Bernd Oei

Joseph Roth - Letzter Donauwalzer


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der im Detail einen Ausdruck für das Ganze sieht, sondern lebenslang auch ein mitfühlender Moralist und humorvoller Humanist. Ein Anwalt der Menschlichkeit implizit ihrer Verfehlungen, Schwächen und Sünden, diesbezüglich Dostojewski seelenverwandt. Daher kann er auch gleichzeitig ein überzeugter Sozialist, Katholik und Jude sein fern unvereinbarer Ideologien. Auch das ist Zeichen eines Grenzgängers.

      Ganz für eine Seite lässt er sich nicht gewinnen, weder den Marxismus bzw. Kommunismus, noch für die Sozialdemokratie. Er heiligt weder die Festtage noch hält er den Sabbat des Talmud, ist strikter Gegner des Zionismus. Sein Herz schlägt milde gegenüber Andersdenkenden und verträgt sich nicht mit Dogmen. Er ist kein Theoretiker, immer geht es um das Konkrete und das rechte Maß, darin erinnert er an Montaigne. Seine Arbeit legt Zeugnis ab für die „sinnlichste Wahrnehmung, die ein deutschsprachiger Dichter jemals hatte."43

      Die religiöse Gesinnung auf der Basis eigener Erfahrung und Erlebnisse zwingt ihn notorisch zum Kampf gegen erstarrte orthodoxe Konfessionen, die er im Roman Der stumme Prophet" nachvollziehbar illustriert. Wie schon ansatzweise in Die Flucht ohne Ende stellt Roth hier die Verfehlung des Sozialismus und Russland dar und schafft sich dort Feinde. Beide Schriften gelten in ihrer Kritik an der Linken der Abrechnung mit der nationalsozialistischen Ideologie in Das Spinnennetz oder in Rechts und Links.

      Aufgrund seiner Menschenverachtung das kommunistische Regime in Russland an den Pranger. Als Pazifist lehnt er es ab, Menschen für eine Idee zu töten, selbst wenn es die richtige ist und dieses Verbrechen als notwendiges Opfer zu legitimieren. Ob er deshalb nicht die Liquidation des Antichristen gebilligt hätte, ist keinesfalls auszuschließen.

      Alle Entwicklungen aus der Revolution heraus enttäuschen Roth; daher rührt sein Misstrauen sie als Alternative zur gestürzten Monarchie anzunehmen. Der Vormarsch des Stalinismus und Faschismus wird in der Demokratie keineswegs aufgehalten, sondern gefördert. Ohne religiöses Surrogat ist es offenbar unmöglich ist, die Basis für ein gesellschaftliches Miteinander zu schaffen, Vorurteile und ökonomische Interessenskonflikte zu überwinden. Aus Pragmatismus vereint er jüdische und katholische Konfessionen in seiner Mystik. Roths soziale Kritik manifestiert sich besonders in den frühen Romanen Das Spinnennetz, Hotel Savoy, Die Rebellion, die allesamt zeitgenössische Romane der Weimarer Republik sind und deren Schwächen, u. a. den Bürokratismus enthüllen. Er steht immer auf der Seite der Opfer Verlierer und der Entwurzelten (meist Kriegsheimkehrer), wie Hermann Hesse pointiert bemerkt. Schon in seinen ersten Jahren als Autor macht Roth deutlich, dass der Verzicht auf Spiritualität vereinsamt. Andreas Pum in Die Rebellion bleibt ohne religiösen Trost haltlos und gerät aus dem Gleichgewicht, weil sein Vertrauen in Recht und Ordnung naiv anmutet. Am Ende erklärt er zornig Gott den Krieg und will lieber in die Hölle, wo er vermutet, dass es gerechter zugehe. Moralisch integre Charaktere wie er zerstören entweder sich selbst oder werden marginalisiert und schikaniert.

      Ein klares Glaubensbekenntnis, das über den Humanismus (Rousseaus Mitgefühl) hinausreicht, bleibt der Autor schuldig. Er deckt auf, ohne anzuklagen und er verteidigt Werte ohne Plädoyer. Leitmotiv bis Hiob (1930) bleibt der Menschen in der Fremde ohne Halt und ohne Zukunft. Der Theorie von Isaac Berlin nach, der Künstler in Igel mit einer großen Idee und in Fuchs mit viele kleinen Ideen unterscheidet, ist Roth klar ein Igel des Zusammenbruchs.

      Eine tragende Bedeutung nehmen Topografie und Heterotropie in Roths Werk ein. Die in Wien oder Berlin lokalisierten Romane folgen drei Werke, die ihren Schwerpunkt in Russland besitzen. Der Auseinandersetzung mit dem rechten Terror folgt eine Absage an den Linksradikalismus.

      Heinrich Mann und Lion Feuchtwanger gehören zu jenen sozialistisch engagierten Autoren, denen Roth Aufrichtigkeit und Menschlichkeit nicht abspricht. Näher stehen ihn jedoch die Kollegen Werfel, Toller, Weiß oder Schickele, die in ihrer Zeit nicht nur die Mängel diagnostizieren, sondern dem offensichtlichen Werteverlust mit Güte und spiritueller Kraft begegnen.

      Spätwerk (1930-1939)

      In allen literarischen Werken findet seit seiner Reportage Juden auf Wanderschaft, spätestens aber mit Hiob Roths eine religiöse Reflexion statt, welche die politische etwas in den Hintergrund rückt. Weniger die sozialen Nöte, mehr der Verlust von Heimat bewirken Haltlosigkeit und Krisenbewusstsein. Das Schicksal seiner Figuren erlaubt Rückschlüsse auf den Mensch Roth; Leben und Werk bedingen sich in seinem Fall wechselseitig. Am deutlichsten sind die religiösen Zweifel im Roman Hiob; zugleich vollzieht Roth durch die glaubhaft geschilderte Krise seine eigene Hinwendung an die jüdische Mystik. Immer deutlicher kristallisiert sich Sehnsucht nach Erlösung und Gerechtigkeit heraus, die in der irdischen Immanenz nicht fehlt.

      In Hiob und Tarabas entwirft Roth positive Gegenbilder zu den pessimistischen Gesellschaftsanalysen seines Frühwerks. Mendel Singer, insbesondere sein Sohn Menuchim, empfangen den späten Lohn des Gerechten für ein Leben, das Gott länger die Treue hält, als es Gläubigen gewöhnlich gelingt. Auch der raue Soldat Tarabas erfährt am Ende Vergebung und Seelenfrieden. Wenngleich die Melancholie nicht verschwindet, so treten Empörung und Rebellion bzw. Resignation zurück zugunsten einer Sanftmut und Lebensweisheit.

      Der biblische Hiob dient Roth als Vorbild für den rechten Umgang mit Leid und lässt den Erzähler trotz offensichtlicher religiöser Skepsis angesichts des Bösen, das auf der Erde geschieht, am Ende zu der Einsicht gelangen, dass es das Göttliche und Gute gibt und ewig geben wird. Nicht zufällig endet Mendels Leben im Aufzug eines Hochhauses irgendwo zwischen Erde und Himmel.

      Oberst Tarabas vollzieht eine echte Bekehrung vom gewalttätigen Autokraten zum reuigen Sünder und stirbt friedlich als Mönch, der strenge Beamte Eibschütz gewinnt durch späte Liebe verlorene Menschlichkeit zurück.

      Roth verdeutlicht seinen veränderten Standpunkt im Essay Der Antichrist (1934), der eine Schlüsselfunktion besitzt. Moralische Überzeugungen genügen nicht für die härtesten Prüfungen; seine Anklage des Antisemitismus, Migrationsdruck, Assimilationszwang und Duldungspolitik treten in den Hintergrund. Roth sucht liebevoll im Individuum nach Verständnis für das kollektive Scheitern. Geschichte dient als Prüfstein und Anstoß zur Läuterung. Der Antichrist weist humanitären Katastrophen einen klaren biblischen Bezug der Katharsis zu. Roth sucht nach falsch verlaufenen Revolutionen Trost und Hoffnung im religiös irrationalen Bekenntnis zur Monarchie. „Ist das noch Heimat? War ich nicht nur deshalb heimisch in diesem Ort, weil er einem Herrn gehörte, dem ebensoviele unzählige andersartige Örter gehörten, die ich liebte? Kein Zweifel! Die unnatürliche Laune der Weltgeschichte hat auch meine private Freude an dem, was ich Heimat nannte, zerstört. Jetzt sprechen sie ringsum und allerorten vom neuen Vaterland. In ihren Augen bin ich ein sogenannter Vaterlandsloser. Ich bin es immer gewesen. Ach!“ Es gab einmal ein Vaterland, ein echtes, nämlich für die Vaterlandlosen, das einzig mögliche Vaterland. Das war die alte Monarchie. Nun bin ich ein Heimatloser, der die wahre Heimat der ewigen Wanderer verloren hat.“44

      Roth glaubt nicht an Gottes Allmacht, seine Gerechtigkeit und eschatologisches Heil. Er hält es jetzt für eine dienliche Notwendigkeit, an das Gute im Menschen und auch in sich selbst zu glauben. Daran, dass es für alle eine Heimat geben muss, wenn nicht auf der Erde, so doch im Herzen, das er einen blinden Spiegel heißt. Was seinen Spätwerk in zunehmenden Maße anhaftet, ist die Aufarbeitung der Habsburger Monarchie durch Fatalismus und Dekadenz. Untrennbar von Roths religiösem Bekenntnis sehen viele Kritiker sein nostalgisches Heimweh zur untergegangenen Dynastie als Flucht in die Mystik.

      Über sein berühmtestes Werk sagt der Autor: „Ich habe die merkwürdige Familie der Trottas, von denen ich in meinem Buch Radetzkymarsch berichten will, gekannt und geliebt, die Spartaner unter den Österreichern. An ihrem Aufstieg, an ihrem Untergang glaube ich den Willen jener unheimlichen Macht erkennen zu dürfen, die am Schicksal eines Geschlechts dasjenige einer historischen Gewalt deutet."

      Der Roman enthält mystische Momente wie den Duft von Reseda, doch er liefert eine klare Bestandsanalyse und ohne Theorie auch Gründe für den Untergang. Er bewegt sich zwischen Mechanismen einer Chronik und Beteiligung eines Betroffenen. In dem Scheitern Trottas liegt auch Unfähigkeit zu einem neuem Leben außerhalb dem Vielvölkerreich Österreich-Ungarn.