Tonda Knorr

Totenwache


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rhythmisch zu dem Gerede von Lubowski hin und her bewegte. So als ob sie den Satz schon tausend Mal gehört hätte.

      „Aber so ne Forke bricht doch nicht einfach so ab, wenn sie in einem Knochen steckt?“

      „Eigentlich nicht, aber anscheinend doch. Der Zinken war vielleicht nicht so dick, und so ein Knochen kann ganz schön gegen halten. Keine Ahnung, wie das passiert ist. Fakt ist aber, dass das keine Kugel ist.“

      „Ich kotz gleich.“

      Die Männer und Sarah drehten sich ruckartig um.

      „Tim! Mein Gott, wo kommst du denn her?“

      Sarah fiel dem jungen Mann, der plötzlich hinter ihnen stand, um den Hals. Mit Argusaugen beobachtete Frank die Liebkosungen der beiden.

      „Ihr Freund vermute ich?“

      Sarah drehte sich zu Wagner und ließ dabei ihren Arm auf Tims Schulter liegen.

      „Nicht nur ein Freund.“

      Frank bemerkte das Strahlen in Sarahs Augen.

      „Mensch Tim, alter Junge, wo kommst du denn her?“ Auch Gustav war vor Freude außer sich und drückte den jungen Mann.

      „Darf ich vorstellen, Tim Fender, Kommissar Frank Wagner.“

      Die Männer gaben sich die Hand.

      „Ah, der Mann sogar.“

      Sarah lachte.

      „Genau, ein Mann, ein richtiger Mann.“

      Frank merkte, dass er vermutlich einen ziemlich überraschten Eindruck machen musste. Wieso hatte er sich bis jetzt noch nicht gefragt, ob Sarah Fender liiert oder, wie es schien, sogar verheiratet war? Trotzdem schien ihm dieser Tim zu jung zu sein für Sarah. Er beobachtete, wie sie ihn verschmitzt anlächelte und vermutlich genau wusste, was ihm gerade durch den Kopf ging. Frank versuchte, sich wieder auf den Fall zu konzentrieren und wandte sich erneut an Lubowski.

      „Ich hab noch was für dich.“

      Neugierig blickte Lubowski zu Wagner.

      „Bestimmt wieder einen blöden Spruch.“

      „Da oben“, Frank zeigte zu dem Brett vor Sarahs Küchenfenster, „da liegt auch noch einer.“

      „Iiih, den habe ich aber schon angefasst.“ Sarah verzog das Gesicht und dachte an Gustavs Worte und an die ihres Vaters. Lubowski machte sich auf den Weg.

      „Nicht so schlimm.“

      „Ich denke doch.“ Frank schaute Lubowski hinterher.

      „Wagner! Die junge Frau hat doch nicht solche Patschlöffel wie du. Die hat doch viel zartere Hände.“

      Frank Wagner musterte seine Hände. Alle beobachteten, wie Lubowski den Knochen in seinen Händen hin und her drehte. Ohne sich umzudrehen, wandte er sich an seine Kollegen.

      „Kinderknochen sind da noch nicht bei?“ Die Blicke der Umherstehenden richteten sich auf die Tüten.

      „Kein Kind bei“, antwortete ein langer, schlaksiger Kerl, der aussah, als ob er bald eine Zwangsernährung bräuchte. Langsam kam Lubowski mit versteinertem Blick zurück. Kurz vor Frank blieb er stehen. Sein Blick schien sich noch mehr verfinstert zu haben.

      „Jetzt sind es schon zehn. Neun Erwachsene und ein Kind.“

      Auch Franks Miene verfinsterte sich. „So viel zum Thema Kinderkram“, spielte er auf die Bemerkung von Herbert Fender an.

      „Ich glaub, ich kotz wirklich gleich“, meldete sich Tim wieder zu Wort.

      Gustav nahm beiläufig seine Mütze ab. Man wusste nicht, ob das nun eine Kondolenz an die Toten sein sollte oder aber ob er sich nur kratzen wollte. Auf alle Fälle wischte er sich mit einem Taschentuch die auf seiner Stirn glänzenden Schweißperlen weg. Die Sonne brannte erbarmungslos.

      „Los, weiter Männer“, unterbrach Lubowski das Schweigen. Er sah Frank an, als ob er in seinem Vorschlag bestätigt werden wollte. Wagner nickte ihm nur halbherzig zu und beobachtete, wie Gustav wieder in die Richtung seines Bauwagens stapfte. „Tim, ich sehe dich hoffentlich, bevor du wieder abhaust.“

      Der junge Mann hob als Bestätigung die Hand und lächelte Gustav nur hinterher.

      „Komm.“ Sarah hakte sich bei Tim ein und wollte mit ihm zum Haus gehen. Nach ein paar Schritten drehte sie sich um.

      „Ach, Sie hatten ja noch Fragen“, sagte sie zu Frank. „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen helfen könnte. Ich wohn doch noch nicht lange hier.“ Mit einem Schulterzucken untermauerte Sarah das Gesagte.

      „Hat Zeit bis morgen. Ich werde mich ein wenig im Dorf umhören. Sie haben sich mit Ihrem Mann vermutlich viel zu erzählen.“

      Sarah und Tim schauten sich an. Sie wackelten skeptisch mit den Köpfen und verzogen das Gesicht, als ob sie schon wussten, dass die Zeit mal wieder nicht reichen würde.

      Langsam folgte Kommissar Wagner den beiden. Er musterte das Paar, das so innig vor ihm her ging. Tim sah aus, als ob er von einer Abenteuertour zurückkam. Die Jeans war abgewetzt und ging ihm bis kurz unter die Knie. Auf dem Kopf hatte er einen Schlappen, der durch Sarahs Begeisterungsausbruch ein wenig in Mitleidenschaft gezogen wurde, und seine Füße steckten barfuß in Schuhen, die zum Wandern und Klettern geeignet waren. Obwohl seine Waden einen durchtrainierten Eindruck machten, fand Frank, dass Tim wie ein älterer Schuljunge aussah und eigentlich überhaupt nicht zu Sarah passte. Er verzog resigniert das Gesicht. Im Moment musste er sowieso an andere Sachen denken. Die Knochen gaben ihm mehr Rätsel auf, als er erwartet hatte, und er wurde das Gefühl nicht los, dass das noch nicht alles war, was hier auf ihn zukommen sollte. Unbeteiligt registrierte er, wie Tim sich umdrehte, ihn ansah und dann fragend zu Sarah blickte. Sarah folgte seinem Blick. Überrascht blieb sie, fast schon an dem alten Holztisch angekommen, stehen.

      „Ich denke, das hat Zeit bis morgen?“

      Wagner schmunzelte und fragte sich, ob Sarah unter Verfolgungswahn litt.

      „Meine Jacke, nur meine Jacke.“

      „Klar.“

      Tim musterte den Kommissar. Sein Blick verharrte an seiner Waffe.

      „Kripo?“

      Frank nickte und sah Tim dabei in die Augen. In dem sonnengebrannten Gesicht funkelten zwei kastanienbraune Augen unter dem Schlapphut. Obwohl er immer noch der festen Überzeugung war, dass Tim viel zu jung war für sie, musste er zugeben, dass Sarah und Tim ein schönes Paar abgaben.

      „Wegen der Knochen oder …“ Tim unterbrach sich und schaute zu Sarah. Erschrocken, ängstlich und ein bisschen verlegen schüttelte sie den Kopf.

      „Oder was?“ Während Frank Tim das fragte, hing sein rätselhafter Blick an Sarahs Gesicht. Sie wich dem Blick aus.

      „Wegen der Knochen oder aus welchem Grund sonst?“ Tim, der merkte, dass Sarah die Situation unangenehm war, sprach betont deutlich.

      „Wegen der Knochen, erstmal nur wegen der Knochen.“

      Frank griff nach seiner Jacke. Die Akte kam zum Vorschein.

      „Merkwürdig“, begann Sarah nachdenklich, „hier werden ein paar Knochen gefunden, kurze Zeit später ist ein Kommissar abgestellt für eine Aufgabe, die auch dieser Lubowski hätte übernehmen können, es gibt eine Akte …“ Sarah blickte fragend zu Frank.

      „Merkwürdig ist fast untertrieben. Ich weiß aber, dass der Direktor die Arbeit der SOKO sehr ernst nimmt. Fragen Sie Ihren Vater, vielleicht verrät Kuntz ihm ja mehr.“

      „Kuntz? Bernhard Kuntz? Der Polizeipräsident?“

      „Direktor“, wurde Tim von Frank verbessert. „Sie kennen den auch?“

      „Ja klar.“ Tim tat, als ob es das Normalste der Welt sei. „Mal hier gesehen, mal da gesehen, bin ja nicht so oft im Lande.“