagen einen neutralen Bericht zu formen: „Erst das „Kunstwerk ist echt wie das LebenDer Erzähler ist ein Beobachter und ein Sachverständiger. Sein Werk ist niemals von der Realität gelöst, sondern in Wahrheit (durch das Mittel der Sprache) umgewandelte Realität.“

      Die frühesten Erzählungen bzw. Novellen Roths entstehen unmittelbar vor dem Krieg, Der Vorzugsschüler (November1916 im Wiener Blatt erstmals publiziert) oder danach Barbara (April 1918 im Wiener Blatt). Sie enden jeweils mit dem Tod ihres angepassten Protagonisten, der im Leben dem Glück hinterherläuft und durch eine Lebenslüge sich selbst verleugnet. Auch die dritte Erzählung April. Die Geschichte einer Liebe (1925, Berlin, Dietz Verlag), in der sich ein Dichter um eine mögliche Liebe bringt, finden hier keine Berücksichtigung.

      2. 1. 1. Entstehung, Inhalt

      Der blinde Spiegel, in 19 Kapitel unterteilt, erscheint 1925 in Berlin bei Johann Heinrich Wilhelm Dietz in Berlin, der nach dem Tod des Herausgebers gerade mit der Zeitschrift Vorwärts fusioniert. Der etablierte Verlag publiziert sozialistische Autoren wie Mehring, Marx/Engels, Lassalle und Kautsky. Roth schiebt seine Prosa zwischen journalistische Reiseberichte (sein Broterwerb) ein. Nach Barbara wählt Roth in Fini eine weibliche Hauptfigur zur wehrlosen Protagonistin seiner Auseinandersetzung mit einer bedrohlichen und gewalttätigen Gesellschaft. Sprachlich vollzieht sich das auf der Basis von neoromantischer Prosalyrik, deren Zärtlichkeit des Tonfalls mit trostlose desillusionierendem Inhalt kontrastiert.

      Das Wiener Madl Fini, um 1900 geboren, ist 18 Jahre alt, als ihr Vater traumatisiert aus dem Krieg heimkehrt. Dem schüchternen Mädchen schenkt niemand viel Aufmerksamkeit. Sie arbeitet als Stenotypistin und verliebt sich in den Geiger Ludwig, obschon sie weiß, dass dieser bereits ihre ältere Schwester verführt, zur Abtreibung gezwungen und danach verlassen hat. Auf Dauer vermag sie seinem sexuellen Drängen und seinen „dunkelvioletten Tönen“ nicht zu widerstehen und gleicht einem Mantel, der irgendwann doch von der Garderobe genommen werden muss. Als sie die Schwäche des vermeintlichen Raubtiers im Mann durchschaut, etwa den Geiz einer Petroleumlampe, wendet sie sich von ihm ab, kann aber nach Verlust ihrer Unschuld nicht mehr viel erwarten. Auf den Musiker folgt eine Beziehung zu dem politischen Redner Rabold, die gleichfalls enttäuschend verläuft. Am Ende geht Fini, weil sie in den Himmel will, in die Donau, dem Wiener Pendant zum mythischen Fluss Lethe.

      2. 1. 2. Zwischen Fatalismus und Defätismus

      „Die kleine Fini saß auf einer Bank im Prater und hüllte sich gut in die gute bergende Wärme des Apriltages“46 Der Anfang ist typisch, weil er einen Ort und eine Zeit nennt. Meist beginnen Roths Geschichten im Frühling, die Welt ist zu diesem Zeitpunkt noch in Ordnung und verspricht noch besser zu werden.

      Fini ist nicht nur physisch klein, sondern auch psychisch. So verliert sie sich ängstlich in den Straßen der großen Stadt. Roth beschreibt eine Reihe von Besonderheiten seiner Zeit, die zudem von symbolischer Bedeutung sind wie das Laternenentzünden mit langer Stange, dem auch im selben Jahr Kurt Tucholsky mit einem poesievollen Artikel würdigt.47

      Grundlegend bietet die Erzählung mit dem vorhersehbaren Ende drei Lesevarianten, die sich nicht exkludieren: Fatalismus, Defätismus und Sozialismus. Fatalismus beinhaltet den Glauben an das Wirken einer höheren Macht, meist in göttlicher Form vorgestellt, dem das Individuum ausgeliefert bleibt. Fini vermag sich nicht zu wehren und ist daher zum Opfer bestimmt. Von Anfang an empfindet sie das Morgen und Übermorgen als ein Grauen, als Bedrohung und schwarze Schatten. Sie verkörpert Ohnmacht und Angst; Rettung scheint ihr nur in Begleitung und schützender Umarmung eines Mannes, eines Liebhabers, möglich. Im Unterschied zum Determinismus, der von selbst verschuldeten Ursachen und Wirkungen ausgeht und sich meist auf die Vergangenheit bezieht, wohingegen der Fatalist nur die Zukunft im Blick hat, scheint Fini schuldlos in diese Welt hineingefallen und gleich einem Insekt nicht mehr den Weg aus der Flasche zu finden. Roth liefert keine Hinweise, die auf einen sozialen Determinismus schließen lassen; seine Formulierung lautet „zwischen dem Unglück und seinen schrecklichen Folgen.“

      Defätismus beinhaltet Resignation, die entweder erfahrungsbedingt oder selbstkonditioniert ist. Vor allem Frauen haben um die Jahrhundertwende weniger Selbstbewusstsein als Männer, sehen sich im Patriarchat als unterlegen an und können sich meist nur in ihr Schicksal fügen; dazu zählen Zwangsehe, kein Recht auf Arbeit und moralische Vorverurteilung bei Verlust der Jungfräulichkeit. Soldaten, die im Krieg Skepsis am Sieg äußerten, galten als Defätisten.

      Finis Minderwertigkeit kommt an mehreren Stellen zum Ausdruck, etwa beim Stenographieren „Es war, als hatte man ein verrücktes,